108. Veränderungen

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Das Geräusch, wenn scharfes Metall etwas zerschnitt... Dieses Geräusch erklang im Inneren von Vah Inazuma. Genauer gesagt, um Raisa herum. Zu Boden fielen die letzten weißen Strähnen, die Raisa's Kopf zuvor zierten. Der Grund für ihre Entscheidung war, dass es sie schlichtweg nur noch gestört hatte, dass der Großteil ihres Haares braun und der Rest weiß war. Deshalb hatte sie nun all die weißen Haarsträhnen abgeschnitten. Auch wenn das nun bedeutete, dass ihre braune Mähne ihr nur noch zum Kinn reichte, und nicht wie vorher zur Brust. Doch das nahm sie in Kauf. Um ehrlich zu sein, interessierte sie ihre Haarlänge nicht. Und um ehrlich zu sein, so war es praktischer.

Nun, die Beseitigung ihres weißen Haares war eigentlich nicht ihr Tagesziel gewesen. Raisa hatte eigentlich etwas ganz anderes vor, doch das konnte sie nicht allein stemmen. Und wenn es ihr noch so widerstrebte, jemand anderen um Hilfe zu bitten...

Raisa hatte nach dem Treffen der Recken in Schloss Hyrule viel nachgedacht. Und sie war zu dem Entschluss gekommen, dass ihre jetzige Stärke nie im Leben ausreichen würde, um im Kampf gegen die Verheerung zu siegen. Deshalb musste sie sich weiterentwickeln, was nicht nur hieß, dass sie Schwertkunst und ihre Fähigkeit trainieren wollte, sondern, dass sie sich auch in anderen Dingen verbessern musste. Ihre Kraft war im jetzigen Moment eingeschränkt, weil sie immer eine Meisterin auf einem Gebiet sein wollte. Und das war sie auch, doch... Was einem zu einem wahren Meister machte, war Vielseitigkeit.

Natürlich gab es Dinge, die man selbst nicht konnte. Doch gab es auch welche, die man nicht tat, weil man es einfach hasste. Raisa war bereit ihre Abneigung gegenüber anderen Kampfstilen beiseitezulegen, sofern es ihr den Sieg letztlich brachte. Außerdem... Wollte sie die hylianischen Gesetze erneut brechen, doch ihr Vergehen dieses Mal sollte ein ganz anderes sein, als die zuvor. Was dies für Strafen letztlich mit sich bringen konnte, war ihr gleich. Was sie wollte, war der Sieg. Und dazu war ihr fast jedes Mittel recht. Fast... Mittlerweile gab es Dinge, die sie nie nicht mehr tun würde... Was sie beschämender weise früher getan hatte. Woher diese Selbsteinschränkung kam? Sie wusste es nicht, vielleicht war sie einfach reifer geworden.

Ach ja, bevor sie es vergaß... Sie war nicht die einzige gewesen, die bereit war, über ihren Schatten zu springen, um etwas neuen zu erlernen. Umso erstaunlicher war es für sie, als sie wusste, wer diese Person war. Man konnte es sich bereits denken oder etwa nicht?
„Du kommst spät", merkte sie leicht genervt an. „Seit wann kümmert dich die Pünktlichkeit?", wurde ihr die Gegenfrage gestellt. „Seit dem es meine Zeit ist, die verschwendet wird." Ganz ändern würde sie sich dann doch wohl nie. Dafür war sie wohl noch immer zu sehr auf sich selbst bezogen.

„Vielleicht ist Abhauen doch kein so schlechter Gedanke?", hörte sie ihn fragen. Sein Blick war zum Schloss gerichtet, welches in der Ferne zu sehen war. Auch Raisa drehte sich zum Schloss. Mittlerweile konnte sie sich denken, warum dieses Schloss andauernd ihre Blicke auf sich zog.
„Oft begegnet man seinem Schicksal auf dem Weg, den man nimmt, um davor zu fliehen. Ich bezweifle, dass Abhauen eine Option ist", erwiderte sie.

Die beiden Recken standen wenige Meter von Raisa's Titanen entfernt, auf der großen Ebene von Hyrule und noch immer den Blick aus das Schloss gerichtet. Das Erkennungszeichen ihres Bundes, die blauen Reckenschäle, die sie trugen, wehten währenddessen im Wind. Dieses Bild schien so, als würde die Welt sich ganz normal weiter drehen, es war friedlich und an das Ende der Welt war gar nicht zu denken. Was die Loyalität gegenüber dem Königshaus betraf... Diese war spätestens nach dem letzten Treffen der Recken stark gesunken – für eben jene Recken. Das Königshaus, dessen sie sich verpflichtet hatten, für das sie womöglich sterben würden...

Raisa spürte Revali's nun schon eine ganze Weile auf ihr liegen. Ob es an dem lag, was sie gesagt hatte? „Ist etwas?", fragte sie sogleich direkt. Er musste schon ein paar Jahre früher kommen, wenn er ihre Instinkte und ihr Gespür überlisten wollte. „Du siehst anders aus", erwiderte er bloß. Doch sie wusste, dass er eigentlich etwas anderes sagen wollte.
„War eigentlich noch irgendetwas gewesen oder war der Rest doch so belanglos, wie ich es vermutet hatte?", fragte sie dann. Sie hatte die Versammlung vor den anderen verlassen, weil sie schlichtweg keine Lust mehr hatte. „Es wurde etwas beschlossen. Das Wissen, unser Wissen bezüglich der Verheerung, wird mit niemandem geteilt", erzählte Revali. Gut, wenn es nach ihr ging, dann hätte sie es mit überhaupt niemandem geteilt. Aber da war die Sache mit dem schlechten Gewissen. Nun, wenigstens blieb es im Kreis der Recken. Oder aber..?

„Weiß der König davon?", fragte Raisa. „Nein." Sie seufzte. Natürlich wusste er es nicht, die Verpflichtung gegenüber Hyrule würde ihn auch dazu berufen, es im ganzen Land kund zu machen. Aber sollten sie alle überstehen, dann würde das zurückkommende Echo alles andere als schön werden. Aber na ja, die Chancen standen momentan noch so schlecht, dass die Nachwirkungen ihrer jetzigen Handlungen ihr ziemlich egal waren.
Da sie aber vorhatte ihre Chancen zu steigen, war Revali ja nun hier. Den Vogel hatte sie schließlich nicht umsonst hergerufen. Ihr Plan war es ihren Horizont zu erweitern. Der Schwertkampf war eine Sache, doch mit dem Bogen konnte sie, wie man es in Hebra gesehen hatte, überhaupt nicht umgehen. Für Revali galt das Gleiche. Er war ein Meisterschütze, doch vom Schwertkampf hatte er keine Ahnung. Deshalb hatten Raisa und Revali heimlich, ohne dass irgendjemand es auch nur erahnen konnte, ausgemacht, den jeweils anderen in ihrer Kunst zu unterrichten.

Die Zeit war zwar knapp und zum Meister würde keiner von beiden in der neuen Kampfart werden, doch es sollte ausreichen, um sich in der Notsituation zu helfen zu wissen. „Also dann, die Zeit drängt. Lass uns beginnen", sagte Raisa und wandte sich ab. Mit den Flügeln vor der Brust verschränkt, folgte Revali ihr.

Raisa als eine Art Lehrerin, das konnte ja etwas werden.

Number 6Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt