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»Kate hasst mich«, jammerte Jack und hielt seinen pochenden Kopf. »Alle Geschwister hassen sich«, versuchte ich ihn ein wenig aufzuheitern, währen dich das Feuer im Kamin nachlegte. »Du solltest dir mehr Sorgen um deinen Kopf machen«, fügte Jaronas hinzu. Jack versank noch tiefer in seinem Sessel.

Den ganzen Vormittag saß er nun schon im Salon des Anwesens in Highgate und badete sich in Selbstzweifel. Ich lächelte müde und streckte meine Hände dem wärmenden Kaminfeuer entgegen »Ich dachte schon, ich würde meiner Finger nie wieder spüren«, seufzte ich zufrieden. Jaronas sah von seinem Buch auf »Du könntest deine Schwester zu dem Ball nächsten Freitag einladen«, schlug er Jack vor.

»Sie wird nicht kommen«, raunte dieser lustlos. »Woher willst du das wissen, wenn du es nicht einmal versuchst sie einzuladen?«, hakte Jaronas nach. Jack seufzte »Ich kenne Kate. Und außerdem wird sie nie wieder mit mir reden wollen«. Ich wandte mich zu Jack um »Ich könnte sie fragen«. Für einen kurzen Moment herrschte absolute Stille im Raum.

Jack setzte sich kerzengerade hin »Untersteh dich auch nur daran zu denken«, zischte Jack. Gleich darauf sackte wieder in sich zusammen und hielt seinen pochenden Kopf. Jaronas legte sein Buch zur Seite »Ich finde, dass Vincent gleich morgen früh losreiten sollte«, erklärte er. Ein erwartungsvolles Lächeln zauberte sich auf meine halberfrorenen Lippen.

Das orange Glühen der Holzscheite verlosch kurz vor elf Uhr. Die schweigende Dunkelheit die vom Kamin ausging tränkte meine Sinne in eine betäubende Schläfrigkeit. Jack war auf seinem Platz eingeschlafen. Sein Kopf war leicht nach vorne auf die Brust geneigt, so das seine wilden rotbraunen Locken ihm in das Gesicht hingen.

Mein Blick schweifte zu Jaronas hinüber, der immer noch über dem Buch von vorhin brütete. Er schien, im Gegensatz zu uns, noch hellwach und konzentriert zu sein. Das Licht der einzigen Kerze im Zimmer warf ihren Lichtkegel nur auf die vergilbten Seiten auf der die schwarze Tinte vergangener Tage langsam zu verblassen begann. Schließlich erhob ich mich von meinem Platz am Kamin, bedacht darauf Jack nicht zu wecken und begab mich auf den Weg in mein Schlafzimmer.

Die dunklen Flure des Anwesens waren verlassen und eine unheimliche Stille hing in der Luft. Ich wollte gerade meine Hand auf die Türklinke des Schlafzimmers legen, als mich eine Hand ruckartig an der Schulter packte. Aus dem Augenwinkel heraus bemerkte ich die gezackte Narbe auf der blassen Haut des Unterarms. »Lucien«, murmelte ich nicht sonderlich begeistert.

Er löste seine Finger und trat neben mich »Ich glaube Jaronas hat Verdacht geschöpft«, teilte er seine Vermutung in einem ungewöhnlichen rauen Tonfall. Ich war viel zu müde um seinen Worten folgen zu können »Kann das nicht bis morgen warten?«, fragte ich schläfrig.

Die gläserne UnsterblichkeitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt