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Ein paar Minuten später saßen wir in dem oberen Salon des Westflügels. Eines der Dienstmädchen entfachte Feuer im Kamin und verschwand danach eilig ohne auch nur ein Wort zu sagen oder den Blick vom Boden zu heben nach draußen. Es war ein fremdes Gefühl, nicht derjenige zu sein, der beschämt über seineHerkunft und gesellschaftlichen Stand den Kopf gesunken hielt. Hier schien ich eine neue Chance zu bekommen und es kümmerte niemanden woher ich kam oder wie viel Vermögen ich besaß.

Erst, als die Schritte des jungen Mädchens verklungen waren, begann Jaronas mit verschränkten Armen zu sprechen »Du hast bestimmt viele Fragen«. Ich sank nickend in dem schweren Sessel vor dem Kamin zurück und fragte zögerlich »Was ist alles von den Legenden wahr?«, Jaronas lächelte müde. Es war kein warmes oder amüsiertes Lächeln, es schien mehr ein gezwungenes zu sein, als sei er betrübt darüber, dass ich meine Vorstellung des Vampirs mit diesen absurden Ideen vergiftetet hatte. »Frag mich lieber was davon nicht der Wahrheit entspricht«, schluger schließlich vor »Das würde uns viel wertvolle Zeit ersparen«. Verwirrt entgegnete ich darauf »Aber haben wir denn nicht unendlich viel Zeit?

Oder ist das einer der unmöglichen Irrtümer der Legenden?«. Jaronas dachte einen kurzenMoment lang nach, bis er schließlich erwiderte »Nichts ist unendlich, merk dir das. Die Unsterblichkeit ist nur ein leeres Wort, dass sich die Menschen in ihrer naiven, ja fast kindlichen,Hoffnung ausgedacht haben um mit den unausweichlichen Gedanken über den Tod fertig werden zu können. Du wirst sie in jedem Glauben und in jeder Kultur dieser Erde vorfinden«, belehrte er mich eines Besseren

»Was uns Vampirebetrifft: Wir können wie jeder andere gewöhnliche Mensch jederzeit durch Fremdeinwirkung sterben. Vielleicht nicht durch eine Krankheit, aber durch jede Waffe und jedes Gift. Wir sind genauso verletzlich wie jeder andere Sterbliche«. Überrascht fragte ich »Ist unsere Zeit also doch auf natürliche Weise begrenzt?«, Jaronas verneinte »Du meinst den natürlichen Tod? Nein, wir altern nicht«.

Ich dachte eine Zeit lang über seine einprägsamen Worte nach, welche Fluch ich Elly aufgelegt hatte. Doch schließlich kam ich zu dem Entschluss daseine für immer junge, unsterbliche Schwester tausendmal besser war, als eine sterbliche, vergängliche. »Mr. Asbury...«, setzte ich meine Neugier stillenden Fragen fort »Wie...« »Nenn mich nicht Mr. Asbury«, fiel er mir mit ruhiger Stimme ins Wort »Dadurch fühle ich mich noch älter als ich ohnehin schon bin. Alle Vampire nennen mich nur bei meinem Vornamen und ich biete dich diesemBeispiel zu folgen«.

Ich wollte gerade den Mund öffnen um zu erfragen wie alter denn sei, als er mir zuvorkam. Mit einem erschöpften Lächeln auf den Lippen, als hätte er genau gewusst, dass ich diese Frage stellen wollte sagte er »Über dreihundert Jahre«.

Die gläserne UnsterblichkeitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt