107. Wahrheit

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Es war ja zu erwarten gewesen, dass es schwer werden würde, den anderen Recken die Wahrheit zu erzählen, doch Raisa hatte nicht damit gerechnet, dass es auf eine solche Art und Weise schwierig werden würde, wie es jetzt war.
Alle sechs Recken und Prinzessin Zelda saßen an einem großen runden Tisch in Schloss Hyrule. Sie alle schwiegen und die Atmosphäre wurde von Sekunde zu Sekunde erdrückender. Wie sagte sie noch gleich? Sie würde ihnen jetzt einfach so erzählen, dass sie alle sterben werden, dass es keine Zukunft für sie gab? „Also... Was gibt es so wichtiges, dass wir alle so schnell hereilen mussten?", fragte Urbosa und stützte daraufhin ihren Kopf, mittels ihres Arms, am Tisch ab.
„Ich habe euch zwar hergeben, doch ich bin nicht diejenige, die ein Anliegen hat", sagte Zelda. Der Blick der Prinzessin wanderte zu Raisa und die anderen taten es Zelda gleich.

„Ich muss weiter ausholen, damit ihr versteht", sagte Raisa ruhig. Erstaunlicherweise war sie nicht nervös, eher vorsichtig. „Dann schieß mal los", sagte Daruk mit einem Grinsen im Gesicht. Wie lange diese fröhlichen Gesichter wohl noch bleiben würden? „Zuerst einmal... Habe ich euch allen verschwiegen, dass ich schon längst meine Fähigkeit bekommen habe", fing Raisa ohne große Umschweife an. Und anhand der Gesichter der anderen konnte sie erkennen, dass diese überrascht waren. Bis auf Revali natürlich, der wusste von Anfang an davon. Der einzige Gesichtsausdruck, der Raisa noch etwas wunderte, war Urbosa's. Die Gerudo grinste. Ob sie etwas geahnt hatte?
„Und was bitte ist deine plausible Erklärung, dass du das verheimlicht hast?", fragte Zelda erbost.
„Ihre Fähigkeit ist anders, als die unsere", erklärte Revali für Raisa.
„Warte, was? Du hast es gewusst, Revali, und es trotzdem verschwiegen. Wem glaubt ihr eigentlich, gehört eure Loyalität?!" Zelda schien damit überfordert zu sein, dass so viel hinter ihrem Rücken passiert war. Dass sie die gesamte Zeit über so zum Narren gehalten wurde.

Urbosa lachte daraufhin nur laut auf, woraufhin alle ihren Blick zu der Gerudo schweifen ließen. „Ehrlich gesagt, ist es mir nicht wichtig, ob du es jetzt sagst oder es vor Monaten gesagt hättest. Ich finde es viel interessanter, dass ihr beide solch ein Geheimnis zusammen bewahrt habt", sagte sie amüsiert. „Es war nicht möglich, es gänzlich für mich zu behalten", erwiderte Raisa ruhig. Sie hatte ein schwieriges Gespräch zu führen, da durfte sie sich nicht dazu hinreißen lassen, jetzt die Kontrolle zu verlieren. „Aber wie genau unterscheidet sich deine Fähigkeit denn nun von unserer?", wollte Mipha wissen. „Das wüsste ich auch gerne", gab Zelda murrend zu.

„Ich habe kein Hilfsmittel, das mich schützt", Raisa's Blick fiel zu Daruk, „auch kann ich nichts beeinflussen oder herbeirufen", was auf die anderen drei zutraf. „Ich sehe die Zukunft." Erneutes Schweigen erfüllte den Raum. Dieses Mal aber wegen Unglauben. „Du kannst... Die Zukunft sehen?", fragte Zelda noch einmal nach.
„Ja. Ich sehe die Angriffe meiner Gegner, bevor sie mich treffen. Außerdem..." – „Warte! Du hast so etwas unglaublich nützliches und wertvolles tatsächlich dem königlichen Hofe verwehrt?" Zelda's Entsetzen wurde immer größer. „Ich habe es niemanden erzählt, weil keiner glaubt, was diese Gabe noch mit sich bringt!", gab Raisa säuerlich zurück. „Aber Revali glaubt's dir", erwiderte Daruk. Raisa würde es ja erklären, wenn man sie nur ausreden lassen würde.
„Aber auch nur, weil ich es schmerzlich am eigenen Leib erfahren musste", antwortete Revali Daruk. Und ehe Raisa sich versah, redeten alle durcheinander und keiner hörte mehr wirklich zu. Aus diesem Grund tat sie etwas, von dem sie wusste, dass es schon einmal geklappt hatte. Mit aller Kraft schlug sie ihre zur Faust geballte Hand auf den hölzernen Tisch. Sie alle verstummten.

„Die Sache hier, die ich vermitteln will, ist verdammt ernst. Also lasst mich endlich erklären", zischte Raisa. „Ich kann nicht nur Angriffe vorhersehen. Ich habe nun bereits mehrmals Ereignisse, die weiter in der Zukunft liegen, gesehen. Und ich kann euch mit Garantie sagen, dass es so kommen wird, wie ich es sehe. Das heißt aber nicht, dass man die Dinge nicht ändern kann! Ich bin überzeugt, dass man die Zukunft ändern kann, nur...fehlt uns die Zeit." Raisa lehnte sich in ihren Stuhl zurück und beobachtete die anderen. „Was soll'n das heißen 'uns fehlt die Zeit'?", fragte Daruk.
„Vor nicht allzu langer Zeit habe ich die Wiederkehr der Verheerung Ganon gesehen." Es kostete sie ungemein viel, diese Worte über die Lippen zu bringen. Dabei war dies noch nicht einmal der schwierigste Teil, den sie zu berichten hatte. „Und unser aller Schicksal ist es an jenem Tag zu sterben."

Das hatte gesessen, aber anders konnte sie es nicht überbringen. Sie war keine Person der Worte. Nie gewesen. Und doch musste sie nun selbst etwas Solches übermitteln. Das so zu hören, musste ein Schock sein – und sorgte auch sicherlich für Unglauben. „Du machst Scherze, Raisa", sagte Zelda, doch als die Prinzessin in die ernsten Gesichter von Revali und Raisa blickte, wurde sie unsicherer.
„Sag bitte... Sag mir bitte, dass dies nicht wahr ist!", flehte Mipha mit erdrückter Stimme. Doch Raisa schüttelte nur leicht den Kopf. Zum ersten Mal sah sie auch Urbosa mit einem so ernsten und finsteren Ausdruck im Gesicht. „Und du bist dir auch ganz sicher, Raisa?", fragte die Gerudo. Urbosa fragte vorsichtig, sagte nur so viel, wie es nötig war. „Ja ich bin mir sicher", antwortete Raisa.
„Das ist nicht zu glauben", fügte Daruk nun hinzu. Auch er klang ganz anders, als sonst.

„Ich werde also...sterben?", fragte Zelda fassungslos. „Was dich angeht, Zelda... Was aus dir und Link wird, weiß ich nicht. Ich habe euch zwei nicht bei uns entdeckt. Für euch besteht die Chance zu überleben." Zelda horchte daraufhin auf. „Wie du weißt es nicht? Ich dachte, du kannst die Zukunft sehen?", fragte Zelda verwirrt. „So einfach ist das nicht. Ich kann nicht bestimmen, was ich sehe."
Obwohl die Sache mit der Verheerung in keinerlei Hinsicht eine gute Nachricht war, so fühlte Raisa doch etwas Erleichterung, als sie dies endlich nicht loswerden konnte.

„Was sollen wir denn jetzt tun? Wir können doch nicht einfach so weiter machen?", fragte Mipha Zelda. „Doch das können wir. Das müssen wir. Als wir Recken geworden sind, haben wir uns dazu verpflichtet Hyrule zu schützen, auch, wenn dies unseren Tod bedeuten würde. Wenn wir nichts tun und einfach abwarten, dann wird alles so kommen, wie es uns vorherbestimmt ist. Wenn wir aber in unseren letzten Monaten alles geben und unsere Kräfte stählen, dann haben wir eine Chance unser Schicksal zu verändern. Sie ist nur sehr gering, aber besser als gar keine. Und nicht zu vergessen: einmal konnte ich schon die Zukunft verändern. Ihr könnt meinetwegen in Selbstmitleid zerfließen, aber mein Entschluss steht fest: ich werde kämpfen." Raisa war sich einer Sache selten so sicher, wie jetzt. Und egal was kommen möge, sie würde daran halten.
„Ich ebenso", sagte Revali zum Erstaunen der anderen. „Ich auch, wäre doch gelacht, wenn ich als Gerudo nur halbe Sachen machen würde." Auch Urbosa schien von Raisa's Enthusiasmus angesteckt worden zu sein. „Wir Goronen sind viel zu stolz, um vor einer Herausforderung zu kneifen. Ich steh' bei dir!", rief Daruk. „Wenn das so ist... Dann werde auch ich kämpfen, um die, die ich liebe zu schützen." Somit waren alle Recken sich ihrer Sache sicher.

„Auch wir werden alles tun, um gegen die Verheerung zu siegen", sagte Zelda. Das 'wir' bezog sich dann wohl auf Zelda und Link. „Das ist ein Befehl an euch. Werdet so stark, dass ihr eurem Schicksal trotzen könnt!", rief Zelda.

Number 6Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt