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Die geröteten Augen meiner Mutter wirkten in der trüben Nachmittagsonne wie kleine Scherben aus dunkelgrünem Glas. Ihre dürren, von der Arbeit geschundenen Hände, waren auf ihre bebenden Lippen gepresst.

Ihr ersticktes Schluchzen ging in der Menge aus Schaulistigen unter. Ich spürte das raue Seil an meinen, inzwischen aufgeschürften, Handgelenken, das fester gezerrt wurde. Der Mann, der eine tiefe Narbe unter dem linken Auge besaß, lächelte bitter.

»So schnell wirst du nichts mehr stehlen«, raunte er barsch. Mit steinerner Miene machte er das Seil an dem Holzpfahl, der in der Mitte des Platzes stand, fest. Ich wandte meinen verängstigten Blick zu Boden.

Dort lag es, mein dreckiges, viel zu großes Hemd. Heiße Tränen brannten in meinen Augen. All das nur für einen Laib Brot. Ich bereute es mehr als alles andere gestohlen zu haben. Aber ich hatte solchen Hunger gehabt.

Dieses nagende Gefühl im Bauch hatte mich seit Tagen rasend gemacht. Ich wollte nur einen ganz kleinen Bissen von diesem halbverschimmelten Stück Brot zwischen den Zähnen spüren. Nicht einmal das hatte mir das Schicksal geboten, stattdessen stand ich nun hier.

Ich war noch ein Kind gewesen, noch keine ganzen vierzehn Jahre alt und völlig ausgehungert. Die Sonne schien mild auf meinen nackten, abgemagerten Oberkörper. Der mürrische Mann mit der Narbe überprüfte noch einmal den Knoten meiner Fesseln um die Handgelenke und wandte sich dann zum Henker um, der mit grimmiger Miene geduldig abgewartet hatte.

In seinen groben Händen, die mir wie riesige Klauen erschienen, ruhte die Peitsche. Dieses Bild hatte sich in meine Erinnerungen eingebrannt. Wie ein uraltes Fossil aus Stein erinnerte es mich an die dunkelste Stunde meiner Kindheit.

Hoffnungsvoll versuchte ich meine Hände aus dem Seil zu winden. Vergeblichst, der Mann mit der Narbe hatte den Knoten zu fest gebunden. Die Taubheit schlich langsam in meine Hände mit den abgekauten Fingernägeln. Die Schaulustigen, ein ganzes Dutzend, drängten den Henker von allen Seiten mit Zurufen, dass er jetzt endlich beginnen solle.

Die gläserne UnsterblichkeitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt