73. Unaufhaltsame Tränen

442 31 1
                                    

  Revali wusste nicht, was er sagen sollte. Im Nachhinein wünschte er sich doch, dass er nicht nachgefragt hätte. Nun war alles ausgesprochen und nicht mehr zu ändern. Ganz gleich, ob er es sich wünschte oder Raisa selbst.
Wie sollte er in Worte fassen, was grade in seinem Kopf vorging? Es war, als würde man ein Puzzle zusammenlegen. Auf den ersten Blick ergab nichts einen Sinn, doch mit jedem Teil, das seinen Platz fand und richtig angeordnet war, versiegte das Unwissen und das Bild wurde vollendet. Kein Vorgang könnte diese Person,...könnte Raisa und die Art, wie er sie kennenlernt, besser beschreiben.
Jetzt konnte er jedenfalls verstehen, warum Raisa so einen grausamen Charakter hatte. Der Tod ihrer besten Freundin hatte sie verändert. Sie hatte diesen nicht verkraften und fühlte sich noch immer von ihm verfolgt.

Also, was sollte er sagen? Er hatte nicht mit etwas Derartigen gerechnet. Auch, weil solche Geschichten eigentlich nie von irgendwem preisgegeben wurden. Und obwohl es Raisa war, irgendwo traf ihn diese Geschichte ja schon. Zumindest zwang sie ihn zum Nachdenken und Überdenken.

Revali sah zu ihr herüber und was er sah, ließ ihn kurz glauben, dass er halluzinierte. Tränen. Es liefen doch tatsächlich Tränen Raisa's Wange herunter, während ihr Blick gen Himmel gerichtet war.
„Eigentlich hatte ich mir fest vorgenommen nicht zu weinen. Ich bin wirklich miserabel darin, meine eigenen Schwüre zu halten. Jetzt sind es schon zwei... Aber was soll ich machen? Sie kommen, ohne dass ich es will. Ich kann es nicht kontrollieren... Sie sind unaufhaltsam", sagte sie, während sie den Kopf hängen ließ und mit ihren Händen durch ihr Haar fuhr. Ihrer Reaktion entgegen war ihre Stimme noch immer kalt und bitter. Als wäre ihm dies nicht schon unangenehm genug, sagte sie nun etwas, was wirklich hart war. „Es steht dir frei zu lachen." Das musste er erstmal verdauen.

„Sehe ich in irgendeiner Art und Weise so aus, als würde ich hier und jetzt lachen wollen?!" Es war ja ein offenes Geheimnis, dass er keinen guten Stellenwert bei ihr hatte, doch traute sie ihm das wirklich zu? „Zutrauen würde ich es dir", kam auch sogleich die Bestätigung von Raisa.

Im Nachhinein...bereute sie es wirklich, ihm davon erzählt zu haben. Eigentlich wollte sie diese Geschichte doch mit ins Grab nehmen. Nie sollte jemand anderes, außer Zelda, davon erfahren!
Doch sie war in Selbstmitleid und Frustration versunken, weshalb sie der erstbesten Person davon berichtete. Aber wenn sie ehrlich war, dann war es auf eine gewisse Weise doch befreiend, sich mal das Leid von der Seele zu reden. Und außerdem konnte sie nach vier Jahren auch mal ihre Stärke kurz beiseitelegen und fühlen wie sie wollte. Und das fühlte sich gut an, Ja, sie war wahrlich erleichtert.

Sie wischte sich die Tränen weg, die nun endlich versiegten und stand auf. Trotz ihrer hellen Haut war sie keine Person, der man ansah, wenn sie geweint hatte.
„Nun, ich denke, wir haben uns nichts mehr zu sagen, oder? Und du... Ist im Schloss nicht irgendein festlicher Hokus Pokus, an dem du teilnehmen musst?", fragte sie und sah zu ihm auf.
„Ich habe dir sehr wohl noch etwas zu sagen", erwiderte er. Sie zog eine Augenbraue nach oben.
„Wenn es dein Mitleid ist, dann will ich es nicht." Sie war doch schon wieder fast die Alte. Er schüttelte jedoch nur den Kopf.

„Ich denke, ich kann dich nun gut verstehen. Nun, alles nicht. Manches Mal frage ich mich wirklich, ob du deinen Menschenverstand verloren hast, aber abgesehen von diesen Momenten hast du nun Licht ins Dunkle gebracht", erklärte es. Sie fragte sich jedoch nur, was er mit dieser Aussage bezwecken wollte. „Nützen tut es dir aber auch nichts", erwiderte sie und ging ein paar Schritte von ihm weg. Da fiel ihr noch eine Kleinigkeit ein, die sie sich in Hebra geschworen hatte. Da dieser Tag sowieso zu jenen zählte, die sie für immer aus ihrem Gedächtnis verbannen wollte, machte das jetzt auch nichts mehr, wenn sie ihm davon berichtete. Nur wie fing sie dies am besten an?

„Du musst wissen, seit dem Tag an welchen ich den Deku Baum besucht habe, habe ich viel nachgedacht. Um ehrlich zu sein, war ich einem inneren Konflikt ausgesetzt. An was ich halten und an was ich glauben sollte, wie ich den Weg in die Zukunft beschreiten sollte, wenn ich die Vergangenheit verweigerte. Mit jedem Schritt, den ich weiter voran ging, zog sich die Schlinge der Vergangenheit nur enger um meinen Hals, auf das ich an dieser Inakzeptanz irgendwann verenden sollte. Der Deku Baum riet mir, dass ich loslassen sollte. Diese Schlingen und die Bürde, dich ich mir selbstauferlegt hatten, sollten verschwinden, im Gegenzug musste ich jedoch endlich akzeptieren, was gewesen war. Ich glaube, ich habe es heute geschafft."

Revali hörte ihr Aufmerksam zu. Das war eigentlich gar nicht Raisa's Art, solche Reden zu schwingen. Nun war er derjenige, der sich fragte, was sie bezwecken wollte.

„Ehrlich gesagt, war es mir zu Beginn meine Aufgabe als Recke vollkommen egal. Ob die Verheerung gewann oder nicht, das war für mich irrelevant. Ich habe verloren, was mir am wichtigsten war und deshalb war ich wie besessen davon Seina's und das meine Versprechen von damals zu erfüllen. Und hätte ich dies bis vor kurzem erreicht, wüsste ich nicht, wo ich jetzt stehen würde. Aber durch meine Zeit hier und der Tatsache, dass ich so lange überlegt habe, bin ich zu einem Entschluss gekommen. Ich werde...leben. Und das bedeutet, ich werde meine Aufgabe als Recke erfüllen. Ich werde Hyrule im Kampf gegen die Verheerung verteidigen und zum Sieg führen. Dann bin auch ich, trotz meiner Herkunft, zu einer Person geworden, zu der man aufsehen kann. Ich weiß, das klingt so, als würde ich diesem Versprechen noch immer hinterher eifern, aber eine Sache hat sich verändert. Ich tue es nicht, um es dann getan zu haben und abschließen zu können. Ich tue es, damit es eine Zukunft gibt, die ich mir aussuche."

Sie hätte nicht gedacht, dass sie so entschlossen sein würde. Vor allem auch, da sie kurz zuvor Revali den Vorfall von vier Jahren berichtet hatte. Aber da der Orni noch immer schwieg, fuhr sie fort.
„Aber damit ich meine eigene Zukunft habe, muss nun mal die Verheerung Ganon bezwungen werden. Allerdings... Ich bin von der Überzeugung, dass wir nur als Team das schaffen. Leider.
Deshalb...stimme ich dem Waffenstillstand zu." Jetzt war es raus.

Revali glaubte, sich zu verhören. Ungefähr schon das fünfte Mal an diesem Tag. War die Person vor ihm wirklich Raisa oder hatte er doch jemand falschen erwischt, der ihr zum Verwechseln ähnlich war? Letzteres glaubte er nämlich eher. „Bist du noch bei Verstand?", fragte er ungläubig.
„Mehr als du glaubst. Und glaub bloß nicht, dass ich mich in irgendeiner Art und Weise verändere. Ich tue das alles nur für mich selbst und mein Wohlergehen", sagte Raisa. Wie typisch für Raisa. Dennoch hielt sie ihm ihre Hand entgegen. Irgendetwas mehr als Komisches hatte dieser Moment, doch das ignorierte sie. Mit etwas Argwohn ergriff er ihre Hand.

Damit war es wohl besiegelt. Er und sie würden sich nicht mehr umbringen oder angreifen. Zumindest war dies nun die Abmachung. „Allerdings werde ich nicht aufhören, dich zu beleidigen", stellte sie fest. „Du glaubst doch nicht, dass ich aufgehört hätte. Du bist immer noch dieselbe grauenhafte Person, wie vorher", sagte er und zog seinen Flügel weg. Ein süffisantes Grinsen legte sich auf ihre Lippen. Raisa drehte sich um und ging langsam.
„Du solltest langsam zurück. Die anderen werden dich schon sicher vermissen", sagte sie mit ironischen Unterton. Er gab darauf nur einen abwertenden Laut von sich. „Mehr als dich." Damit hatte er wahrscheinlich sogar Recht. Selbst wenn, es konnte ihr ja auch egal sein. Sie hatte noch etwas zu erledigen. In drei Tagen, ja in drei Tagen musste sie jemanden besuchen.  

Number 6Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt