37. Ein Bruchteil ihres Leidens

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  Raisa wandte sich von Revali ab. Ihr Blick war in die Ferne gerichtet. „Gut... Ich werde dir jetzt eine Geschichte erzählen. Ich weiß nicht, ob sie der Wahrheit entspricht, aber jeder sagt, dass dem so ist. Von daher...", fing sie an zu erzählen.
Revali's Blick lag auf ihr. Was genau dies werden sollte, wusste er nicht, aber er ließ sich nicht beirren und hörte ihr zu.


„Es gab mal ein hylianisches Ehepaar, welches angeblich glücklich war. Wie auch immer... Dieses hylianische Ehepaar wünschte sich wohl ein Kind. Und wie das Schicksal es so wollte, bekamen sie ein Kind", erzählte Raisa weiter. Es fiel ungemein schwer diese Worte über ihre Lippen zu bringen. Und, dass grade er derjenige war, der zuhörte, machte es nicht besser.


„Voller Vorfreude hatten sie also diese neun Monate abgewartet und als der Moment dann endlich kam und sie besagtes Kind auf Armen hielten... Als sie dieses Kind in den Armen hielten, war es wohl nicht so wie es sein sollte..."
Revali hörte ihr aufmerksam zu. Es war nicht zu übersehen und zu überhören, dass ihr es überhaupt nicht gefiel darüber zu reden. Aus diesem Grund stand sie auch so angespannt an dem Geländer und wagte es nicht zu ihm herüber zu sehen.


„Als sie in die fremden, goldenen Augen dieses Kindes blickten, wollten sie es wohl nicht mehr. Dieses Kind... Es war in ihren Augen nicht das, was es sein sollte. Es war eine Enttäuschung... Somit hatten sie beschlossen es loszuwerden...


Ich kann dir nicht sagen, Revali, was ich an mir habe, dass sie dazu gebracht hat so zu handeln. Ich weiß auch nicht, warum meine Eltern, wenn man sie überhaupt so nennen kann, mich so herzlos behandelten und zum Sterben zurück ließen. Aber seit ich diese Geschichte kenne, ist mir eins klar geworden. Nichts auf dieser Welt ist wertloser, als das Herz einer Person."


Er verarbeitete noch die Worte, welche sie sagte. Sie erschienen ihm abstrakt, niemand auf der Welt würde so handeln. „Du lügst doch wie gedruckt", sagte er voller Unglauben und verschränkte zum wiederholten Male seine Flügel vor der Brust.


„Du wolltest es hören, jetzt habe ich es dir gesagt und dann passt es dir auch nicht?!" Sie schrie ihn fast schon an, dabei war sie nicht im Geringsten wütend. Das kam unwillkürlich.
„Niemand lässt sein Kind einfach so zurück. Nicht einmal dir würde ich so etwas zutrauen und das sollte schon was heißen, findest du nicht?", rechtfertigte er sich. „Frag doch unser Prinzesschen, wenn du mir nicht glaubst", antwortete Raisa unbekümmert.


Sie hatte ihm die Wahrheit gesagt. Die komplette Wahrheit. Sie selbst hatte sich oft gefragt, was sie falsch gemacht hatte und warum sie nicht so geliebt wurde wie andere Kinder. Sie war sich zudem ziemlich sicher, dass sie eine andere Person wäre, wenn ihre Eltern sie behalten hätte. Aber wer wusste das schon?
Aber diese herzlosen Menschen, wenn man sie überhaupt Menschen nennen konnte, hatten es nicht einmal geschafft Raisa zu einem Waisenhaus zu bringen. Dass sie bei einem aufgenommen wurde, war reiner Zufall.


„Du sagst also, dass dies die Wahrheit ist?", fragte Revali nachdem einige Zeit Stille zwischen den beiden herrschte. „Ja", antwortete sie knapp. Um sicher zu gehen, würde er Zelda auf jeden Fall noch einmal fragen, aber wenn dies nun wirklich die Wahrheit war, dann... Er wollte nicht sagen, dass er sie verstand, lediglich das einige ihrer Charaktereigenschaften nachvollziehbar waren.
„Und jetzt verschwinde endlich! Geh mir aus den Augen!", rief sie zu ihm. „Ich will allein sein", fügte sie noch leiser hinzu. Revali blieb jedoch an Ort und Stelle stehen.
Sie nahm das als Provokation von ihm hin und fing an ihn einfach zu ignorieren.


„Was ist danach passiert?", verlangte er zu wissen. Sie lachte daraufhin auf. Dass er die Dreistigkeit besaß weiter zu fragen, obwohl es sie schon alle Mühe gekostet hatte einen klitzekleinen Teil ihrer Vergangenheit zu erzählen. Das was sie ihm grade offenbart hatte, war nur ein Bruchteil ihres Leidens. „Bist du von allen guten Geistern verlassen?", fragte sie schroff.


Eigentlich könnte sie sich ja schon dafür Ohrfeigen, dass sie überhaupt etwas aus ihrer Vergangenheit erzählt hat, immer hin wollte sie diese mit ins Grab nehmen, aber nun wollte er noch mehr? Sah sie in irgendeiner Art und Weise aus wie ein wandelndes Lexikon mit dem Titel 'Raisa's Leben'?
Wo sollte das denn hinführen? Bis zu....


Sie stoppte ihren Gedankengang ruckartig. Sie wollte vergessen und nun war sie schon wieder bei den Erinnerungen angelangt, die mehr als schmerzten. Bevor es noch weiter kommen konnte, handelte sie.
„Wenn du nicht gehst, dann geh ich!", sagte sie bitter und ging zu der Treppe, die hinunter nach Hyrule Stadt führte. „Warte", rief er ihr zu. Sie blieb stehen, um ihm zuzuhören, allerdings drehte sie sich immer noch nicht zu ihm um.
„Als du bei mir warst, habe ich etwas vergessen dir zu sagen." Und damit rückte er erst jetzt heraus? Jetzt wo sie grade dabei waren im Streit zu gehen? „Was willst du mir sagen?", fragte sie. Langsam war sie wirklich genervt von ihm und seinen Lappalien.


„Hättest du die Güte mich anzuschauen, wenn ich mit dir rede?", forderte er. „Hättest du die Güte deinen Schnabel zu halten, immer hin bist du derjenige, der mir etwas zu sagen hat?" Letztendlich war doch sie diejenige, die seiner Aufforderung nachkommen musste. Sie drehte sich zu ihm um und erwartete irgendein unnützes Geschwätz seinerseits.


„Ich habe vergessen mich bei dir zu bedanken. Danke"
Hätte sie in diesem Moment etwas getrunken, dann hätte sie es ausgespuckt.
Hätte sie etwas gegessen, dann hätte sie sich verschluckt.
Hätte sie ihr Schwert poliert, wäre sie womöglich abgerutscht und hätte sich den Arm fast abgesäbelt.
Sie glaubte einen Hörschaden oder Ähnliches zu haben. Hatte er, Revali das Federvieh, sich grade wirklich bei ihr bedankt? Aufrichtig? Das sollte doch ein schlechter Scherz sein.


„Wenn ich lachen sollte, dann würde dein Gesicht ausreichen", war alles, was sie dazu sagte. Er verdrehte genervt die Augen. „Könntest du Ernst bleiben? Ich meinte es wirklich so, wie ich es gesagt habe." Sich von ihm belehren zu lassen, war fast genauso schlimm, wie ihm Recht zu geben.


„Was soll das hier eigentlich werden?", fragte sie. „Was hältst du von einem Waffenstillstand?"

Number 6Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt