111. Raisas Weisheit

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„Glaubst du, unsere Vorbereitungen reichen aus, um der Verheerung etwas entgegenzusetzen?", fragte Revali Raisa, während beide über die Hylia Brücke gingen. Der Tag neigte sich langsam dem Ende zu und wie auch die letzten Tage hatten sie sich ihrem Training gewidmet. Für außenstehende sah es so aus, als würden die Recken langsam verrückt werden. Unabhängig voneinander und ohne dass sie sich untereinander aussprachen, vernachlässigten sie ihre Pflichten und trainierten. Nichts anderes als Training. Nun gut, eine Ausnahme bildeten Raisa und Revali, die hatten sich sehr wohl ausgesprochen.

„Wir tun alles erdenkliche, alles was in unserer Macht steht. Wir übertreffen und selbst mit jeden Tag aufs Neue. Wenn das nicht ausreicht, was sollen wir deiner Meinung nach tun?" Raisa war nicht optimistisch, eher realistisch. Und mit dieser Einstellung sah sie eine potenzielle Chance, den Kampf gegen die Verheerung zu gewinnen und zu überleben. Aber eben auch nur eine Chance. Was letztlich daraus wurde... Würde sich dann wohl am Ende entscheiden.

„Ob es die richtige Entscheidung war, niemanden weiter von dem baldigen Kampf zu erzählen? Ich brauche dir ja eigentlich nicht zu erzählen, dass ich mich gerne als den glorreichen Sieger darstelle, aber etwas so wichtiges totzuschweigen?" Raisa verdrehten nur die Augen. Aber na ja, seine Einsicht war der erste Weg zur Besserung.
„Was glaubst du würde passieren, wenn wir es bekannt machen? Totale Panik würde ausbrechen, die unsere Völker würden Hyrule in einem totalen Chaos verlassen und dieses Land wäre ein einziges Geisterland. Wir ständen dann alleine dort und sollte es uns misslingen, die Verheerung Ganon aufzuhalten, dann tut es auch kein anderer mehr. Wenn wir das nicht schaffen, dann ist es uns einfach nicht vorherbestimmt. Uns nicht, aber jemand anderen. Jedenfalls sollten wir Hyrule Stadt und das Schloss rechtzeitig evakuieren lassen, denn der Kampf wird dort stattfinden... Für Zelda und Link."

Natürlich war das, was sie taten nicht richtig, aber immer noch besser, als das komplette Volk in Aufruhr zu versetzen. „Wer hätte gedacht, dass dieser Titel noch viel mehr von uns abverlangt, als das reine Bekämpfen der Verheerung." Raisa sah etwas genervt zu Revali. Was hatte er denn gedacht? Dass einem alles auf dem Silbertablett serviert werden würde? Typisch für ihn.

Etwa bei der Hälfte der Brücke blieben beide stehen und schauten Richtung Sonnenuntergang über den Hylia-See. „Vielleicht sollte man das genießen. Wer weiß, ob unser aller Leben noch solange gehen wird, dass wir so etwas noch öfter anschauen können." In gewisser Weise würde sie ihm zustimmen, nur... „Ich habe keinen Sinn für so etwas", erwiderte sie.
„Und wie würdest du deine Zeit sonst verbringen?", fragte er sie. „Ich sage es dir. Ich würde zu meinem Titanen gehen, mich gegen eine der Wände lehnen, die Arme hinter dem Kopf verschränken und ein Bein über das andere legen. Dabei mache ich die Augen zu und alles was mich nicht interessiert, rückt ganz weit weg", erzählte Raisa. „Das ist so typisch für dich", erwiderte er bloß.

Wenn man Raisa fragen würde, seit wann Revali und sie sich gegenseitig nicht mehr so kritisch betrachteten, würde sie es nicht genau sagen können. Das kam einfach.
„Mipha's Gebet, Daruks Schirm, Urbosas Zorn und zu guter Letzt meine, Revali's Sturm. Wir Recken haben alle unseren Fähigkeiten einen Namen gegeben. Was ist mit dir?", wollte er wissen. Warum sollte sie etwas benennen, was sie nicht einmal anfassen konnte? „Muss ich mir jetzt allen Ernstes einen Namen ausdenken?" Was für eine Zeitverschwendung. „Es würde zumindest in Erinnerungen bleiben, wenn Chroniken über uns verfasst werden", antwortete er. „Mir fällt aber nichts ein." Sie hatte ja noch nicht einmal wirklich darüber nachgedacht.

„Zeit zum Nachdenken und Aussuchen dürftest du genug haben, oder nicht?", fragte Revali, als sie ihren Weg über die größte Brücke Hyrules fortsetzten. Da kamen Erinnerungen hoch. Erinnerungen an ihre erste Mission, die sie mit Revali bestritten hatte. Genau, als es nach Epysa ging. Epysa, der Stadt-Staat, den sie in die Luft gejagt hätte, hätte sie sich nicht noch rechtzeitig besonnen.
Es war so viel auf dieser Mission geschehen, an alles konnte sie sich schon gar nicht mehr richtig erinnern. Dennoch, es war eine Reise, die sie nie wieder erleben wollte. Wie so vieles...

„Hast du schon gehört? Zelda soll zur Quelle der Kraft gereist sein. Also versucht auch sie alles, um ihre Siegelkraft zu erwecken", erzählte Revali. „Versucht sie dies nicht schon seit Jahren? Da fällt mir ein... Sie wird doch bald siebzehn. Geht sie dann auch diesen bescheuerten Berg hinauf?"
Raisa bekam keine Antwort. Dennoch bekam sie eine. „Bist du denn nicht zu deinem siebzehnten Geburtstag zur Quelle der Weisheit gereist? Es ist doch Tradition, das die Mädchen in diesem Alter die Reise antreten, um vor der Göttin zu beten."
Sie und Traditionen... „Wenn ich tatsächlich mal beten sollte, was Zeit unseres Lebens nicht mehr vorkommen wird, dann kann ich das jede Sekunde, egal wo ich bin", erwiderte Raisa. „Du bist so...", fing er an und sie zog eine Braue nach oben. „Was bin ich? Ach warte, ich will es gar nicht wissen." Sie hörte ihn nur schnauben, was sie schon fast zufriedenstellte. „Und bist du zu dieser Quelle?", fragte Raisa, obwohl es sie nicht wirklich interessierte.

„Diese Tradition gilt für Mädchen, kurz bevor sie erwachsen werden", erwähnte er. „Ja, deswegen frage ich ja", erwiderte sie. Er funkelte sie böse an und sie erwiderte seinen Blick, ohne irgendeine Mimik. „Touché", sagte er einfach nur. Warum zuckten ihre Mundwinkel grade, so etwas hatte sie ja noch nie gehabt. „Ich hätte da übrigens einen Namen." Sie konnte selber nicht glauben, dass sie sich jetzt einen ausgesucht hatte. „Meine Gabe, ich nenne sie Raisas Weisheit." Sie war recht zufrieden mit den Namen. Besser konnte man es doch nicht beschreiben, oder?
„Raisas Weisheit." Revali wiederholte den Namen. „Klingt tatsächlich gar nicht mal so schlecht. Für deine Verhältnisse." Kaum hatte er zu Ende gesprochen, spürte er einen Schmerz und folglich ein Ziehen am Hinterkopf. Hatte sie grade allen Ernstes..?
„Wer hat mich denn aufgefordert einen Namen zu suchen?", fragte sie und ging mit verschränkten Armen voran. Diese Frau...hatte wirklich Nerven! Das war das Einzige, was Revali sich dazu dachte.

„Also dann, ich nehme an, wir sehen uns früher wieder, als mir lieb ist", sagte sie als sich die Wege von ihm und Raisa trennten. „Du sprichst mir aus dem Mund", antwortete er ihr. Gut, im Grunde genommen war dies das allseits bekannte 'bis morgen' und 'ja, bis morgen'. Aber bei Raisa und Revali können diese Worte nun mal nicht so gewöhnlich ausgetauscht werden. Der morgige Tag und der Tag danach... Die nächste Zeit würde ziemlich eintönig und hart werden.

Number 6Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt