64. Wiedererkennung

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  „Kann ich noch etwas für Euch tun, euer Majestät?", fragte Raisa und klang dabei schon wieder eher, wie sie es sonst immer tat. Nun, da der König und sie allein im Saal waren und lediglich vor dem Thronsaal die Wachen standen, ließ sie ihre normale Natur wieder etwas heraushängen. Eine gewagte Sache, doch das war ihr nicht wichtig.


„Dein Antlitz kommt mir schon seit unserer ersten Begegnung, am Tag der Recken, bekannt vor. Du bist das Mädchen, welches Zelda vor einigen Jahren in dieses Schloss gebracht hatte, nicht wahr?" Oh, sie hatte mit allem gerechnet, doch nicht damit. Damals hatte der König sie nur für einen kurzen Moment gesehen. Und sie konnte stolz behaupten, dass sie sich seit damals deutlich verändert hatte. Raisa war zu dieser Zeit erst wenige Tage vierzehn Jahre alt. Nun hatte sie fast ihre Volljährigkeit, ihr achtzehntes Lebensjahr, erreicht.


„Das ist richtig", antwortete sie knapp. Ihr Blick wurde kälter und sie spannte sich etwas an. Nicht, dass sie Angst hätte oder nervös war – sie zeigte nur, dass ihre Persönlichkeit auch ihre Verteidigung war – wie eine schützende Rüstung. „Du hast dich wirklich in vielem verändert...", bemerkte der König. Raisa wusste nicht, was sie von alldem halten sollte. Eine wahrlich seltsame Situation.
„Nur in einem nicht: du verstößt gegen die Gesetze Hyrules!"
Sie wusste schon, warum sie eine solche Haltung angelegt hatte. Jetzt war der Moment gekommen, wo sie also zu ihren Taten stehen sollte? Das könnte interessant werden...


„Mit Verlaub, euer Majestät, würde man anfangen jede Ungerechtigkeit dieser Welt zu bemängeln, würde man in einhundert Jahren noch nicht fertig sein. Und anfangen müsste man dann auch schon gleich hier in Hyrule Stadt. In dieser Stadt gibt es mehr Ungerechtigkeiten und Gesetzesbrüche, als ich je im Leben begehen könnte."
Damit hatte sie den Bogen deutlich überspannt, das wusste sie, doch endlich bekam sie ihre Gelegenheit all das loswerden. Endlich konnte sie dem Adel die unschöne Wahrheit sagen! König Rhoam mochte vielleicht ein guter König sein, aber ihm mussten die Augen geöffnet werden. Und da alle anderen zu viel Angst vor möglichen Strafen hatten, machte sie es.


„Wenn du nicht eine Freundin von Zelda wärst und viel für sie tun würdest, wenn du nicht schon einiges Gutes für Hyrule getan hättest und wenn du nicht die einzige Person wärst, die Vah Inazuma steuern kann, hättest du dich schon längst für alles verantworten müssen." Hatte er grade indirekt gesagt, dass er über ihre Vergehen hinweg sehen würde? Kam das ganze Glück, welches sie in den letzten Monaten nicht hatte, jetzt auf einen Schlag zurück?
„Und was ist mit der Zukunft?", fragte sie unbekümmert. Als sie des Königs finsteren Blick sah, wusste sie, dass sie nun wirklich zu weit gegangen war.
„Warum tust du das überhaupt? Du hast einen freien Wunsch, schon vergessen?", fragte er und verlangte den Grund für ihre Taten zu wissen.


„Das Leben von 'einfachen' Menschen ist nicht immer leicht. Und mein Wunsch... Den brauche ich vorerst noch." Und soweit sie das alles mitbekommen hatte, würde ihr sowieso nichts passieren. Zumindest solange die Verheerung noch nicht besiegt war. Denn, bis zu diesem Moment wurde sie gebraucht. „Du hast dem sonst nichts mehr beizutragen?", verlangte er zu wissen.
„Nein, euer Majestät." Würde sie nun so einfach gehen können oder würde es doch noch Probleme geben? „Eines will ich noch von dir wissen, bevor du gehen kannst." Raisa unterdrückte ein genervtes Stöhnen und richtete ihren Blick wieder auf den König.
„Hast du bereits deine Fähigkeit als Recke bekommen?", fragte König Rhoam.
„Ich bin nicht sicher." Das war gelogen, das wusste sie, aber es war besser für den königlichen Hof. Ihre Fähigkeit war nicht zuverlässig und konnte deshalb eine Menge Schaden anrichten. Sie würde es erst verraten, wenn sie wusste, dass auf ihre Fähigkeit zu hundert Prozent verlass war. Solange durfte es nur das Federvieh wissen.


„Du bist dir nicht sicher? Was soll das heißen?", fragte der König nach.
„Ich habe eine Vermutung. Doch solange ich mir nicht sicher bin, will ich niemanden etwas Falsches erzählen." Klang dies plausibel? Sie hoffte es, denn etwas Besseres war ihr nicht so schnell eingefallen. „Gut", sagte der König, „für heute bist du entlassen." Na endlich, länger hätte sie dies womöglich auch nicht mehr ausgehalten. „Ja, euer Majestät", sagte Raisa und drehte sich nach einem Moment um, um den Thronsaal zu verlassen. Und dieses Mal wurde sie nicht zurückzitiert.
Immerhin hatte dieses geschwollene Reden endgültig ein Ende.


Langsam und mit aller Zeit der Welt ging sie die Treppen hinunter und die Flure entlang. Es war doch nur Zelda, welche auf Raisa wartete, von daher konnte sie sich auch Zeit lassen. Als sie die Schwerter an den Wänden sah, die dort aufgehängt wurden, kam ihr wieder in den Sinn, dass ihr eigenes Schwert zerbrochen war. Wie sie dieses Problem beseitigen sollte, wusste sie noch nicht. Ihr Schwert war speziell gefertigt worden und sie bezweifelte, dass es in Hyrule Stadt einen Schmied gab, der die Klinge rekonstruieren konnte. Konnte man dies überhaupt?
Da fiel ihr ein... Was hatte Revali noch gesagt? Sie sollte Daruk aufsuchen? Das wäre vielleicht mal eine Überlegung wert. Die Goronen waren Meister der Schmiedekunst, auch, da sie einen reichhaltigen Vorrat an Edelsteinen und weiteren Materialien zum Verarbeiten besaßen. In dieser Hinsicht war der Todesberg vermutlich Gold wert.
Und mit Daruk würde es sich doch sicherlich irgendwie regeln lassen, dass ihr Schwert günstig repariert wird. Wenn nicht... Nun, das wäre wirklich schade. Es war eines der Schwerter, welche sie mit Seina zusammen geklaut hatte. Es war ein Schatz von Hyrule Stadt und sie hatte ihn eiskalt geraubt. Dieses Schwert... War eines der wenigen Überbleibsel aus jener Zeit.


Bei ihrem Spaziergang durch das Schloss kam sie schließlich in dem Flur an, in welchem die Porträts der Könige und Königinnen von Hyrule aufgehängt wurden. Als letztes war natürlich Zelda zu sehen. So schweigsam, wie sie auf dem Bild war, könnte sie auch ruhig in Wirklichkeit werden.
Unweigerlich schlich sich in Raisa's Kopf der Gedanke, wie ihr Leben wohl als Adlige aussehen würde. Wenn sie kein Straßenkind geworden wäre. Eine gute Regentin wäre sie jedenfalls nicht geworden, doch bestimmt hätte sie ihr Leben bis zu einem gewissen Punkt voll und ganz genossen. Sie hätte das königliche Leben solange ausgenutzt, wie es nur ginge und wenn die Pflichten gekommen wären... Tja, was hätte sie dann gemacht?


„Zeitverschwendung. So etwas brauch ich nicht", sagte sie nach einiger Zeit zu sich selbst und ging weiter. Schwer vorzustellen, aber Raisa würde nie freiwillig zu einer Adligen werden wollen. Diese Verpflichtungen und der ganze Druck war nichts für sie. Da konnte man ihr mit noch so viel Reichtum ankommen, da blieb sie lieber so, wie sie jetzt war.
An Zelda konnte man doch am besten sehen, wie sehr einem dieser Hokuspokus zusetzten konnte. Wäre die Widerkehr der Verheerung auch nicht vorausgesagt worden, wäre die Prinzessin mit Sicherheit irgendwann fortgelaufen. Zumindest glaubte sie das.

Number 6Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt