100. Du wirst eine Heldin!

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Fast schon amüsiert beobachtete Raisa, wie Sidon heftig zusammen zuckte. „Wie hast du mich gefunden?", fragte er. Schneller als gedacht, wich der Moment der Überraschung. Der junge Prinz stand auf und entfernte sich von dem Abhang. „Ich denke weiter als die anderen. Das ist alles", gab sie zurück. Sidon fing an zu grinsen, zeigte dabei seine messerscharfen Zähne und hielt den Daumen hoch. „Ich habe nichts anderes von dir erwartet", sagte er und klang aus unerfindlichen Gründen stolz. „Und ich erwarte von dir, dass du zurückgehst und aufhörst mich zu nerven." Wirklich gut gelaunt war sie heute sowieso nicht. Und jetzt ergab sich der perfekte Moment, um diese schlechte Laune loszuwerden. „Ich kann nicht...", sagte Sidon und ließ den Kopf hängen. Er klang dabei nicht ansatzweise so enthusiastisch wie zuvor. Raisa rollte nur genervt mit den Augen. Sie wettete darauf, dass der Zora aus irgendwelchen Selbstkomplexen an diesen Ort geflüchtet war.
Das war eine Seite, die sie gar nicht an ihm kannte.

Gut, sie hatte ihn auch nur ein einziges Mal zuvor getroffen, doch damals wirkte er ganz anders.
„Bist du eine gute Zuhörerin?", fragte er frei heraus. „Sehe ich nur ansatzweise so aus?", murmelte sie und verschränkte ihre Arme vor der Brust. „Du siehst nicht sonderlich gesprächig aus, demnach bist du gut im Zuhören." Dieser miese, kleine... Gut, klein war der Zoraprinz nicht wirklich und älter als Raisa war er auch.
„Rede schnell. Du hast fünf Minuten um alles loszuwerden, danach will ich nichts mehr hören. Ich mache das auch nur, weil es mein Auftrag ist. Deshalb erwarte kein Mitgefühl oder sonst etwas von mir", sagte Raisa ergeben, um diesen Auftrag schnellstmöglich zu Ende bringen zu können. Deshalb lehnte sie sich mit noch immer verschränkten Armen gegen den Felsen hinter ihr, der sie bei weitem überragte.

„Alle erwarten von mir, dass ich ein Vorzeigeprinz werde. Pflichtbewusst und... Ich soll aufhören Streiche zu spielen und derartiges. Vater weißt mich auch immer daraufhin, dass ich der nächste König der Zoras werde, dass ich deshalb mich daran gewöhnen soll, ein anderes Leben zu leben. Doch ich will das nicht! Selbst meine große Schwester Mipha tadelt mich, dabei war sie immer am verständnisvollsten", redete Sidon sich das Leid von der Seele. Raisa atmete tief durch. Jemand der sich in seiner gesellschaftlichen Rolle nicht wohlfühlte? Da kannte sie doch noch jemanden...
Dieses Mädchen, an das sie dachte, war zufälligerweise Hyrules Prinzessin, Zelda.

„Schau dich an! Du machst dir die halbe Welt zum Feind und bist trotzdem zum Recken Hyrules ernannt worden. Warum muss ich also ein pflichtbewusster König werden?", fragte der Prinz der Zoras. „Ich gebe dir einen Rat: nehme dir niemals ein Beispiel an mir", erwiderte Raisa ein wenig resigniert. „Also ich finde, man kann sich sehr wohl ein Beispiel an dir nehmen."
Sidon's Worte klangen so von sich selbst überzeugt, dass sogar Raisa die Augenbrauen ungläubig zusammen zog. Ein Akt des Unglaubens oder der Verwirrung - jedenfalls eine Gefühlsregung.

„In welcher Hinsicht das denn bitte?", fragte sie. Raisa konnte es sich ganz und gar nicht vorstellen, dass sie in irgendeiner Art und Weise die Position eines Vorbildes einnahm. Höchstens für welche, die auf die schiefe Bahn geraten wollten. „Hoffnung", war das einzige Wort, das die Lippen des Zoras verließ. Nun, wenn sie zuvor nicht verwirrt war, jetzt war sie es auf jeden Fall. Denn das, war der junge Prinz sagte, konnte sie beim besten Willen nicht glauben.

„Du bist stark, du bist ehrlich, du hast Erfahrung und du bist Hyrules schnellste Schwertkämpferin! Du bist Recke von Hyrule geworden, obwohl du aus einer ganz anderen Umgebung kommst, als die anderen Recken. Du hast Unglaubliches vollbracht! Meinst du irgendwen interessiert es da noch, was für einen Charakter du hast? Ob du es glaubst oder nicht, egal ob bei Hylianern, Zoras, Goronen, Gerudos oder den Orni... Ich bin davon überzeugt, dass es überall Leute gibt, die an dich und deinen Sieg glauben. Außerdem zeigst du ihnen, dass jeder zu etwas Besonderen werden kann."

Raisa konnte es nicht verhindern, dass ihr nach den Worten des Zoras der Mund ein wenig offen stand. So dachte man über sie? Dabei hatte sie nichts dafür getan, im Gegenteil. Sie dachte immer, sie würde sich immer noch unbeliebter machen. Sie dachte, man würde sie immer noch hassen...
Raisa sollte also etwas Besonderes sein, ja? Wohl kaum. Sie war eine einfache Hylianerin, nicht mehr, nicht weniger. „Glaub es oder nicht, aber das ist die Wahrheit", sagte Sidon breit grinsend. Raisa war ja eigentlich jemand, der die Wahrheit der Lüge vorzog,... Doch grade wusste sie nicht, was sie von der Wahrheit halten sollte.

„Jetzt wo ich so nette Worte, die auch noch wahr sind, an dich gerichtet habe, findest du es nicht gerecht, wenn du mir auch in meiner Situation hilfst?" In dieser Hinsicht war der Zoraprinz wie Revali. „Bleib du selbst, sei stolz darauf und trage diesen Stolz wie eine Rüstung, damit dich keiner verletzen kann." Es ging ja nur darum, dass sie etwas zu seiner Situation sagte. Was genau hatte er ihr nicht gesagt. „Du bist wirklich wortkarg", sagte er.

Nun kehrte Stille ein. Raisa erwiderte nichts weiter, weil sie nicht genau wusste, was sie sagen sollte. Ihr Blick fiel auf die Bäume mit dem herbstlichen Laub in Akkala. Selbst im Winter hatten diese Bäume noch ihre braunen Kronen. Ein Naturphänomen, welches auch sie zum ersten Mal sah.
„Raisa, willst du nicht später meine Königin sein?", lachte Sidon. Und doch hatten seine Worte eine gewisse Ernsthaftigkeit. Und damit war er der zweite Prinz, der sie fragte, ob sie nicht eventuell eine Heirat mit ihnen in Erwägung zog. „Kein Interesse", sagte sie kühl und abweisend. Sidon lachte daraufhin nur noch mehr.
„Weißt du, die Frauen, die mir widerstehen, haben immer schon jemanden, dem sie ihr Herz schenken. Ich frage mich, wen du liebst." Dieser Satz riss ihr fast den Boden unter den Füßen weg. Was bitte hatte er gesagt? „Ich liebe niemanden!", fauchte sie ihn sogleich an.

„Wahrscheinlich hast du dir das nur noch nicht selbst eingestanden." Sidon grinste, während sie kurz davor war, mit den Zähnen zu knirschen. Was erlaubte sich dieser Rotzlöffel eigentlich?
Grade, als Raisa etwas erwidern wollte, fiel man ihr ins Wort.
„Hier steckst du! Zelda ist schon außer sich, weil du einfach abgehauen bist. Und dank dir, durfte ich auch noch meine Zeit verschwenden und nach dir suchen!" Raisa drehte sich um und erblickte Revali. Nicht der auch noch! „Weißt du, wie gleich mir das ist?", fragte sie ihn.

„Ich verstehe, Raisa", sagte Sidon plötzlich grinsend und unterbrach die beiden Streithähne, noch ehe sie richtig anfangen konnten. „Ich werde zum Dorf zurückkehren und verkünden, dass du diejenige warst, die mich dazu brachte, zurückzukehren. Ich bin mir ganz sicher, Raisa, du wirst eine Heldin! Spätestens, wenn du den Sieg über die Verheerung gebracht hast!"




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Für die, die schon von Anfang an mitlesen, die wissen, dass Sidon in dieser Fanfiction älter ist, als es im DLC gezeigt wurde. Ich würde ihn physisch auf einen 16-Jährigen in dieser Strory schätzen. Wie es dazu nun kommt: Als ich diese Geschichte gestartet habe, wurde nirgends erwähnt, wie alt Sidon war, als die Verheerung auftauchte. Demnach, musste ich mir da was selbst zusammenreimen. Nun kam der DLC raus und zeigte, dass Sidon eigentlich noch ein Kleinkind war... Tja, dumm gelaufen. Selbst dieses Kapitel hier hatte ich schon vor der Veröffentlichung des DLCs fertig und nun ließ es sich nicht mehr ändern. Wir werden wohl alle damit leben müssen :)

Number 6Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt