76. Bestechung

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  „Ich kann es nicht glauben. Sag es nochmal", forderte Zelda. Raisa rollte mit den Augen. Warum wurde sie von der Prinzessin eigentlich nie ernst genommen?
Heute war der einunddreißigste Dezember und in wenigen Stunden somit Neujahr. Und wie sie es nun einmal vorhatte, hatte sie sich ins Schloss Hyrule begeben. In eben jenem Schloss, in dem sie die Antworten ihrer Fragen vermutete.
„Als Recke ist es meine Pflicht an diesem Tag hier zu sein oder etwa nicht?", fragte sie.
„Woher kommt der plötzliche Sinneswandel?" Zelda's Skepsis war nicht zu überhören.
„Wieso kannst du es nicht hinnehmen und dich einfach darüber glücklich schätzen, dass ich aus freien Stücken hier bin?"

Zelda hatte bei Raisa's eiskalter Stimme das Gefühl, als würde sie einfrieren. Zudem erwiderte sie daraufhin nichts weiter. Raisa nahm diese Gelegenheit, um sich davon zu machen.
„Ich sehe mir ein wenig das Schloss an. Zur rechten Zeit werde ich schon wieder da sein", sagte Raisa und wandte sich von der Prinzessin ab. „Warte", rief diese ihr dennoch hinterer.
„Wage es nicht etwas zu beschädigen, zu vertuschen oder zu klauen!" Raisa schnaubte nur. Und wie sie etwas klauen würde... Doch keinen Wertgegenstand so wie Zelda vermutlich dachte.

Nachdem sie das Gemach von Zelda verlassen hatte, stand sie inmitten von einem der vielen Flure von Schloss Hyrule. Für gewöhnlich waren diese immer ziemlich leer, doch nun herrschte wildes Treiben, was bei Feierlichkeiten vermutlich immer so war. Raisa wich den Bediensteten aus, die durch die Gänge hasteten und dabei allerlei trugen. Angefangen bei Tabletts bis hin zu Dekorationen.
Einen dieser Idioten würde sie wohl für eine Minute wohl oder übel von seiner Arbeit abhalten müssen.
„Hey Junge", rief sie. Ein kleiner Junge, welcher wohl in der Küche mit half, drehte sich zu ihr um. Raisa's blauer Schal schien Bände zu sprechen, denn die Augen des Kleinen wurden wahnsinnig groß, als er diesen erblickte. „Ja, werte Lady?", fragte er höflich. Raisa seufzte innerlich. Sie kannte da noch jemanden, der sie immer mit Lady ansprach. Leider.
„Kennst du dich in diesem Schloss aus?", fragte sie und kam ein Wenig auf ihn zu. „So ziemlich", antwortete er. „Ich will in die Bibliothek." Sie beobachte, wie die Information im Kopf des Jungen ankam und wie er überlegte. „Dann müsst Ihr zum Haupteingang zurück. Nehmt die Treppe zum linken Flügel. Den langen Gang müsst Ihr entlang gehen und am Ende den Weg links nehmen. Auf der rechten Seite ist dann eine Treppe, die in die Bibliothek führt", erklärte er. Raisa nickte und machte sich auf.

Den Weg zum Haupteingang zu finden, war nicht sonderlich schwierig. Dort ungesehen wieder wegzukommen jedoch sehr. Urbosa und Mipha... Beide standen in der Eingangshalle und schienen auf Daruk und Revali zu warten. Sie bezweifelte, dass sie beiden auch auf sie warteten. Mit ihrem Erscheinen war ja eigentlich nicht zu rechnen. Als sie an der Treppe zum linken Flügel ankam, dachte sie, sie wäre unbemerkt geblieben. Falsch gedacht...
„Ach Raisa, auch hier? Musste Zelda dich erpressen oder bist du vielleicht freiwillig gekommen? Komm mal her!", hörte sie Urbosa rufen. Wie gut, dass sie mit den Rücken zu den beiden stand. Ihr jetziger Blick war nicht grade ansehnlich. „Guten Abend, Raisa", hörte sie nun auch Mipha's sanfte Stimme. Da Raisa nicht zu den beiden kam, kamen diese zu ihr. „Ich bin grade beschäftigt." Sie versuchte Urbosa und Mipha abzuwimmeln, ohne dabei unfreundlich zu klingen.
„Ach so? Dann hat Zelda dich eingespannt?", fragte die Gerudo grinsend. „Nichts dergleichen", war ihre knappe Antwort. „Komm Urbosa, lass uns Raisa nicht weiter stören. Wir sehen sie doch nachher."

Raisa dankte Mipha still und heimlich, dass sie Urbosa davon abhielt ein ewig langes Geschwätz anzufangen. „Da magst du Recht behalten", seufzte die Gerudo. „Dann bis später, Kleine", neckte Urbosa sie noch zum Schluss.
Raisa war schon ein paar Stufen nach oben gegangen, als noch etwas folgte. „Dein Freund kommt übrigens auch hier her." Mittlerweile war Raisa ja wirklich schon abgehärtet und ertrug so einiges von den Recken und Zelda. Auch deren Späße. Aber irgendwo war Schluss, denn es langweilte sie nur noch. „Wenn dein Leben wirklich so uninteressant ist, wie du es darstellst, dann such dir gefälligst wen anders, wen du mit deinem Unsinn belästigen kannst. Ich habe es satt!" Ob nun vor Mipha und den ganzen Menschen im Schloss oder nicht, das war ihr relativ. Aber sie wollte das endlich gesagt haben. „Ich habe es dir doch schon einmal gesagt: Gegensätze ziehen sich an." Dabei zwinkerte die Gerudo ihr noch einmal zu, ehe sie sich lachend abwandte.

Bevor an diesem Tag noch etwas passierte, was sie hinterher vielleicht bereuen könnte, ging sie ihres Weges weiter. Eines musste sie Urbosa ja lassen. Diese Frau hatte, wie es sich für eine Gerudo nun mal gehörte, Mut. Mut sich so mit ihr anzulegen. Zwar wollte sie damit nicht sagen, dass sie stärker als Urbosa war, das wusste sie nicht, doch in einem Kampf würde die Gerudo nicht ungeschoren davonkommen. Sie viel stand fest.
Raisa atmete tief durch und versuchte die letzten Minuten einfach zu vergessen. Andernfalls könnte dies sie bei ihrem Plan behindern. Sie lernte nicht umsonst, sich noch besser zu zügeln.

Sie ging den Weg, den der Junge ihr beschrieben hatte. Als sie die von ihm genannte Treppe hinunterging, erreichte sie tatsächlich die riesige Bibliothek des Schlosses, die sich über zwei Etagen zog. Na, wenn es dort nichts über ihre Fähigkeit zu lesen gab, dann nirgends! Mit Sicherheit fragte man nun, wie sie, jemand, der nicht lesen konnte, gedenkt ein solches Buch zu finden? Selbstverständlich hatte sie sich darüber Gedanken gemacht. Im Schloss gab es doch für einfach alles Bedienstete, warum also nicht auch jemanden, der sich um die Verwaltung der Bücher kümmerte? Und besagter jemand hatte sie bereits auch schon skeptisch gemustert und behielt sie unauffällig im Blick. Nun, für Raisa noch auffällig genug.

„Hey", rief sie und winkte zu sich. Der skeptische Blick ihres Gegenübers lockerte sich kein bisschen, als er vor ihr stand. „Ja bitte... Fräulein?" Sie war bereit ihre Hand ins Feuer zu halten, wenn sie behauptete, dass er diese fast schon freundliche Anrede nur hinzufügte, weil das blaue Stück Stoff um ihren Hals wahre Wunder wirkte. „Es wird doch alles dokumentiert, was mit den Büchern hier passiert, oder?", fragte Raisa. „Ihr stellt seltsame Fragen", bekam sie lediglich als Antwort.
Ihr Blick wanderte kurz umher, ob irgendjemand womöglich lauschte, doch niemand war in ihrer Nähe.
„Ich will Informationen, die sich irgendwo in diesen staubigen, alten Büchern befinden. Bring sie mir und lass das Dokumentieren weg. Im Gegenzug wirst du reichlich belohnt." Sie legte die Karten offen auf den Tisch. Entweder er biss an oder eben nicht. „Wie reichlich?", fragte er. Auf Raisa's Lippen schlich sich ein hinterhältiges Grinsen. Da sah man es ja wieder, wie käuflich die Personen dieser Welt waren. „Einhundert. Nicht mehr, nicht weniger." Eine kurze Zeit herrschte Stille.
„Was für Informationen?", wollte er dann wissen. „Die Gabe der Vorhersehung, die einst die Prinzessin von Hyrule besaß", antwortete Raisa. Der junge Mann nickte.

„Gut. Du bekommst dein Geld, wenn ich meine Bücher habe. Und wage es ja nicht, mich zu betrügen. Solltest du es dennoch versuchen..." Sie zog dabei ihr Schwert ein Stück weit aus der Schwertscheide.
„Siehst du alt aus." Ein wenig schien sie ja doch noch von ihrer einschüchternden Art zu besitzen.
Zumindest deutete die Reaktion des Mannes darauf hin. „Ich werde Morgen wiederkommen", waren ihre letzten Worte, bevor sie ging.

Gut, jetzt musste sie nur bis zum morgigen Tag durchhalten.  

Number 6Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt