72. Eine schmerzhafte Erinnerung - Abschied für die Ewigkeit

405 30 6
                                    

  Ein eiskalter Wind wehte durch Hyrule Stadt. Man könnte ihn den Wind des Todes taufen...
Es war der wohl härteste Winter in Hyrule seit Jahrhunderten. Dieser Winter brachte bereits so einige Tode mit sich...

Es war der siebenundzwanzigste Dezember, die Feierlichkeiten hatten somit grade aufgehört, falls es für die Kinder auf der Straße je einen Grund zu feiern gab. Für Raisa jedenfalls nicht. Seit Stunden rannte sie bereits durch Hyrule Stadt und bettelte die Leute an, demütigte sich selbst somit auf das äußerste. Doch sie brauchte unbedingt Hilfe! Hilfe für ihre beste Freundin, ihrem zweiten Ich, wie sie zu sagen pflegte!
„Gnädige Frau, ich bitte Euch, Ihr müsst mir helfen. Meine Freundin..." Weiter kam die Braunhaarige gar nicht. Obwohl sie ihr bestes Vokabular an den Tag legte, wurde sie ignoriert, geschlagen oder angespuckt. Was hatte sie in Hylia's Namen nur falsch gemacht, dass sie nun so bestraft wurde?
„Ich bitte Euch! Ihr müsst mir helfen!" Es klatschte und erneut fiel sie in das kühle Nass. Sie biss die Zähne zusammen, um keinen Laut von sich zu geben. Die aufkommenden Tränen, die sie mit allen Mitteln zu unterdrücken versuchte, stammten jedoch nicht von dem Schmerz, den sie verspürte. Wut und Frustration, sowie Verzweiflung machte sich in ihr breit. „Verreck doch in der Hölle!", schrie sie der Frau hinterher, die bereits ihres Weges weiter gegangen war.

Warum? Warum musste das alles so kommen? Was hatte sie in ihrem Leben falsch gemacht?
Wissend, dass sie die Antworten auf diese Fragen nie bekommen würde, erhob sie sich aus dem kalten Schnee und versuchte weiter Hilfe von den Menschen zu bekommen. Menschen... Menschlichkeit... Durfte man von sich behaupten ein Mensch zu sein, wenn man andere sterben ließ, ohne auch nur einen Finger gekrümmt zu haben? Diese Welt war so grausam... Erst jetzt schien Raisa wirklich zu verstehen, was Grausamkeit bedeutete.
Egal wie sehr sie bettelte, sich erniedrigen ließ, niemand half ihr. Die Meisten schauten sie nicht einmal an. Die Tränen in ihren Augen schienen die Oberhand zu gewinnen, doch sie würde diesen grausamen Menschen nicht noch die Genugtuung geben und zu weinen. Mit dem Handballen wischte sie die Tränen weg.
Was für einen Sinn sollte ihr Leben haben? Sie fühlte sich so nutzlos und erbärmlich, denn, selbst wenn sie die beste Schwertkämpferin der Welt werden würde, was war das schon Wert, wenn sie nicht einmal das Leben ihrer besten Freundin retten konnte?

Raisa lief in ihr Viertel zurück, zu dem Platz, den sie ihr 'eigen' nannte. Dort lag Seina, in Decken gehüllt auf dem kalten Boden. Doch etwas Besseres konnte Raisa nicht organisieren? Wie auch? Sie war nichts, hatte nichts und einem Nichts wollte auch niemand helfen.
„Seina", sprach sie leise mit einer fast schon brüchigen Stimme. Ihre Freundin, ihre Seelenverwandte, den einzigen Menschen, mit dem sie ihr Leid teilen konnte, so fertig dort liegen zu sehen, brach ihr förmlich das Herz. „Du bist erfolglos geblieben?", fragte Seina. Ihre Stimme war kratzig und hörte sich traurig an. Auf das gebrochene Herz wurde soeben herumgetrampelt. Dass einzige, was Raisa's Schmerz ein wenig linderte, war das leichte Lächeln auf den Lippen ihrer rothaarigen Freundin.

„Ich bin wirklich sehr stolz und glücklich über die Tatsache, die letzten Jahre eine so tolle, starke und unglaubliche beste Freundin wie dich gehabt zu haben. Die letzten Jahre mit dir waren die schönsten überhaupt... Und das, obwohl wir auf der Straße leben. Wir hatten nichts, haben uns gefunden und müssen nun beide wieder voneinander getrennt 'leben', um gemeinsam unsere Zukunft zu betreten. Deine, Raisa, wird ganz anders sein als meine. Du wirst auf Erden wandeln und zu den Wolken Aufsehen und ich... Ich schaue ab und zu mal vorbei, ob du weiter vorankommst."

„Hör auf in der Vergangenheit zu reden", sagte Raisa. Ihre Mundwinkel zogen sich bereits runter, doch sie zwang sich keine weinerlichen Laute von sich zu geben.
„Hör mal Raisa, du musst immer nach vorne blicken, ja? Egal was auch passiert, du musst daran denken, dass es immer Zukunft gibt...für dich." Raisa bat Seina innerlich, dass sie aufhören sollte zu reden. Mehr solcher Worte würde sie nicht ertragen können. „Es reicht jetzt", sagte sie. Leider war ihre Stimme nicht so stark und überzeugend, wie sie es gerne hätte. „Was hast du vor?", fragte Seina, als Raisa sich erhob. „Ich werde zum Schloss gehen und dort nach Hilfe fragen!" Es freute Seina schon fast, dass ihre beste Freundin nicht so schnell aufgab und somit ihrem alten Ich noch glich, doch...
„Du solltest dir das sparen. Außerdem könnte es gefährlich werden, schließlich haben die Soldaten uns immer noch auf dem Kicker", sagte Seina.

„Das ist mir egal. Ich ergreife jede Chance, die sich uns bietet. Ich lasse dich nicht sterben." Mit diesen Worten ging sie los. Seina beobachtete Raisa mit verschwommenem Blick, wie sie ging.
Noch nie hatte Raisa sich so sehr an das Schloss gewagt, wie sie es jetzt vorhatte. Da sie eine Diebin war und somit gegen die Gesetze verstieß, würden die Soldaten nicht davor zurückschrecken, sie zur Rechenschaft zu ziehen. Aber nun hatte sie keine andere Wahl. Die letzte Hoffnung, die sie hegte, war das der königliche Hof ihr half. Egal wer... Sie würde auch Hilfe von einem Mörder annehmen, Hauptsache jemand half Seina, sodass sie ihre Krankheit loswurde. Notfalls konnte sie sich auch wehren.

Die Soldaten, die als Wachen vor dem Tor dienten, musterten Raisa argwöhnisch. Unter ihrem Mantel trug sie ihr Schwert. Jenes, welches sie den Soldaten abgenommen hatte. Doch eigentlich sollte niemand vermuten, dass sie etwas Derartiges mit sich führte. „Wer will in das Schloss?", fragten die Wachen. „Ich", antwortete sie. Allerdings war sie kurz davor, sich für diese Antwort, selbst zu ohrfeigen. Sie wollte in das Schloss, um Hilfe zu bekommen, nicht, um sich noch mehr Feinde zu machen. „Ich heiße Raisa", verbesserte sie ihre Aussage von zuvor.
„Hast du eine Befugnis?", fragte einer der Soldaten. „Was?", fragte sie. Ihre Vorstellung, Hilfe von dem königlichen Hof zu bekommen, zerplatzte grade. „Es ist den Bürgern momentan untersagt, das Schloss zu betreten. In der Königsfamilie hat sich ein privater Vorfall ereignet."
Das konnte doch nicht... Das durfte einfach nicht wahr sein! „Ich bitte Euch. Meine Freundin ist sehr schwer krank, niemand hilft ihr und wenn das so weiter geht, dann stirbt sie. Ich habe alles versucht, doch es hat nichts gebracht." Ihre Stimme versagte und sie vergrub ihr Gesicht in ihren Händen.

Raisa hatte nicht mehr die Kraft, um ihre harte Seite aufrechtzuerhalten. Die Tränen liefen und sie konnte es nicht verhindern. Vielleicht wollte sie es auch gar nicht. Am liebsten würde sie ihr Leid in die Welt hinausschreien. Kraftlos sank sie zu Boden. 'Hylia, bitte lass es aufhören', waren ihre Gedanken. Da ihr sowieso niemand helfen wollte, konnte sie auch wieder gehen. Sie versuchte irgendwie auf die Beine zu kommen, was ihr schwerer fiel, als gedacht.
„Verreckt doch alle in der Hölle, ihr Bastarde", flüsterte sie wütend und verzweifelt vor sich hin. Was sollte sie jetzt tun? So konnte sie doch unmöglich zu Seina zurückkehren. Ihre Freundin noch trauriger zu machen, als sie sowieso schon war... „Was kann ich eigentlich?", fragte sie sich selbst, als sie am Boden zerstört durch die Straßen Hyrules ging. Sollte sie auf ein Wunder hoffen? Dafür ging ihr die Zeit aus. Sollte sie weiter betteln? Nein, auch das würde nichts bringen. Den ganzen Tag versuchte sie dies schon, ohne auch nur den kleinsten Erfolg.

Seina war so ein lieber Mensch... Egal wie gehässig die Menschen zu ihr waren, sie hat es ihnen nie übel genommen. Im Gegensatz zu Raisa war sie auch ziemlich verträumt. Sie lachte immer viel und hatte ihren Spaß am Leben, obwohl sie in einer so schlechten Lage lebte. Raisa kannte Seina's Geschichte genau... Der Grund, warum diese liebevolle Person auf der Straße leben musste. Ihrer war ein ganze anderer, als der von Raisa.
Während Raisa schon von klein auf sich gestellt war, weil sie ausgesetzt wurde, lebte Seina als Kind in einer ziemlich wohlhabenden Familie. Und genau dies wurde ihr zum Verhängnis. Ihre Familie wurde ermordet, aufgrund ihres Wohlstandes. Damals war Seina sieben Jahre alt und stand von einem Tag auf den anderen vor dem Nichts. Raisa wusste von Seina außerdem, dass sie zu dieser Zeit nicht einmal wusste, was der Tod war.

Seina lebte für eine kurze Zeit noch in einem Waisenhaus, doch hielt sie es dort nicht mehr aus und war dort abgehauen. Wenige Tage später kreuzten sich die Pfade der beiden Mädchen. Und obwohl die beiden noch sehr jung waren, bewunderte Seina Raisa für ihre Stärke.
Seit dem Tag, an dem sie sich trafen, verband die beiden eine tiefe Freundschaft. Eine Freundschaft, die nicht mit Worten zu beschreiben war. Beide hatten jemanden gefunden, der für den anderen da war, der den anderen verstand. Da sie mutterseelenallein auf dieser Welt waren, sahen sie auch etwas Familie in dem anderen. Besonders Raisa, die nie eine Familie hatte. Dieses Glück, diese Freude... Beides war sie, Raisa, kurz davor zu verlieren. Und sie konnte nichts tun, außer zusehen, wie man ihr förmlich einen Dolch in die Brust, mitten durchs Herz rammte.

„Du bist schon wieder da? Ich nehme an, das bedeutet, dass die Königsfamilie uns auch nicht hilft", sagte Seina. Raisa kniete sich zu ihr auf den Boden. „Wir finden schon noch etwas. Ich gebe nicht auf und das weißt du auch", antwortete Raisa bestimmt. Daraufhin hielt Seina Raisa aus den Decken heraus ihre Hand hin. Das braunhaarige Mädchen ergriff diese sofort. „Mach dir keine Sorgen", sagte Raisa. „Ich mache mir mehr Sorgen um dich, als um mich", erwiderte Seina jedoch. Während Raisa die eiskalte Hand ihrer Freundin rieb, senkte sich ihr Blick. „Ich bitte dich damit aufzuhören und an dein eigenes Wohl zu denken. Ich komme schon klar... Sag, fehlt es dir an irgendetwas? Hast du Schmerzen?", fragte Raisa. Ihre beste Freundin schüttelte kaum merklich den Kopf. Raisa glaubte Seina, dass diese keine Schmerzen hatte... Zum Glück! Oder...kam dies, weil sich ihr Ende näherte?
„Du weißt, ich tue alles für dich. Wenn ich dafür auch über Leichen gehen muss, dann tu ich das. Solange du..." – „Raisa", unterbrach Seina sie. „Ich habe lange darüber nachgedacht, ob ich dir das sagen soll oder nicht. Jetzt bin ich zu dem Entschluss gekommen, dass dies notwendig ist. Ich möchte, dass du weißt, dass ich immer bei dir bin, ja? Egal was uns trennt, egal ob ich noch lebe oder nicht, egal was geschieht, ich werde immer da sein und weißt du auch, warum?", fragte die Rothaarige.
Nun war es Seina, der Tränen die Wange herunterliefen. „Ich habe dich lieb." Weitere Tränen fanden ihren Weg die Wangen hinunter. „Und, weil du meine beste Freundin bist, werde ich immer in deinem Herzen weiterleben. Deshalb vergiss mich bitte nicht."

Auch Raisa konnte ihre Gefühle nicht länger zurückhalten. Bewegt von diesen Worten, flossen auch auf ihren Wangen Tränen hinunter. „Wie könnte ich dich vergessen?", fragte Raisa und wischte sich über das Gesicht. „Darf ich dich um etwas bitten? Nein..., versprichst du mit etwas Raisa?" Ich möchte nicht, dass du dich aufgibst. Werde noch stärker, als du es jetzt schon biste. Werde so stark, dass du unseren Traum in Erfüllung gehen lassen wirst. Werde zu einer Person, zu denen die Menschen, nein, alle Völker Hyrules aufsehen können. Ich bedaure, dass ich das nicht mehr selbst miterleben werde, doch ich glaube an dich und weiß, dass du das schaffen wirst. Bitte Raisa... Lebe."

Warum.... Warum passierte das grade? Ihr Herz schmerzte so sehr, dass es kaum auszuhalten war und ihre Tränen wollten einfach nicht versiegen. „Ich verspreche es dir Seina. Ich... Habe dich auch lieb", sagte sie zwischen zusammengepressten Zähnen. „Danke. Ich danke dir Raisa. Jetzt bin ich wirklich erleichtert", waren Seina's Worte. Ihre letzten Worte.
Raisa war damit beschäftigt, sich die Tränen wegzuwischen, als ihr Seina's Hand entglitt und ohne Widerstand zu Boden fiel. Als sie diese wieder nahm, ohne eine Reaktion zu bekommen, sah sie blitzschnell in das Gesicht ihrer Freundin. Diese Lag da, mit den Augen geschlossen und einem Lächeln auf den Lippen.

„Seina?", fragte Raisa vorsichtig. Wieder keine Reaktion. Jetzt flossen die Tränen erneut, dieses Mal jedoch stärker. „Seina?", fragte sie lauter und rüttelte an ihrer Freundin. Die Tatsache und das Wissen, was war, breiteten sich in Raisa's Kopf aus, doch sie konnte und wollte das nicht glauben. Das war nur ein Traum, ein Alptraum, redete sie sich selbst ein. Sie hatte das Gefühl, als würde sich ihr Hals zuschnüren und jegliche Luft, die sie einatmete, kam nicht mehr an.
„Du kannst mich nicht alleine lassen", rief sie und suchte vergeblich nach einem Lebenszeichen. Doch.. Sie fand keins. „Warum?", fragte sie unter bitteren Tränen. „Warum?!", schrie sie und hielt sich den. Ihre Hände vergruben dich in ihren Haaren und sie zog an diesen, um einen Schmerz zu erzeugen, der den in ihrem Herzen übertreffen sollte, damit es sie dort nicht länger schmerzte.
Ihr Herz fühlte sich einfach nur leer an. Genauso wie sich ihr ganzes Dasein leer anfühlte. Und genau diese Leere... War die Ursache des Schmerzes.

„Du kannst mich nicht allein lassen! Außer dir habe ich doch niemanden! Komm zu mir zurück!" Sie wusste, dass ihre Worte nichts bewirkten, doch sie handelte, ohne über irgendetwas nachzudenken. Sie war dazu im Moment einfach nicht fähig.
Ihr Kopf dröhnte unterdessen schon, weil sie ununterbrochen am Weinen war. Doch sie konnte nicht aufhören, der Schmerz verschwand ja auch nicht. „Wie soll ich denn ohne dich Leben?", flüsterte sie verzweifelt. Mehr konnte sie auch nicht mehr. Sie war mehr als am Boden zerstört. Das Schicksal hatte ihr grade alles genommen, was sie hatte.

Warum war die Welt nur so grausam? Wenn sie bestraft werden sollte, dann sollte gefälligst sie sterben und nicht... Eine weitere Welle der Trauer übermannte sie. Dass sie überhaupt noch weinen konnte...

Mit einem Mal wurde sie vom Boden hochgezogen und gegen eine der Wände gedrückt.
„Jetzt hör mal zu, heulen wird dir nichts bringen, klar?! Diese Welt ist grausam und wird auch immer grausam bleiben. Wenn du hier überleben willst, musst du also auch grausam werden. Wenn du einen solchen Schmerz nie wieder durchleben willst, gib Gefühle auf. Sie werden dich im Leben nur behindern. Sie werden dich schwach machen. Aber wenn du kalt und unnahbar bist, kannst du auf diese Art und Weise nie mehr verletzt werden." Raisa blickte in da Gesicht des Jungen, der sie an die Wand drückte. Stumm liefen ihr noch immer die Tränen über die Wangen. „Hast du das kapiert, Mädel?", fragte er harsch. Sie hingegen erwiderte nichts, sie konnte einfach nicht. Dennoch ließ er von ihr ab. „Ich geb' dir mal einen Tipp. Bring deine Freundin von hier weg und begrab sie selbst. Tust du es nicht, wird sie hier verbrannt und von ihr wird nichts zurückbleiben." Er sollte einfach nur aufhören zu reden und verschwinden. Sie konnte nichts mehr ertragen. Sie war gebrochen. Für sie hatte die Welt aufgehört sich zu drehen und die Zeit hatte angehalten.
Es fühlte sich für sie an, als wäre sie in einem nie enden Alptraum, in dem der Schmerz sie förmlich auffraß. Die Tränen fanden vorerst kein Ende, doch sie war sich sicher, dass dies die letzten sein sollten. Schluchzend und schniefend schwor sie sich, nie wieder zu weinen. Für Seina, denn sie hätte sie nicht so am Boden zerstört sehen wollen. Seina....

Dies war der Tag, der ihr Leben komplett veränderte. Der Tag, der sie zu der Person machte, die sie nun war. Der Tod einer geliebten Person konnte vieles anrichten. Bei ihr... Ließ er sie zu einem Monster werden.  

Number 6Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt