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Blairs Blick war zu Boden gewandte als sie ging. »Warte«, forderte ich sie nach wenigen Schritten auf »Wieso bist du heute schon so früh wach?«. Blairs Wangen färbten sich noch röter. Etwas zögerlich antwortete sie »Elly ist nicht mehr in ihrem Bett gewesen als ich aufgewacht bin.

Ich habe schon das ganze Anwesen nach ihr abgesucht. Ich war sogar schon am anderen Ende des Parks, ich konnte sie nirgendwo ausfindig machen«. Blair sah mich mit verschränkten Armen und einem bettelnden Blick an. Sie hatte Angst das ich sie feuern würde. Völlig ruhig jedoch sagte ich zu ihr »Ich weiß wo sich meine Schwester versteckt. Folg mir«.

Wenige Sekunden später standen wir in der Bibliothek. Jedoch schien auf den ersten Blick niemand dort zu sein. Man vernahm weder das Rascheln von Papier, noch konnte man Schritte oder Stimmen hören. Doch ich wusste das Elly hier war und wo ich sie finden würde.

Blair folgte mir schweigsam bis in die hinterste Ecke des Raumes, der gefüllt mit deckenhohen Bücherregalen war. Am Fuße des letzten Regals, inmitten aufgeschlagener Bücher, saß Elly. Es gab ein komisches Bild ab: die alten, auf lateinverfassten Schriften erschienen unnatürlich groß neben ihr. Vollkommen stumm saß sie dort und verschlang eine Seite nach der anderen.

Allesamt Bücher über Magie und Fabelwesen der römischen Mythologie. Blair trat auf sie zu, meine Schwester wandte den Blick nicht von dem Buch ab. Erst als das Kindermädchen sie hochhob, kam Leben in sie. Sie zappelte wild in den Armen von Blair und fing an zu quengeln. »Lass mich runter!« quiekte sie und ließ das Buch fallen.

Ich kam Blair zu Hilfe und nahm ihr Elly ab. Es war leicht sie unter Kontrolle zu bringen. Schlussendlich schlang meine Schwester ihr Arme um meinen Hals und schmiegte ihren Kopf auf meine rechte Schulter. »Vincent«, fragte sie zögerlich »Kannst du mir etwas vorlesen?« »Warum lest du nicht selbst?« gab ich zurück, weil ich einfache keine Lust dazu aufbringen konnte.

»Weil das Buch was ich lesen will, verzaubert ist. Ich kann die Worte nicht lesen, du musst es tun«. Elly deutete auf ein Buch mit kobaltblauen Umschlag. Blair hob es auf und reichte es meiner Schwester. Sie schlug die ersten Seiten auf. Ich musste grinsen. Die Wörter waren nicht verzaubert, das Buch war nur auf Französisch verfasst worden.

»Wo hast du das her«, erkundigte ich mich, weil das Buch nicht zu den anderen vom Inhalt her passte. Es waren Artussagen aus Frankreich. Das Buch war voller Epen des berühmten Königs aus England. »Von da vorne«, antwortete Elly.

Die gläserne UnsterblichkeitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt