102. Erneut im fremden Heim

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Dass Revali nicht sonderlich darauf achtete, dass Raisa auf seinem Rücken mit wenig Halt saß, war ja zu erwarten. Doch sie hatte den Eindruck, dass er es mit Absicht ein wenig übertrieb. Aus diesem Grund hatte sie bei seinem letzten 'Ausrutscher' ihm etwas zu stark an den Federn gezogen. Zwei der blauen Federn segelten nun im Wind, bis sie zu Boden kamen. Jedenfalls war Revali aus diesem Grund wirklich schlecht gelaunt.
„Weißt du eigentlich, dass du verdammt schwer bist?", fragte er. Und wenn sie ehrlich war, dann wusste sie nicht, was er damit nun bezwecken wollte. Sie sah keinen triftigen Grund. Seine Aussage an sich war ja auch ziemlich bescheuert. Ihm war schon bewusst, dass sie ein wenig unterernährt war? Raisa würde alles dafür geben, um ein paar Kilo schwerer zu werden. Lieber zu viel, als zu wenig. War ihr doch relativ, ob sie dann immer noch attraktiv aussehen würde oder nicht. Zumal sie dies ihrer Meinung nach jetzt auch nicht aussah. Jedoch, wenn sie das Glück dann hätte, mit den paar Kilos, dann müsste sie nicht mit dem Gedanken leben, verhungern zu können.

„Du bist einfach zu schwach", konterte Raisa. Ein Schnauben seinerseits – typisch. Sie hatte schon überlegt, wo Revali eventuell hinwollte. Das Dorf der Zoras lag bereits hinter ihnen, zu Vah Inazuma schien er auch nicht fliegen zu wollen, somit blieb nur noch das Dorf der Orni. Seine Heimat also. Raisa überlegte: welchen Ort mied sie mehr? Das Dorf der Orni oder Hyrule Stadt? Eine schwere Entscheidung.

„Ist es nicht seltsam, dass wir immer Ausreden für unsere Taten suchen?", fragte Revali. Diese Frage kam so unerwartet, dass sie für einen Moment tatsächlich neben der Spur stand. „Was?", fragte sie, in der Hoffnung, sich letztlich doch noch verhört zu haben. Ausreden für ihre Taten? Was in drei Teufelsnamen lief momentan falsch mit dem Federvieh? Andauernd redete er unsinniges Zeug, benahm sich seltsam und außerdem hatte sie fast schon das Gefühl, als würde er die gesamte Zeit über etwas wollen.
„Du findest das seltsam? Das ist nun mal die Art, wie wir alle miteinander leben. Wer steht schon gerne für etwas grade?", fragte Raisa zurück. „So habe ich das nicht gemeint", entgegnete Revali ihr jedoch. Gut, jetzt hatte sie wirklich keine Ahnung mehr, was er wollte. Also... Es gäbe da schon noch etwas, aber lieber würde sie sich von einer Hand trennen, als dies wahrhaben zu wollen.
„Drück dich klarer aus!" Sie wollte es von ihm hören. Vielleicht irrte sie sich ja doch. „Das brauche ich nicht, ich weiß, dass die bewusst ist, was ich meine." Das nannte er sich klar ausdrücken?

„Ich denke, wir reden aneinander vorbei oder denken beide an etwas anderes." Auch wenn er es nicht sah, sie setzte wieder einen grimmigen Blick auf. „Das bezweifle ich." Wollte er sie provozieren oder was versuchte er zu erreichen? „Gut ich beweise dir das Gegenteil", sagte Raisa.
„Ich habe deine gesamten halben Erklärungen so gedeutet, dass du mir weismachen willst, dass wir beide jedes Mal, wenn wir uns tatsächlich etwas nahe stehen, eine Ausrede dafür suchen. Jetzt komm mir nicht mit irgendwelchen Sprüchen, ich reiße dir sonst dein Gefieder vom Leib!" Raisa hatte so schnell gesprochen, dass sie davon ausging, dass er es eh nicht verstanden hatte. War das grade schon wieder eine kleine Ausrede? Na ja, vielleicht so etwas in der Art.

„Genau das habe ich versucht dich zu vermitteln. Du scheinst ja doch nicht so dumm zu sein." Seine letzte Aussage ignorierend, versuchte sie zu protestieren anhand von Beispielen, wo es eben nicht so war, wie er es behauptete, doch ihr fiel nichts ein. Das war äußerst...seltsam.
„Und was hältst du davon, wenn wir so tun, als hätte dieses Gespräch nie stattgefunden? Du lebst dein langweiliges Leben weiter, ich das meine... Und fertig?" Es war nichts Ungewöhnliches, das sie dem, was ihr widerstrebte, aus dem Weg gehen wollte. Doch irgendwie und dies war beiden klar, würde dies nicht so einfach werden, wie als wenn sie nach Streitereien auseinander gingen. Aus diesem Grund war ihr Vorschlag fast schon rhetorisch.

Nun, wenn man jetzt weg von all den seltsamen, verwirrenden und... Ihr fiel nichts weiter ein, was ihren Flug zu dem Dorf der Orni noch beschreiben könnte... Jedenfalls, all diese zwischenmenschlichen Dinge schob sie nun beiseite. Sie war nun in der Heimat des Federviehs und konnte sich mental darauf vorbereiten, ihm mitzuteilen, dass sich sein Leben dem Ende zuneigte. Nicht nur das seine doch vermutlich wird ihm dies am härtesten treffen. Was Raisa selbst anbelangte... Sie konnte nicht von sich selbst behaupten, dass sie abgeschlossen hatte, doch mittlerweile konnte sie mit dieser Nachricht schon besser umgehen. Sie war eben abgebrüht und kalt.

Raisa's Blick fiel misstrauisch auf Revali, der bereits weiter ging und dabei war, mittels der großen Holzwendeltreppe im Dorf der Orni, hochzugehen. Zwei Dinge: erstens, warum ging er, wo er doch sonst immer so stolz darauf war, fliegen zu können. Zweitens, erwartete er wirklich, dass sie ihm folgte?

Und ehe sie sich versah,...saß sie am Tisch, der zur Einrichtung des Zuhauses von Revali gehörte. Bereits zum zweiten Mal war sie nun hier. „Du wolltest reden. Jetzt sitzen wir hier und schweigen uns an. Ich hatte dich sonst nicht als so zurückhaltend empfunden." Seine Worte waren ganz klar darauf ausgelegt sie zu provozieren. Schon wieder. Doch mittlerweile konnte sie auch das bereits ertragen.
„Halt deine Klappe, ich bin nicht zurückhaltend. Wenn es nach mir ginge, dann würde ich dir drei Worte in dein dämliches Gesicht werfen und gehen. Doch... Damit würde ich alles nur noch schlechter machen, als es sowieso schon ist." Raisa versuchte die passenden Worte zu finden, doch es gelang ihr einfach nicht. Sie konnte... Nein, sie wollte nicht Revali sagen, dass er sterben würde und dass dieses Mal nichts verändert werden konnte. Sie hatte keine Ahnung, warum es ihr so unglaublich schwerfiel, dies zu sagen. Vermutlich hatte sie das selber doch noch nicht so verkraftet, wie sie es gerne hätte.

Es ging hier schließlich nicht um eine Wunde, die mit der Zweit verheilen würde. Die Gewissheit aufs grausamste zu sterben, würde sie bis zu ihren letzten Sekunden begleiten. Außerdem hing auch einiges davon ab, wie sie es Revali erzählte. Hatte sie den Stein erst einmal zum Rollen gebracht, dann gäbe es kein Zurück mehr.

Seufzend fuhr Raisa sich durch das Gesicht und anschließend durch ihre Haare, die im Übrigen viel zu lang geworden waren. „Ich weiß nicht, wie", gab sie, genervt von sich selbst, zu. Ja, sie war im Moment etwas ratlos und sie gab es zu.

Number 6Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt