95. Genesung

366 27 0
                                    

  Etwas verwirrt öffnete Raisa die Augen und setzte sich auf. Dabei fiel ihr etwas von der Stirn auf die schneeweiße Bettdecke. Ein feuchtes Tuch, wie sie feststellte. Sogleich überprüfte sie, ob ihre Stirn noch heiß war und tastete eben diese ab. Sie war kühl, was sie etwas aufatmen ließ. Allgemein fühlte sie sich auch deutlich besser... Nur, wo in Hylia's Namen war sie? Das Federvieh hatte ihr ihren Brief vorgelesen... Das war alles woran sie sich erinnern konnte. Danach war weg.
Weder wo sie war, noch wie sie dorthin gekommen war, wollte ihr in den Sinn kommen.


„Auch mal wieder unter den Lebenden?" In Sekundenschnelle schaute sie zur Seite und erblickte, zu ihrem Leidwesen, Revali. „Ich hoffe für dich, du verfolgst mich nicht", sagte sie in einem drohenden Ton. Ach wie schön, ihre Stimme hörte sich auch nicht mehr so bescheuert an.
„Ich habe dich hier hergebracht und trage somit einen Großteil zu deiner Genesung bei." Sie ignorierte seine Worte größtenteils. Nur eines interessierte sie. „Wohin hast du mich gebracht?", verlangte sie zu wissen. Raisa beobachtete ihn. Sah, wie er mit sich rang, ob er es sagen sollte oder nicht. Für sie war dies ein Zeichen, dass ihr die Antwort nicht gefallen würde.


„Ich warte", sagte sie genervt und forderte ihn erneut auf, ihr zu antworten. „Du bist bei einem Arzt." Einen Moment lang herrschte ein sehr erdrückendes Schweigen zwischen den beiden. Revali glaubte sogar, eine Taschenuhr irgendwo ticken zu hören. Raisa musste dies mit ihren hylianischen Ohren noch besser hören. Doch die junge Frau konzentrierte sich auf etwas ganz anderes. Sie presste die Zähne unglaublich stark zusammen, um sich ruhig zu halten. Und es brauchte auch einige Zeit, bis sie sich wieder gefangen hatte. „Ich weiß nicht, ob ich dich umbringen soll oder nicht", sagte sie. Ihre Worte waren so kühl und scharf, wie er es selten erlebt hatte. Dabei verstand Revali nicht, warum Raisa so reagierte. Diese Erkältung hätte sie im schlimmsten Fall umbringen können, doch nun brauchte sie sich keine Sorgen darum mehr machen.


„Ich weiß nicht, wenn ich ehrlich bin, ob ich dich verprügeln soll oder ob ich dir dankbar sein soll." Weitere Sekunden in Stille vergingen. Zumindest wusste er nun, dass Raisa nicht vollends undankbar war. „Doch da wir beide einen Pakt eingegangen sind, den ich mit Sicherheit nicht als Erstes brechen werde, werde ich dich wohl auf eine andere Art dafür büßen lassen müssen." Sie konnte sich zwar noch immer nicht damit anfreunden, dass sie bei einem Arzt, dem größten Abschaum überhaupt, war, doch sie würde es erst einmal darauf beruhen lassen.


„Was hast du gegen Ärzte?", fragte Revali, als er Raisa dabei beobachtete, wie sie die Bettdecke beiseite schlug und langsam aufstand. „Das geht dich nichts an." Typisch, so kalt und verschlossen wie eh und je. „Finde ich schon", erwiderte er unbekümmert. Ganz gleich, ob er sie damit nun reizte oder nicht. „Dein Leben für meins, wir sind quitt. Mir egal, was für bescheuerte Argumente dir noch einfallen", erwiderte sie. Dabei stand sie vor ihm, schaute ihn ernst an und wandte sich schließlich zu ihren Sachen, die man ihr abgelegt hatte. Da sie seinen Blick im Rücken spürte, wurde sie von Sekunde zu Sekunde genervter. „Ich habe dir die Geschichte erzählt, die mich zu dem gemacht hat, was ich bin. Wenn du also deinen Kopf noch ein kleines bisschen anstrengst, kommst du von selbst darauf." Raisa nahm ihren blauen Schal von der Kommode, welcher im Übrigen fein und säuberlich zusammengelegt wurde, und legte ihn wieder um. Revali hingegen dachte nach, was ihre Worte wohl auf sich haben könnten.


„Euch wollte damals niemals helfen. Nicht einmal die Ärzte. So war es doch, oder?" Auf seine Frage bekam er keine Antwort. Ohne Unterbrechung richtete Raisa sich wieder her, sah Revali dabei jedoch nicht an. Für ihn war dies ein klares Ja. Wenn Raisa nicht antwortete, bedeutete das meistens Ja oder das sie genervt war... Vielleicht auch beides. „Ich nehme an, wir sind in Hyrule Stadt?", fragte sie und ging auf das, was er sagte, gar nicht erst ein. Revali nickte langsam und sie seufzte innerlich. Was zog sie nur immer an den Ort, den sie über alles hasste?


„Ihr seid erwacht, das ist gut für Eure Genesung, aber ihr solltet euch nicht übernehmen." Raisa und Revali drehten sich zur Tür, in welcher der Arzt stand. „Danke, aber ich kenne meine Grenzen sehr gut. Ich komme von nun an selbst klar", würgte sie den alten Mann ab. „Hat man ja gesehen", mischte Revali sich ein. Dabei klang er fast schon belustigt.
„Als Arzt rate ich trotzdem zur Bettruhe." Raisa verdrehte nur die Augen. Sie war kein kleines Kind mehr und konnte für sich selbst entscheiden, was das Beste für sie war. Sie wollte sich nicht von einem Quacksalber belehren lassen... Bis hierhin hatte sie vielleicht Hilfe gebraucht, doch nun kam sie von selbst klar.


Es war sowieso Glück für alle Anwesenden, dass Raisa während ihrer Behandlung bewusstlos war, sonst hätte sie sich nicht ansatzweise anrühren lassen. Noch ehe sie sich weiteres, unnützes Geschwätz anhören durfte, verließ sie den Raum und schließlich das Haus. Allem Anschein nach war nun Revali das Opfer, welches sich das Gezeter vom Doktor anhören durfte. Das tat ihr ja mal überhaupt nicht Leid...


In Hyrule Stadt verschaffte Raisa sich erst einmal einen Überblick, wo in der Stadt sie überhaupt war. Die Straßen waren wieder relativ gut gefüllt, was auch daran lag, dass der Winter ein Ende nahm. Zwischen den ganzen Bewohnern der Stadt bahnte sie sich einen Weg zu den Stadtmauern. Raisa konnte die Hauptstadt nicht mehr sehen, weshalb sie diese auch schnellstmöglich verließ.
Doch nur wenig später nahm sie schon Flügelschläge hinter sich wahr. Und Raisa brauchte sich nicht umdrehen, um zu wissen, wer da war. Momentan klebte er ja sowieso an ihr, was ihr gehörig gegen den Strich ging.


„Du bist wirklich unmöglich, weißt du das?", fragte er und klang ziemlich gereizt. „Du hast die gesamten vier Monate, die wir uns nun schon kennen, gebraucht, um das herauszufinden?", fragte sie ohne ihren Weg zu stoppen. Er folgte ihr ja sowieso... „Ach, wir kennen uns? Das ist ja mal etwas ganz neues", schnaubte er. „Oberflächlich", fügte Raisa hinzu. Wieso musste er wieder auf belanglosen Dingen herumreiten? Wie typisch...


Raisa war stehengeblieben und drehte sich zu Revali um. Dieser wäre um ein Haar in sie hineingelaufen. Eine Zeit lang verbleiben sie so, allerdings fiel Revali etwas auf. „Du benimmst dich heute seltsam. Noch seltsamer als sonst." Ihre Augenbrauen zuckten kurz verräterisch, weshalb sie sich von ihm abwandte.


„Auf mich wirkt es fast so, als würdest du dich selbst ablenken wollen", erzählte er weiter. Da sie wieder schwieg, sah er es als Bestätigung an. „Was beschäftigt dich?"

Number 6Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt