116

16 3 0
                                    

Inspektor Abberlines unerbittliches Unterfangen mich zu stellen, sorgte für reichlich genug Gesprächsstoff unter den adligen und vermögenden Gästen des Balls. Das gedämpfte Flüstern konnte ich nur schwer überhören, da es aus jeder Ecke des Salons und der Eingangshalle drang. Jack saß mit einem nervösen Gesichtsausdruck auf der Treppe und starrte auf die Eingangstür.

Ungeduldig wippte er mit seinem rechten Fuß auf und ab und fuhr sich alle paar Minuten durch sein lockiges Haar. Da ich ohnehin keine Tanzpartnerin an diesem Abend fand, setzte ich mich zu ihm. »Sie wird nicht kommen«, erklärte Jack verunsichert und blickte zur Wanduhr in der Eingangshalle »Ich kenne meine Schwester zu gut«. Lächelnd versicherte ich ihm »Glaub mir, Kate wird kommen« »Was macht dich da so sicher?«, wollte er wissen und sah müde zu Boden.

Mein Blick schweifte zur Eingangstür »Weil sie gerade angekommen ist«. Jack sprang hoch und streifte den Stoff seiner Jacke glatt. Ein nervöses Lächeln umspielte seine Lippen, als Kate uns bemerkt hatte und unsicher durch die Ballgäste zu uns eilte. Das dunkelblaue Kleid schien ihr etwas zu klein und wies hier und da kleine zerrissene Stellen auf. Es wäre bestimmt nicht so drastisch, dachte ich im Stillen, wenn sie wenigstens einen selbstsicheren Ausdruck besäße. Doch Kate fühlte sich in diesem Kleid sichtbar unwohl.

Ständig zupfte sie an dem Saum herum und versuchte die Ärmel etwas hochzuziehen. Schließlich schaffte Jack es, ihr ein Kompliment zu machen »Du siehst gut aus«, Kate zog skeptisch die Augenbrauen hoch »Gut?«, ihre Stimme klang leicht beleidigt. Hastig wandte ich mich zu Wort »Was Ihr Bruder eigentlich sagen wollte, ist, dass Sie bezaubernd aussehen, Miss Stewart«. Kate hob schief grinsend ihren Kopf ein wenig »Siehst du Jack, Mr. Bates weiß anscheinend mehr mit Worten umzugehen als du«. Jack ließ missmutig die Schultern hängen »Du bist meine Schwester, ich kann dir unmöglich so schmeicheln wie er...« »Miss Stewart«, Luciens Stimme klang bitter und spöttisch zu gleich.

Überrascht wandte sich Kate zu ihm um »Sie müssen wissen, dass Vincent dies nur so gut beherrscht, weil er für jedes Mädchen die gleichen, einstudierten Worte übrig hat«. Kate verschränkte die Arme vor der Brust ehe sie murmelte »Und Sie sind?«. Luciens eisblaue Augen glänzten verheißungsvoll »Entschuldigen Sie meine Unhöflichkeit«, seine gestochenen Ausdrücke machten mich rasend »Ich bin Mr. Bates Cousin Louis Bates«.

Mit einem Schlag wich die letzte Freude aus meinen Gesichtszügen und ich spürte eine gleißende Wut in mir aufsteigen. Doch als sein herausfordernder Blick auf meinen traf, wurde mir etwas schmerzlich bewusst: Es sprach die Wahrheit aus. Die offensichtlichen Bemerkungen über meine Vergangenheit bestätigten dies nur. Mein Blick wanderte zu Luciens Unterarm. Die Narbe, die er sich in der Schmiede seines Vater zugezogen hatte, lag halb bedeckt unter seinem weißen Hemd. Unzählige Fragen schossen in meinen Kopf. »Könnte ich dich kurz sprechen?«, fragte ich schließlich Lucien mit trockenem Mund. Er lächelte verstohlen »Natürlich, Cousin«.

Eilig brachte ich ihn nach oben in das Musikzimmer. Amüsiert über meine verspätete Erkenntnis, ließ er sich schief grinsend auf dem Armsessel neben dem Flügel nieder »Du warst nie der Schlauere von uns beiden«, feixte er und verschränkte seine Arme hinter seinem Kopf.

Die gläserne UnsterblichkeitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt