96. Windbrecher

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  Im ersten Moment wusste Raisa nicht so recht, was sie sagen sollte. „Du spinnst", versuchte sie abzulenken. Die Wahrheit war, dass Raisa erneut die Zukunft gesehen hatte. Sie wusste nicht, wie lange sie weggetreten war, doch es musste eine ziemlich lange Zeit gewesen sein. Denn sie war ebenfalls lange in jener Zeit gewesen. Und dadurch, dass sie mit dem Gesehenen schon besser umgehen konnte, wachte sie auch nicht mit Herzrasen oder Schmerzen auf.
Was sie gesehen hatte... „Ich spinne nicht und das wissen wir beide!" Revali nervte grade wirklich... Er hatte Lunte gerochen, doch sie würde ihm kein Sterbenswörtchen verraten. Das wäre das Beste, auch für ihn.


Während sie über die Ebene von Hyrule ging, folge er ihr immer noch. Sie war sich bewusst, dass er erst gehen würde, wenn er etwas zu hören bekam. Doch...sie wollte das einfach nicht. Und lügen wollte sie auch nicht. Natürlich wäre das einfacher, aber... Wenn jeder auf der Welt nur noch log, was sollte man dann noch glauben können? „Was willst du von mir hören?" Raisa blieb stehen und drehte sich sichtlich genervt zu ihm um. Dass er sie die gesamte Zeit über verfolgte, ging ihr mächtig gegen den Strich. „Du verheimlichst etwas. Etwas, was gesagt werden sollte, oder?" Er klang nicht sonderlich überzeugt, was Raisa gleich ausnutze. „Das klang ja so, als wüsstest du nicht, was du fragen sollst. Frage mich doch das nächste Mal, wenn du sicher bist." Wie sehr Raisa doch diese Manipulation in Konversationen liebte. Das war doch tatsächlich etwas, worin sie wirklich begabt war. Allerdings musste sie sich diesen manipulativen Sätzen auch voll und ganz hingeben, nicht einfach nur Wörter hintereinander reihen, auch die Tonlage und möglichen Gesten gehörten zum Spiel.


„Du versuchst vom Thema abzulenken. Da kannst du dich noch so bemühen, es wird dir nicht gelingen." Dieser Dickschädel. Warum musste er auch genauso stur sein, wie sie? Das würde ja Ewigkeiten dauern, bis einer nachgab. Hätte sie keine Lust mehr auf dieses Fiasko, dann würde sie das auch noch weiter führen. Einen Moment lang schauten sich die beiden Recken nur an. Revali hatte einen Blick, der sie mit Nachdruck zum Reden auffordern sollte. Raisa hingegen hatte ihren typischen, kalten Blick aufgesetzt, an welchem alles anprallte.


Jedoch seufzte sie ergeben, wandte sich ab und verschränkte die Finger hinter ihrem Rücken.
„Ich habe dieselbe Vorhersehung, wie die auf unserer Reise." Leider ja, und dieses Mal hatte sie die Erinnerungen daran größtenteils behalten. Wieso es beim letzten Mal nicht so war, wusste sie nicht. Sie schob es darauf, dass sie ihre Gabe noch nicht vollständig kontrollieren konnte.
„Dein Leben wird also enden?" Was für eine dumme Frage. Alle Leben enden irgendwann einmal. „Ja." Und nicht nur das ihre. Doch das würde sie ihm nicht erzählen. Nicht jetzt, jedenfalls. Dafür fehlten ihr die passenden Worte. Zudem wollte sie es nicht in Kauf nehmen, von nun an mental gestörte um sich herum zu haben.


Eine Zeit lang standen er und sie einfach nur da. Raisa war zum Schloss gewandt, während der kalte Wind ihr durch das Haar strich und der blaue Schal mit ihm wehte. Da sie mit dem Rücken zu Revali stand, wusste sie nicht, was er tat. Was spielte das auch für eine große Rolle?
Ihr jetziges Bild vor Augen war Schloss Hyrule in seiner Pracht, davor die riesige Hauptstadt mit den Stadtmauern. Das Bild vom Jetzt vermischte sich mit dem, was sein würde. Kaum zu glauben, dass es so enden würde... Bei ihrer ersten Vorhersehung, die Revali betraf, wusste sie wenigstens, wie sie es abwenden konnte. Doch nun war sie ratlos. Gab es überhaupt eine Möglichkeit?


„Hast du dir eigentlich einen Namen ausgesucht?" Revali trat neben sie, was sie skeptisch beobachtete. Sein Blick galt ebenfalls dem prächtigen Schloss mit Anhängsel. Dabei rebellierte sein Gefieder gegen den Wind. Die einzelnen Federn stellten sich auf, was wirklich bescheuert aussah. „Wofür sollte ich mir einen Namen überlegen?", fragte sie und verschränkte ihre Arme vor der Brust. „Nun die besten Waffen, egal ob Schwert, Bogen oder Lanze tragen einen Namen." Sie hatte erst an etwas anderes gedacht, doch wenn es auf Waffen bezogen war...
Sie zog ihr Schwert aus der Schwertscheide und betrachtete es. Das schmale Metall der Klinge lag auf einer ihrer Handflächen, der fein verarbeite Griff auf der anderen. Wahrlich ein wundervolles Schwert, ein wunderbares Geschenk der Goronen, wenn man so wollte. „Ein Name, was?" Vor einiger Zeit hätte sie sich noch dafür geohrfeigt, dass sie sich von Revali zu solch unnötigen Dingen, wie diesem Gespräch, hinreißen ließ. Doch aus ihr unerfindlichen Gründen empfand sie es nicht als ganz so schlimm. Zeiten änderten sich und zwischen ihm und ihr hatte sich definitiv etwas geändert.


Raisa schüttelte kaum merklich den Kopf. Wohin ihre Gedanken wieder schweiften. Dabei sollte, nein, wollte sie sich einen Namen für ihr Schwert überlegen. Es musste etwas sehr Passendes sein, ansonsten würde sie nicht zufrieden sein. Etwas, was zu dem Schwert und ihr passte.


„Windbrecher."


Raisa betrachtete erneut ihr Schwert. Ja, das passte. Sie war Hyrules schnellste Schwertkämpferin, warum also nicht? „Windbrecher...", wiederholte Revali nun auch. „Ein guter Name." Raisa steckte ihr Schwert wieder weg und sah mit zusammengezogenen Augenbrauen zu Revali. Entweder sie hatte etwas mit dem Kopf, eventuell noch Fieber, oder er versuchte tatsächlich nett zu sein?
„Willst du irgendetwas von mir oder warum bist du so?", fragte sie schließlich. Konnte auch sein, dass sie ohne es zu wissen etwas hatte, womit sie ihn erpressen konnte, und er deshalb relativ freundlich zu ihr war. „Nur weil du kontinuierlich schlechte Laune hast, gilt das nicht für alle", erwiderte Revali. Raisa schnaubte daraufhin nur. Als wäre er nicht Tag ein – Tag aus schlecht gelaunt. Und als würde es irgendwo auf dieser Welt etwas geben, an dem sie sich erfreuen könnte.


Freuen... Wie lange war es nun her, dass sie dies das letzte Mal getan hatte? Einige Jahre auf jeden Fall. „Du solltest besser gehen. Ich werde dasselbe jetzt nämlich tun." Sie wandte sich von ihm ab und ging weiter ihres Weges. Dass sie sich solange von ihm aufhalten ließ, war sowieso dämlich gewesen. Dämlich und seltsam. „Damit du weg klappst, irgendwo auf der Ebene von Hyrule liegst und womöglich stirbst?" Hatte er ihr zuvor nicht zugehört?


„Ich habe meinen Tod bereits gesehen. Ich weiß, wann, wie und warum ich sterben werde."

Number 6Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt