51. Gleiche Gefühle?

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  Die Kälte in den Tiefen von Hebra war unerträglich. Es war so kalt, dass Raisa's Lippen bereits eine bläuliche Färbung angenommen hatten. Das Blut, welches kurz zuvor noch ihren Arm herunter gelaufen war, war bereits gefroren. So kalt war es hier in den Hebrabergen. Mit Missgunst betrachtete sie Revali, dem die Kälte scheinbar überhaupt nichts ausmachte. Mögen ihm alle seine Federn ausfallen.


„Sag mir, sind wir überhaupt auf dem richtigen Weg? Gibt es überhaupt einen?", fragte Raisa den Orni.
„Es ist Nacht, der Himmel ist mit Wolken bedeckt, einen Kompass haben wir nicht. Somit ist uns jede Möglichkeit uns hier irgendwie zu orientieren verwehrt. Woher also soll ich wissen, ob wir richtig sind?", fragte er giftig zurück. Sie hatte zwar keinen blassen Schimmer, warum Revali so gereizt war, aber letzten Endes konnte ihr dies auch egal sein.
„Wir haben eine Karte", sagte sie und holte den Papierfetzen aus der Satteltasche. „Das sagst du erst jetzt?!", fragte er fassungslos. Sein Blick war Gold wert. „Nun weißt du, es diente meiner eigenen Belustigung, dich solange im Dunkeln tappen zu lassen, wie es nur ging."


Raisa hatte ihn damit verärgert, das wusste sie. Aber darauf gab sie herzlich wenig.
„Bist du in der Lage Karten zu lesen oder bist du dafür auch zu blöd?", fragte er harsch. „Das Kartenlesen ist, bis auf das Entziffern der Buchstaben, kein Problem. Eher wird es schwierig unsere jetzige Position zu finden, denn falls es dir noch nicht aufgefallen ist, hier sieht alles gleich aus." In der Tat, ein Berg glich hier dem nächsten. Zudem war alles voll von Schnee, egal wo man hin sah.
„Halt deinen Gaul an", rief er ihr zu. Binnen weniger Sekunden stand das Pferd. Daneben stand Revali und schaute sich die Karte, die er Raisa aus den Händen gerissen hatte, an.


Da Raisa sowieso nichts Sinnvolles beipflichten konnte, sah sie sich um. Sie sah sich die ganzen Schneeberge an, die in der Ferne und im Dunkel der Nacht verschwanden. Der ganze Schnee den diese Berge trugen... Dies hier war wirklich die Hölle des Eises – Eine bitterlich kalte Hölle.
Sie hätte nichts gegen ein Lagerfeuer, an welchem sie sich ihren erfrierenden Körper aufwärmen könnte. „Ich hätte eine Vermutung wo wir-", fing Revali an, wurde aber durch das Heulen von Wölfen unterbrochen. Noch war es weit weg, denn es schallte wie ein Echo.


„Hoffentlich kommen diese Drecksviecher nicht zu uns", sagte Raisa und schaute sich ein weiteres Mal um. Revali hingegen konnte sich ein kurzes, hinterhältiges Grinsen nicht verkneifen, versteckte es aber wieder, als Raisa zu ihm sah.
„Hast du nie die Geschichten über diese Berge gehört? Über seinen Rachefluch?", fragte er sie.
„Ich glaube an einen solchen Kinderkram nicht", erwiderte sie desinteressiert. „Oh, aber Geschichten haben oft einen wahren Kern", erzählte er weiter.
„Geschichten stammen aus Spatzenhirnen, wie deinem." Sie wusste nicht, worauf er hinaus wollte. Dass er aber ein falsches Spiel trieb, war ihr nicht entgangen. Sollte sie vielleicht einfach mitspielen? „Gut, sag was du mir sagen willst. Was für Geschichten?", gab sie gespielt nach.


„Es heißt, dass früher die schlimmsten Verbrecher in das tiefste Innere dieser Berge gebracht wurden. Ohne Essen, ohne warme Kleidung, ohne irgendetwas. Sie sind alle jämmerlich verreckt. Aber, ab einem gewissen Punkt hat man aufgehört die Verbrecher herzubringen, denn die, die sie her brachten, waren nie zurückgekehrt. Jahrzehnte später fand man dann Aufzeichnungen. Der Hass der Toten hat eine Kreatur geformt, die jeden Eindringling dieser Berge aufs grausamste umbringt.


Dies ist nur eine der Geschichten..." Revali sah zu Raisa auf, welche mit einem emotionslosen Blick in die Hände klatschte. „Herzlichen Glückwunsch für deinen Versuch mir Angst einzujagen – Du bist kläglich gescheitert", sagte sie.



„Was meinst du?", stellte er sich dumm. „Ich bitte dich, für wie blöd hältst du mich eigentlich? Jedes Kind kann dich durchschauen. Als wäre ich so blöd und würde auf deine erfundene Geschichte hereinfallen." Na ja, ein Versuch war es seiner Meinung nach wert gewesen. Es hätte ja sein können, dass er Erfolg gehabt hätte. Das konnte man alles erst wissen, wenn man es probiert hatte.


„Lass uns weiter. Du verschwendest wertvolle Zeit. Zeit, die ich nicht wieder kriege", sagte sie und trieb ihr Pferd an. Revali flog ihr hinterher. Etwas schade fand er es schon, dass Raisa nicht so leichtgläubig war, aber er hätte es eigentlich von Anfang wissen müssen.


Eine gefühlte Ewigkeit bewegten sie sich nun schon durch diese Eislandschaft. Nichts änderte sich an der Umgebung und die Ruinen, die sie aufsuchen sollten... Tja, wo die wohl sein mögen. Vielleicht hinter diesem riesigen Berg, an welchem sie grade vorbeizogen? Vielleicht auch in diesem Berg. Eine genaue Lage hatten sie nicht bekommen, deswegen sollten sie ja suchen.


Bis auf diese Tatsache, dass diese Kälte unerträglich war, war bei Raisa eigentlich alles in Ordnung. Aber eigentlich war 'Eigentlich' ein Wort, welches man benutzte, wenn es doch einen Widerspruch gab – eigentlich. Verwirrend, nicht wahr?
Nun, um es klar auszudrücken, es gab neben der Kälte noch etwas, was sie beschäftigte. Und zwar die Tatsache, dass sie langsam irre wurde. Sie hatte den gesamten Ritt über das Gefühl, dass da etwas war. Genau erklären konnte sie es nicht, es war einfach ein unsagbar schlechtes Gefühl, welches sie beschlich.


Zwar machte es ihr keine Angst, ließ sie aber etwas nervös werden. Und das zeigte sich durch ein Zucken in ihren Fingern, wenn sie sich umsah. Eigentlich wurde sie so gut wie nie nervös, da musste sie schon etwas gehörig aus der Bahn werfen. Und das tat dieses schlechte Gefühl.
Wirklich, alle paar Minuten schweifte ihr Blick durch die Umgebung. Ihre goldenen Seelenspiegel versuchten zu finden, was sie so beschäftigte. Aber, ihr Tun blieb nicht unbemerkt.


„Hast du ein Problem oder was in Hylia's Namen ist mit dir falsch?", fragte Revali, unfreundlich wie immer. Eigentlich ging ihn das überhaupt nichts und sie hatte auch keine Lust mit ihm darüber zu reden, aber... Vielleicht war das auch der Fehler. Einmal hatte sie ihm bereits ihre Gedanken und Befürchtungen mitgeteilt, ausgelacht hatte er sie dann. Würde er es wieder tun oder hatte er nichts dazugelernt?


„Würdest du mir glauben, wenn ich dir etwas erzähle?" Sie war sich sicher, dass dies schwierig für ihn war, auch weil er eben eine Geschichte erzählt hatte, um sie hochzunehmen.
„Das kommt darauf an", antwortete er. Nun, dies war kein Nein. Ach, was sollte es, egal wie er reagieren würde, sie würde ihr Ding trotzdem weiter durchziehen. Deswegen brauchte sie sich eigentlich keine Gedanken zu machen.


„Revali..." Sie nannte ihn bei Namen. Etwas, was sie selten tat, weshalb es sich sowohl in ihren, als auch in seinen Ohren seltsam anhörte. „Ich will ganz ehrlich sein. Seit geraumer Zeit beschleicht mich unfassbar schlechtes Gefühl. Angefangen hatte es wenig später, als du deine Geschichte erzählt hattest. Seitdem wurde dieses Gefühl immer stärker. Mein Instinkt täuscht mich nicht, irgendetwas stimmt nicht."


Er erwiderte daraufhin nichts und sah sie auch nicht an. Machte er sich jetzt doch über sie lustig? „Sag etwas!", forderte sie ihn auf, doch er machte immer noch nichts und flog einfach weiter.
„Raisa...", fing er dann endlich nach einiger Zeit an. Er sah zu ihr herüber. „Mir geht es genauso."

Number 6Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt