57. Einträge von vor zehntausend Jahren

399 30 2
                                    

  Die Seite fiel fast aus dem Buch, was ihn jedoch nicht daran hinderte weiter vorzulesen.


»Es ist mir nicht möglich zu sagen, wie viel Zeit nach meinem letzten Eintrag vergangen war. Hier unten war es schier unmöglich auszumachen, ob Tag oder Nacht war. Nichtsdestotrotz fühlte es sich wie eine Ewigkeit an.
Die Lage hier unten hatte sich nicht gebessert. So viele Menschen und auch andere Völker hausten hier. Dass dies nicht lange gut gehen würde, war absehbar. Das aber größte Problem, waren unsere Vorräte, die drastisch zuneige gegangen waren. Schneller, als wir uns alle es vorstellen konnten. Von Wasser konnten wir hier unten nur träumen, worunter die Zoras besonders litten.
Dabei waren nicht weit von uns Unmengen an Schnee, gefrorenes Wasser! Doch keiner wagte es diese Tiefen zu verlassen. Und wenn sie noch so litten... „Die Welt könnte grade untergehen", waren die Worte jener, die mit mir hier unten lebten.


Doch ich frage mich, was schlimmer war? Dem Hunger und Durst zu erliegen oder der Welt beim Untergang zuzusehen? Wenn der letzte Fall den überhaupt eintrat. Niemand konnte das sagen...
Die Meisten von uns verloren allmählich ihre Kräfte. Auch ich fühlte mich nicht mehr so stark und war auch nicht mehr so zuversichtlich, wie ich es zu Anfang war. Wie schnell sich doch alles ändern konnte...
Ein weiteres Problem hier unten war die Luft. Sie fühlte sich so verbraucht in den Lungen an. Wie, als würde man sich eine Tüte an den Mund halten und immer ein und aus atmen... Irgendwann ging es nicht mehr. Dieses erstickende Gefühl war meiner Meinung nach viel schlimmer, als der Hunger oder der Durst.
...Deshalb frage ich mich, ob ich mich nicht davonstehlen sollte, um wieder an die Oberfläche zu gelangen. Ich werde es zumindest versuchen.«


Damit beendete Revali die nächste Seite des Tagebuchs. Raisa hatte sich während des Vorlesens auf die Überreste einer Mauer gesetzt und die Augen geschlossen, um besser zuzuhören. Die Person, die dieses Tagebuch schrieb... War sie männlich oder weiblich? Ein Kind, jugendlich oder bereits erwachsen gewesen? Das war schwer zu sagen, denn darüber verlor der Autor oder die Autorin nicht ein Wort. Bis jetzt zumindest.
„Du denkst nach", stellte Revali fest, als er sie so auf der Mauer sitzen sah. „Wer weiß", antwortete sie, darauf bedacht ihm weder zuzustimmen noch dagegen zu stimmen. „Les einfach weiter."


Sein Blick schweifte über das alte Pergament. „Die nächste Seite...", fing er an, beendete den Satz allerdings nicht. Damit zwang er sie letztlich doch die Augen zu öffnen und zu ihm herüber zu sehen.
Die Person, die dieses Buch verfasst hatte, musste geweint haben, denn es waren Flecken vereinzelt auf dem ganzen Papier vorzufinden.
„Bei Hylia, diese Person ist schon vor Urzeiten gestorben. Wen interessierte es, ob sie damals geflennt hat, oder nicht?", sagte Raisa gefühllos. „Du bist der größte Unmensch, der mir je untergekommen ist", sagte Revali hingegen abwertend.
„Was meinst du wie viele mir das schon vor dir gesagt haben?" Sie schlug ein Bein über das andere und sah zu ihm herunter. „Nicht genug, denn scheinbar hast du es immer noch nicht in deinen Schädel bekommen." Sie schnaubte nur. „Willst du das jetzt zu Ende bringen oder nicht?" Er rollte daraufhin nur mit den Augen und widmete sich der nächsten Seite.


»Wann ist es endlich vorbei? – Diese Frage stellte ich mir schon seit geraumer Zeit und das fast ununterbrochen. Doch eine Antwort blieb aus. Niemand hätte gedacht, dass der Kampf gegen den Dämonenkönig so lange andauern würde. Niemals hätte ich gedacht, dass ich einmal so leiden würde. Es war eine Quälerei! Stunde für Stunde... Sekunde für Sekunde.
Meine Familie wurde ungewollt auch von mir getrennt, es passierte einfach. Die Menschen oder auch nicht-Menschen, die hier lebten, achteten nicht darauf wen sie mit zu sich ins Haus nahmen. Es ging einzig und allein darum niemanden allein zurückzulassen. Ob Familie oder nicht, ob Freund oder nicht, ob vom selben Volk oder nicht, das spielte keine Rolle. Hauptsache alle waren irgendwie untergebracht.
...Zumindest Zusammenhalt konnte man in dieser Hölle finden.


Meinen Ausflug an die Oberfläche hatte ich doch nicht unternommen, konnte ich nicht unternehmen. Man hatte mich erwischt, wie ich mich davonstehlen wollte. Fürchterlich zurechtgewiesen wurde ich dafür. Nun überkam auch mich die Angst und einen weiteren Versuch wollte ich nicht wagen.
Unsere einzige Hoffnung blieb es, auf ein gutes Ende zu warten. Wenn ich überhaupt noch zu hoffen wagte. Nie hätte ich gedacht, dass ich einen derartigen Sinneswandel hier durchleben würde. Die Person, die ich war, als ich hier her kam... Ich konnte mich kaum daran erinnern.
Eins stand jedoch fest... Wenn wir sehr bald hier raus kommen, wird dies mein letzter Eintrag sein.


Gezeichnet: Kuckou Entz«


Dies waren somit die letzten Zeilen, die Revali vorlas. Ein wenig dumm kam sich Raisa zwar schon dabei vor, sich von Revali alles vorlesen zu lassen, aber was sollte sie sonst machen? Sie selbst konnte nicht lesen und schaffte es grade so ihren eigenen Namen zu schreiben. Aber was soll's, man konnte nicht alles im Leben haben und können.


„Also, wir waren hier, haben weder Titanen noch Wächter gefunden, lediglich ein altes Tagebuch, das die Situation während des Krieges von vor zehntausend Jahren beschreibt. Ich für meinen Teil würde vorschlagen, dass wir von diesem Ort endlich verschwinden", sagte sie, nahm Revali das Buch ab und steckte es ein.
„Dann finde hier erst einmal den Weg hinaus", sagte er und verschränkte die Flügel vor der Brust. „Vom herumsitzen werden wir jedenfalls keinen Weg finden. Beweg dich also", sagte sie schroff und ging an ihm vorbei. Ein abwertender Laut kam von ihm, dennoch folgte er ihr.


Erneut gingen die beiden durch die verlassene Stadt und suchten vergeblich nach einem Weg, der aus diesem Gewölbe hinaus führte. Den Weg vom Anfang konnten sie schlecht nehmen. Zum einen, weil es sehr unwahrscheinlich war, dass sie diesen wiederfanden, zum anderen, weil Raisa sich sicher war, dass dort eine Falle wäre.
„Hier gibt es nichts, lass uns um-" Raisa stoppte Revali mit einer Handbewegung. Kurz darauf folgte ein Poltern, als würde etwas hinunter fallen und dabei immer und immer wieder aufprallen.
„Wir sind nicht alleine", sagte sie leise, fast schon unbekümmert. Dennoch zog sie geschickt ihr Schwert, wobei sie fast keinen Laut von sich gab. Sowohl Raisa als auch Revali mussten auf alles gefasst sein. Und sie konnte versichern, dass sie bereit war. In Gedanken malte sie sich bereits aus, was sie mit der Person machen würde, die sie in diese Situation brachte. Mit Sicherheit nichts Angenehmes!


„Du kannst deine kranken Gedanken auf ein anderes mal verschieben", sagte Revali und musterte sie abschätzend. „Wir gehen dorthin, wo das Geräusch herkam", bestimmte sie und ging kein bisschen auf seine provokante Aussage ein. Revali hingegen packte sie und hinderte sie am Weiterlaufen.
„Wir laufen blindlings in unser Verderben, wenn wir dorthin gehen", sagte er. Sie seufzte nur genervt. „Die Chance bleibt fünfzig Prozent, egal wie oft du es drehst und wendest... Du glaubst mir nicht? Ich kann diese Reihe immer weiter fortsetzen, ohne das sie ihr Ende findet. Schon einmal darüber nachgedacht? Er dachte, dass ich dachte, dass er dachte, dass ich dachte... Und immer so weiter. Folglich wirst du, egal wie gut du überlegst, nie auf eine Lösung kommen. Es bleibt Glück."
Sie riss sich von ihm los und ging weiter. Sein Spatzenhirn hatte wahrscheinlich eh nicht verstanden, worauf sie hinaus wollte.


Sie folgte somit der Richtung, aus der zuvor das Poltern kam. Und was fand sie vor? Einen Weg. Vielleicht einen Weg hinaus allerdings war dies definitiv eine Falle. Das sah selbst ein Blinder mit Krückstock. „Was meinst du? Weitergehen oder nicht?" Raisa wandte sich an das Federvieh.
„Mein gesunder Orniverstand sagte mir nein, allerdings kann man bei jedem dunklen Weg etwas auszusetzen haben... Lass es uns hinter uns bringen." Endlich mal etwas halbwegs brauchbares aus seinem Mund. Was noch besser war, sie war derselben Meinung.


Somit gingen beide diesen Weg mit gezückten Waffen entlang. Die Wahrscheinlichkeit, dass etwas passieren würde, war enorm hoch, von daher nahmen es beide in Kauf diesen dunklen, engen Gang auch noch mit Waffen in der Hand zu passieren.
Allerdings... Würde sie tatsächlich auf eine Konfrontation verzichten. Sie war nicht in Topform und ihr Körper schmerzte noch immer von diesem Freiflug. Aber ein Zurück gab es jetzt nicht mehr und Jammern half auch nicht. Deshalb hieß es Zähne zusammenbeißen und auf in den Kampf!

Number 6Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt