52. Absturz

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  Sollte dies einer seiner blöden Scherze sein, dann konnte er sein Testament fertig machen. Allerdings, bestände dann immer noch die Chance, dass sie sich vielleicht doch täuschte. Wenn er wirklich dasselbe wie sie fühlte, war diese Chance gleich null. Konnte sie Revali trauen oder nicht?
„Dann stellt sich nur die Frage, woher dieses Gefühl kommt", sagte sie und schaute sich, mal wieder, um. Beide schwiegen, man könnte meinen, dass sie nur darauf warteten, dass etwas passierte. Man hörte die beiden nicht einmal atmen.


Doch es passierte, wider aller Erwartungen, nichts. Die Nacht war still, einzig und allein das Schnauben des Pferdes holte beide wieder aus ihrer Trance.
„Wir sollten weiter. Es hat keinen Sinn hier die Zeit tot zu schlagen und auf etwas zu warten, von dem wir nicht wissen, ob es passiert." Wahre Worte von Revali, aber ob man sie wahrhaben wollte, war etwas anderes. „Ich habe nicht die Lust, mich in irgendetwas hineinzureiten. Im wahrsten Sinne des Wortes. Ich will dem auf den Grund gehen", sagte sie. Revali's genervtes seufzen daraufhin sprach Bände.


„Dann sag mir, was gedenkst du zu tun? Du kannst hier nichts tun. Vergiss nicht, wir sind hier nicht aus Jux und Tollerei. Wir haben einen Auftrag, den wir in einer bestimmten Zeit zu erfüllen haben. Entweder du kommst jetzt mit oder ich lass dich hier weiter philosophieren, allein versteht sich."
Hatte er nicht vorhin gesagt, dass er auch ein ungutes Gefühl hatte? Wieso war ihm das so egal?
„Wenn irgendetwas passiert, dann werde ich dich so dermaßen dafür büßen lassen", drohte sie und trieb ihr Pferd letztendlich wieder an.


Der weitere Ritt durch die Schneelandschaft verlief den Umständen entsprechend ganz gut. Die Wolken hatten sich endlich vom Nachthimmel verzogen und so konnten sie sich endlich an den Sternen orientieren. Jetzt wussten sie zumindest, in welche Richtung sie mussten.
Ein anderes Problem, welches sich anbahnte, war die Tatsache, dass es Nacht war und die Körper der beiden so langsam aber sicher Ruhe forderten. Ein nerviges Gefühl, wenn die Augen immer schwerer wurden und es ein Segen wurde, diese für eine längere Zeit geschlossen zu halten.
Ebenfalls unerträglich wurde es jeden Muskel des Körpers zu bewegen. Revali, der die gesamte Zeit seine Flügel bewegen musste, konnte davon sicherlich ein Lied singen. Aber auch sie musste sich bewegen, um sich irgendwie noch ein bisschen warm zu halten. Und würde sie einschlafen, würde sie wahrscheinlich gar nicht mehr aufwachen. Der Schlaf wäre ihr Tod.


Revali sah die Sache ein wenig anders. Er sah Raisa, wie sie auf ihrem Gaul saß, nichts tat und sich transportieren ließ. Während sie also das Nichtstun genoss, musste er mit vollem Körpereinsatz neben ihr fliegen. Und das war alles andere, als angenehm.
Raisa unterdrückte ein Gähnen und verfluchte diese eisige Hölle, in der sie sich befand. Wie lange sollte das noch so weiter gehen? Sie war kurz davor zu einem menschlichen Eiszapfen zu werden. Ihre Zehen konnte sie zumindest nicht mehr spüren. Und ihre Finger wurden auch langsam taub. Dass sie die Zügel noch halten konnte, war ein Wunder...


Der Weg, wenn man dies überhaupt einen Weg nennen konnte, lag zwischen zwei riesigen Bergen. Da sie keine Alternative kannten und auch keine sahen, waren sie gezwungen diese Passage zu nehmen. Jedenfalls, die Spitzen dieser Berge waren so hoch, dass man sie kaum sehen konnte. Vielleicht lag es auch einfach daran, dass sie zu müde war, um etwas zu sehen.
„Hörst du mir überhaupt zu?", hörte sie die genervte Stimme des Federviehs. Der klang auch mal besser. „Wer hört dir schon freiwillig zu?", fragte sie, woraufhin er schnaubte. Hörte sie nun auch schon schlecht? Die Zeit hier in Hebra wurde ja immer besser...


Ihre sonst so empfindlichen, hylianischen Ohren hörten erst das nächste Mal auf, als sie ein lautes Poltern und Rascheln wahrnahmen. Auch Revali hörte auf. Die Ursache für diesen Lärm war schnell gefunden. Für Revali war dies mit Sicherheit kein Problem, für Raisa ein sehr großes.
Die Berge, die sie umgaben, ließen ihren Schnee herunter sausen. Um es klar auszudrücken: Lawinen!
„Lauf", brüllte Raisa ihr Pferd an und haute dem armen Tier unsanft ihre Füße in die Flanken. Die Müdigkeit war weg, als hätte es sie nie gegeben. Stattdessen machte sich Adrenalin in ihrem Körper breit.


Was Revali grade machte oder was aus ihm wurde, war ihr herzlich egal. Alles, was für sie grade zählte, war ihr eigenes Überleben. Deshalb achtete sie nicht auf den Orni, sondern nur auf sich und ihre Umgebung.
Und während sie hoffnungslos versuchte, den immer näher kommenden Schneemassen zu entweichen, wurde ihr eins klar. Dies war kein Zufall! Da hatte jemand Hand angelegt! Niemals würde sich der Schnee von beiden Bergen gleichzeitig verabschieden. Das müsste schon mit dem Teufel zugehen!
...Aber darüber sollte sie sich wirklich später Gedanken machen. Wenn es ein später gab, denn nirgends konnte sie ausweichen.


Während das Pferd durch den Schnee peste, schaute Raisa nach hinten und beobachtete die Schneemassen. Das sah ganz schlecht aus. Und auch das Pferd, das durch den Schnee raste, konnte keine Zeit mehr einholen. Zumal es auf diesem auch hin und wieder etwas wegrutschte.
Aber Raisa dachte gar nicht daran mit dem Antreiben aufzuhören. Nicht jetzt, wo jede Sekunde zählte.


Der Weg vor ihr war beschwerlich. Sie riss die Zügel nach rechts, nach links, dann musste der Gaul über ein Hindernis springen, rutschte bei der Landung weg und verlor wieder sein Tempo. Erneut schaute sie nach hinten. An einigen Stellen trafen sich die Schneemassen der beiden Berge schon. Somit wurden die beiden Lawinen zu einer riesigen.
„Hylia, wenn ich das überlebe, werde ich dem Waffenstillstand zustimmen, ich schwöre es!", sagte Raisa zu sich selber. Vor ihr ging es etwas bergauf, da es keinen alternativen Weg gab, ritt sie weiter und nahm das Risiko in Kauf, nicht zu wissen, was sie erwarten würde. Und es stellte sich als ein ganz großer Fehler heraus.


Es ging steil bergab, sehr steil! Nicht so, dass sie freien Fall hatte, aber das Pferd rutschte herunter, ohne Halt zu gewinnen. Ein paar Sekunden später knickte es weg und überschlug sich. Dabei fiel Raisa aus dem Sattel rollte ebenfalls aufs unangenehmste den Abhang hinunter. Eine Möglichkeit das zu stoppen, gab es nicht. Dafür ging es auch viel zu schnell.
Ehe sie sich versah, schlug sie auf etwas unfassbar hartes auf, gefolgt vom lauten knarzen. Sie versuchte aufzustehen, was sich als unmöglich erwies, da sich bei ihr immer noch alles drehte.
Erst als ihr Blick etwas klarer wurde, erkannte sie, dass sie sich auf einer großen Eisfläche befand, die von großen Rissen geziert war. Sie rührte sich kein bisschen. Das allerletzte, was sie wollte, war ein Bad im eiskalten Wasser.


„Raisa!" Keine Zweifel, das war das Federvieh. Sie hatte keine Ahnung, wo er war, weshalb sie sich umsah. Dabei machte sie die nächste großartige Entdeckung. Der Gaul war kurz davor auf das Eis zu klatschen, wie sie zuvor.
Ohne groß zu überlegen, sprang sie auf und versuchte von der rutschigen Oberfläche zu kommen. Doch sie hatte keine Chance. Das Pferd flog auf das Eis und der Boden unter ihren Füßen gab endgültig nach.


Raisa erwartete das eiskalte Wasser, aber es kam keins. Stattdessen flog sie wieder in die Tiefe. Wie auch immer ein solches Loch unter einer Eisschicht kam, wusste sie nicht. Darüber nachdenken konnte sie auch nicht.
Sie versuchte vergebens ihren Flug an der unebenen Wand zu stoppen. Dabei riss sie sich vermutlich ihre Hände auf, aber etwas Besseres kam ihr auch nicht in den Sinn. Irgendwie blieb sie dann doch einen Moment hängen, als hätte sie etwas gepackt, allerdings schien dies nicht gehalten zu haben und so flog sie weiter.
Allerdings nicht mehr lang, sodass der Aufprall auf dem Boden schnell erfolgte. Sie landete mit dem Rücken auf dem harten Boden, wodurch ihr jegliche Luft aus ihren Lungen entwich und sie auch nicht atmen konnte.
Und dann...war alles weg.

Number 6Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt