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Bei meiner Rückkehr stellte ich erleichtert fest, dass Blair meine Schwester inzwischen wieder beruhigt zu haben schien. Die beiden saßen in Ellys Zimmer auf dem Bett und Blair las ihr die Märchen der Gebrüder Grimm vor. In den hellbraunen Augen meiner Schwester, die fast golden erschienen, glitzerten noch ein paar Tränen.

Verloren stand ich im Gang und sah ihnen durch den Spalt in der Tür zu. Erst, als Jaronas nach mich schicken ließ, löste ich mich aus meiner Starre und begab mich hinunter in die Eingangshalle. Ich zählte über vierzig Vampire, mich eingerechnet. Im Stillen fragte ich mich, wie sie alle im Anwesen Platz finden konnten. Doch ich kam zu dem Entschluss, dass nicht einmal ein Viertel hier lebte und die anderen irgendwo in Highgate nahe des Zirkels lebten. Jaronas versteinerte Miene musterte mich kurz, ehe er mich und die fünf Alten aufforderte, ihm zu folgen.

Wenn ich von dem Worte Alten beglich mache, stellt sich jeder Sterbliche einen alten Greis vor. Doch in dieser kleinen Gefolgschaft, in der ich vom Aussehen ebenfalls der jüngste war, gab es nur junge Männer im ewig eingefrorenen Alter zwischen zwanzig und Anfang dreißig. Darius, den ich auf bitte zwanzig schätzte musterte mich kurz, ehe er seine Zweifel laut aussprach »Wie kommt es, dass ausgerechnet du, mit der wenigsten Erfahrung im Kampf, uns begleitest«, ich ignorierte seine überflüssige Bemerkung.

Doch Darius ließ nicht von mir ab, sondern stachelte weiter »Ich habe dich noch nie eine Waffen in den Händen halten sehen«, der Vampir hinunter uns begann zu lachen. Gereizt antwortete ich »Weil ich auch schlau genug bin Situationen zu umgehen, in denen ich mich mit Waffen verteidigen muss«, ich beschleunigte meine Schritte und steckte meine Hände in die Manteltaschen. Als wir schließlich in der Kutsche saßen und Richtung London aufbrachen, reichte mir Jaronas einen Dolch, der in weißes Leinentuch gewickelt worden war. Glücklicherweise musste ich mit keiner Bemerkung von Daraus rechnen, da dieser draußen neben Stephan am Kutschbock saß.

»Danke«, murmelte ich nicht sonderlich begeistert. »Nur für den Fall«, erklärte Jaronas »Wenn du es nicht hinaus schaffen solltest, um Lucien das Zeichen zu geben«. Die restliche Fahrt über herrschte eine angespannte Stille zwischen uns vieren. Meine Nervosität kroch zurück in meinen Bauch, als ich durch das Fenster die heruntergekommenen Häuser von Whitechapel vorbei ziehen sah. Unsicher wandte ich meinen Blick ab und begutachtete den Dolch in meinen Händen. Die silberne Klinge war frisch geschliffen worden und wies keine Kratzer oder andere Schäden auf.

Der einfache Griff aus kaltem, schwarzen Stein lag schwer in meiner Hand. Mit ruhiger Miene steckte ich die Waffe griffbereit in die Brusttasche meines Mantels. Mit einem Ruck kam die Kutsche im Hafenviertel zum Stillstand. Darius sprang von seinem Platz herunter und öffnete die Tür »Wir sind wie geplant zu früh, es ist niemand zu sehen«. Argwöhnisch ließ Jaronas seinen Blick umher schweifen, nachdem er ausgestiegen war. Nur schwer erkannte ich Lucien am anderen Ende der Straße wieder, der mit zwei anderen Vampiren auf den Stufen eines Hauses saß.

Deren Kleidung war dreckig und an seinen Wangen klebte Ruß. Zufrieden näherten wir fünf uns der Lagerhalle und ließen Stephan an der Kutsche zurück. Meine Knie zitterten leicht, als wir in das stickige Innere traten. Dicke Staubschichten lagen auf den übrig geblieben, leeren Kisten mit der Aufschrift East India Company.

Die gläserne UnsterblichkeitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt