99. Dem Sonnenuntergang entgegen

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„Jetzt beruhigt euch Kinder und hört auf zu streiten..." Daruk versuchte den Streit, der sich zwischen Raisa und Zelda anbahnte, zu stoppen. Sowohl ihr, als auch der Prinzessin legte er eine Hand auf die Schulter und zwang beide fast schon zur Ruhe. „Das letzte, was wir jetzt gebrauchen können, sind eure Streitereien." Revali schnaubte und verschränkte die Flügel vor der Brust. Die giftigen Blicke, die er kassierte, ignorierte er gekonnt.


Er konnte nicht nachvollziehen, warum Raisa ein solches Gewese machte und nicht einfach den anderen verriet, was ihre Reckenfähigkeit war. So schlecht war diese doch gar nicht... Und mit Stolz hatte das ja wohl auch nichts zu tun. Da musste wohl mehr hinter stecken. Ob er sie verraten sollte? Nein, das würde ihm nichts bringen, außer eine mordlustige, emotional gestörte, wegen der er womöglich um sein Leben bangen musste. Könnte er doch nur in ihren Kopf hineinsehen.


„Da ist sie, die Wasserstraße zum Dorf der Zoras. Ich werde schon einmal nach Hause schwimmen und euch ankündigen." Mipha sprang in den Fluss und schwamm den Strom zum Dorf hinauf. Wie schön, dass Raisa nun mit den anderen zurückblieb.
„Ich werde zum Dorf der Zoras fliegen", sagte Revali und ließ nichts weiter als einen Windstoß von sich zurück. Und ehe sie sich versah, war es noch einer weniger. Doch Revali trauerte sie nun wirklich nicht nach. Wobei es mit ihm weniger anstrengend war, als mit Zelda oder Urbosa.
„Wir sollten ebenfalls losgehen. Je mehr Zeit wir einsparen, desto schneller können wir Mipha helfen." Zelda trat voran und die übrigen folgten ihr. Raisa ging wieder zuletzt, um dem Gefühl, Blicke im Rücken zu haben, zu entgehen.


Raisa ließ ihren Blick umherschweifen. In Ranelle blieb es das ganze Jahr über verhältnismäßig warm. Zwar war es nicht mit Eldin oder der Gerudo Wüste zu vergleichen, doch war es recht angenehm in dieser Region. Wie sollte es aber auch anders sein? Die Zoras brauchten schließlich das Wasser. Wären die ganzen Seen gefroren, wäre das wohl überaus suboptimal. Na ja, wäre letztlich auch nicht ihr Problem, schließlich war sie Hylianerin und konnte sich jeder Region anpassen – wenn sie denn wollte. Nun gut, es gab dafür aber auch genug andere Probleme, die sie zu bewältigen hatte.
Raisa blieb stehen und betrachtete ihre Umgebung nochmals genau. Wenn Mipha's Bruder, Sidon, nirgends im Dorf der Zoras zu finden war, warum sollte sie dann dorthin? Dass nun sieben Leute das durchsuchte Dorf noch einmal auf den Kopf stellten, hielt sie für eine Zweitverschwendung.


Da sie sowieso als letztes ging, fiel es nicht sonderlich auf, dass sie bei der nächstbesten Möglichkeit verschwand. Wenn sie alleine war, konnte sie sowieso besser nachdenken und handeln.
Also... Wo würde sie sich aufhalten, wenn sie von niemanden gefunden werden wollte? Schwierig zu sagen, schließlich war sie noch nicht so oft in Ranelle gewesen. Doch kam ihr schon eine Idee, als sie ihren Blick in den Himmel richtete. Die geografische Lage vom Dorf der Zoras war ihrer Ansicht nach nicht die Beste. Das Dorf lag, wenn man so wollte, in einem Tal und ringsherum umgeben von Bergen. Auf dem höchsten von ihnen lebte einst sogar ein Leune. Dieser wurde aber vor einiger Zeit von Link beseitigt, so wie sie gehört hatte. Jedenfalls war ihr Ziel nun nicht mehr das Dorf der Zoras, sondern die umliegenden Berge. Diese zu erklimmen würde sich allerdings als ziemlich schwierig erweisen.


Leider konnte sie nicht so einfach, wie die Zoras Wasserfälle hinauf schwimmen oder wie die Orni ganz einfach hinauf fliegen. Doch war sie zu stur, um einfach aufzugeben. Deshalb machte sie sich daran, die Berge hinaufzuklettern. Meist erreichte sie auch sofort kleine Vorsprünge, die ihr das Besteigen des Berges vereinfachten. Etwas Besonderes hatten diese Berge ja schon an sich. Von weiten schimmerten die kahlen Felswände wie azurblaue Kristalle, die die perfekte Küste wieder spiegelten. Damit könnte man bestimmt gut Geld machen. Na ja..., diese Erkenntnis brachte ihr leider nichts mehr. Sechs Monate – höchstens. Und dann würde alles vorbei sein.


Dieses Wissen durfte sie nicht länger für sich behalten. Es würde zudem ihrer sowieso schon angeknacksten Psyche nicht gut tun. Und sie wollte auch nicht länger die einzige sein, die über das Schicksal dieses Landes, vermutlich der gesamten Welt, Bescheid wusste. Am Ende würde das nur auf sie zurückfallen. Schon seltsam, dass sie ihr dies an einem derartigen Ort bewusst wurde....
Raisa hatte sich von unten aus der Tiefe hinauf gearbeitet, befand sich nun etwa bei der Hälfte. Und so wie sie es sah, war ihr Ziel, die Spitzen der Berge, im Licht der Sonne gehüllt. Wer schlau genug war, konnte sich hier nun seine Metaphern dazu denken, für sie war es klar.


Ohne weitere Zeit zu verschwenden, erklomm Raisa weiterhin die Berge, nutzte dabei unzählige Vorsprünge und schaffte es schließlich bis nach oben. Was sie sah, war ein ziemlich...erstaunlicher Ausblick. Über die Domänen, selbst das Meer von Necluda war zu sehen. Und einfach alles wurde von den goldenen Strahlen der untergehenden Sonne erhellt. Ihr weißes Haar... Nein, nun mehr ihre weißen Spitzen, die im Wind wehten, glänzten ebenfalls golden. Sie hatte es immer noch nicht getan und ihre Haare wieder weiß gebleicht und wenn sie ehrlich war...dann hatte sie auch keine Lust mehr dazu. Es war unnötige Arbeit, dessen Resultat sie höchstens ein halbes Jahr zu sehen bekam.

Raisa's Blick löste sich von den Domänen und sie drehte sich um – dem Sonnenuntergang entgegen. Wäre sie nicht so verdammt verkorkst, dann hätte sie es sicherlich genossen. Aber da sie nun mal war, wie sie war, wandte sie sich einfach ab und ging ihres Weges. Wenn sie hier leben würde und sich aus unerfindlichen Gründen zurückziehen müsste, dann wäre sie an diesen Ort gegangen. Wohl eher geklettert. Jedenfalls vermutete Raisa den Prinzen der Zoras hier.
Allmählich konnte sie auch Akkala sehen, eine Region Hyrules, die sie zu hassen begannen hatte. Sie wusste nicht einmal, was schlimmer war: Akkala oder Hebra? Sie würde beides wohl zu ihrer verbliebenen Lebenszeit nicht wieder besuchen. Nun ja, von ihren persönlichen, schlechten Erfahrungen mal abgesehen, sie sah niemanden weit und breit. Wenn sie jetzt tatsächlich für nichts hier hochgeklettert war, wäre das schon ziemlich bitter. Doch sie hatte das Gefühl, dass dem nicht so war.

Raisa ging an einem Hügel vorbei und was fand sie vor? Sidon, Prinz der Zoras, die Beine über dem Abgrund baumelnd und den Blick in die Ferne gerichtet. „Dein gesamtes Volk sucht nach dir und durch diese Aktion hast du es geschafft, andere auch noch da hineinzuziehen. Was also gedenkst du hier zu tun, während halb Hyrule nach dir sucht?"

Number 6Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt