104. Sind wir wirklich so verschieden?

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Die Diskussion über das Wiedererwachen der Verheerung Ganon und was diese mit sich bringen wird, fand lange Zeit kein Ende. Sie hatte es nicht für möglich gehalten, aber irgendwann mussten ihr die Augen zugefallen sein. Jedenfalls lag sie halb auf dem Tisch, an welchem sie am Abend zuvor saß und mit Revali gesprochen hatte. Na ja, sie hatte die Ehre gehabt auf Fragen antworten zu dürfen, auf die sie selbst keine Antwort hatte.
Während Raisa sich aufrichtete, knackten sämtliche Knochen ihres Körpers. Etwas, was sich ziemlich ungesund anhörte. Noch eine Nacht wollte sie so keineswegs verbringen. Dass sie überhaupt noch bei Revali war, war eine ungewöhnliche Ausnahme, die sie auch nicht nochmal wiederholen wollte. Aus diesem Grund beschloss sie nun auch auf schnellstem Wege das Weite zu suchen.

Möglichst leise erhob sie sich von ihrem Platz und ging Richtung Ausgang. Zu ihrem Leidwesen kam sie nicht Ansatzweise dorthin. „Wo willst du hin?" Sie seufzte innerlich und hielt in der Bewegung inne. Langsam drehte sie sich zu Revali um. „Raus? Weg von hier?", entgegnete sie. Für ihren typischen Unterton war sie noch zu verschlafen, somit klang sie wieder relativ ruhig und besonnen. „Wir sind mit dem Thema noch nicht fertig! Du..." – „Jetzt halt mal die Luft an", fiel sie ihm ins Wort. Raisa konnte es nicht mehr hören und wollte es auch nicht mehr. Für sie selbst war das ja ein schwieriges Thema. Um also ihre Ruhe zu bekommen, würde sie so einiges tun. Deshalb tat sie auch etwas ziemlich Ungewöhnliches, für ihre Verhältnisse zumindest.

„Ich bitte dich, mich jetzt einfach nur in Ruhe gehen zu lassen." Angeblich hieß es doch immer, 'sei nett zu anderen und andere sind nett zu dir'. Zwar hatte sie die Freundlichkeit von anderen so gut wie nie zu spüren bekommen, aber sie war ja auch kein Unschuldslamm. „Vergiss es."
Augenblicklich veränderten sich ihre Gesichtszüge von entspannt zu genervt. Das war sie also, die Freundlichkeit, die sie zurückbekam? Und dabei hatte sie sogar darum gebeten, gehen zu können. Für gewöhnlich tat sie schließlich das, was sie tun wollte. Und da die friedliche Art nicht funktionierte, setzte sie nun auf die Art mit Gewalt.

Raisa wandte sich von Revali ab und ging weiter zur Tür. Konnte ihr doch gleich sein, was er davon hielt. Doch kaum war sie weiter gegangen, meldeten sich ihre Sinne und ihr Instinkt, sodass sie noch grade so ausweichen konnte. Raisa sah vom Pfeil, der nun in der Tür steckte zu Revali. Er war schneller gewesen als sonst. Ob er trainiert hatte? „Willst du unseren Pakt brechen?", knurrte sie fast schon. „Nein, aber leider brauche ich dich grade", kam es ebenfalls genervt zurück, während er nebenbei den Bogen wieder beiseitelegte. Ihre Gesichtszüge entglitten ihr. Hatte er, der wohl komischste Vogel aller Zeiten, grade gesagt, dass er sie brauchte? Verbittert musste sie feststellen, dass dies schon lange keiner mehr zu ihr gesagt hatte.

„Ich dachte, du hättest genug gehört. Zumindest war dir mein Unwissen, wofür ich nebenbei mal gesagt nichts kann, über den bevorstehenden Kampf gegen die Verheerung noch so auf die Nerven gegangen. Da wundert es mich, dass ich dir jetzt wieder nützlich erscheine." Sie lehnte sich mit verschränkten Armen an die Wand und sah zu ihm herüber. Er murmelte etwas, was sie nicht genau verstand. Lediglich die Worte 'verdammt' und 'Weib' drangen zu ihr herüber. Womöglich absichtlich. „Ich brauche dich auch nicht, um an weitere Informationen zu kommen. Du sollst mich nach Hyrule Stadt begleiten und dort Zelda davon berichten!" Ach, da lag der Hund also begraben. „Niemals", erwiderte sie bestimmt.

„Was glaubst du eigentlich, wer du bist, Raisa?! Das ist etwas, was nicht nur dich oder mich angeht! Wenn das, was du sagst, wirklich der Wahrheit entspricht, dann musst du es kund machen!" Sie schloss die Augen und holte tief Luft, um sich selbst zu beruhigen.
„Was maßt du dir eigentlich an? Hast du auch nur eine Sekunde daran gedacht, was passieren würde, wenn ich es den anderen sage? Nein, natürlich hast du das nicht. Sie würden – verständlicherweise – das Weite suchen, anstatt gegen die Verheerung zu kämpfen und zu sterben! Genau wie du... Oder willst du mir weismachen, dass DU bleiben, kämpfen und sterben wirst? So wie ich?" Raisa behielt Revali genauestens im Blick. Revali, das allseits bekannte Federvieh..., wie würde er sich entscheiden? Ob er sich selbst treu blieb? Ob seine Arroganz wieder heraussprechen wird?

„Wenn du bleibst, dann bleibe ich ebenfalls." Raisa glaubte, dass sie trotz ihres Hasses einen Arzt aufsuchen und ihr Gehör untersuchen lassen musste. „Wie soll ich das verstehen?", verlangte sie zu wissen. Und in diesem Moment, sie konnte nicht einmal sagen warum, fing ihr Herz schneller an zu schlagen und ihre Fingerspritzen kribbelten auf eine seltsame Art und Weise.
„Wenn selbst du dich so entschieden hast, dann wäre es doch ziemlich unehrenhaft, dich allein kämpfen zu lassen und abzuhauen." Das war ja wieder klar... Was sie konnte, konnte er auch – war dies das Prinzip, welches er verfolgte? „Außerdem...", fing er an, „kann ich mir selbst nicht helfen, doch irgendwie glaube ich, unsere Schicksale sind verstrickter, als wir glauben und.... Der Gedanke gefällt mir einfach nicht, dass du das alleine durchziehen willst."

Jetzt war Schluss! Hier lief etwas gehörig falsch! Das vor ihr war Revali, der Orni zudem sie kein gutes Verhältnis pflegte! Und sie war Raisa, das bedeutete: kalt, emotionslos, unberechenbar, stur und vor allem unnahbar! Doch seine Worte, die – wenn man es klar und deutlich ausdrückte so etwas, wie 'Ich will dich nicht alleine lassen, weil wir irgendwie aneinander hängen' bedeuteten – berührten sie auf eine Art und Weise, wie sie nie wieder fühlen wollte! Und allein die Erinnerung an damals bereitete ihr Schmerz. So viel Schmerz, dass sie die Augen schloss und die Hand vor der Brust verkrampfte. Das Schlimmste an allem: es hatte sie fast schon gefreut, das zu hören.

„Ich werde jetzt gehen." Sie war durcheinander. „Ich will nichts mehr davon hören." Nein, ihr Inneres und ihre Gefühle waren durcheinander. „Verliere kein Wort hier drüber." Sie fühlte sich unwohl. „Und höre endlich auf so zu reden, als ständen wir uns nahe." Sie hatte Angst! Ja sie, Raisa, hatte Angst. Angst davor zu fühlen, Angst davor wieder zu leiden, Angst davor zu sterben, Angst davor machtlos zu sein, wie damals und sie hatte Angst davor sich einzugestehen, dass sie eventuell Gefühle entwickelt hatte, die sie nie wieder fühlen wollte. Und diese Gefühle galten dann auch noch der undankbarsten und vom Charakter her grauenhaftesten Person, die sie kannte. Revali...
Wie konnte das nur passieren? Das war schlimmer, als eine Freiheitsstrafe aussitzen zu müssen.

„Eine Frage noch." Und ein weiteres Mal hielt er sie auf. „Du und ich, sind wir wirklich so verschieden?" Es interessierte sie auch, zu wissen, wie er fühlte... Raisa war kein kleines Kind, das eins und eins nicht zusammenzählen konnte. Revali musste auch irgendwelche Gefühle für sie hegen, sonst würde er seit einiger Zeit nicht hin und wieder so einen Stuss wie grade von sich geben.

„Ich dachte immer, du und ich könnten gar nicht verschiedener sein. Vielleicht sind wir das auch, vom Kopf her. Doch was unser Wahres betrifft, könnten wir gar nicht ähnlicher sein", war Raisa's ehrliche Antwort.

Number 6Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt