21

44 6 0
                                    

Die schützende Taubheit in meiner Brust verlosch mit einem Schlag und mein dumpfer Herzschlag hallte in meinen Ohren wieder. Ich schnappte von der Panik gepackt nach Luft und spürte seine Hände nach meinen Armen greifen »Vincent...«, war das einzige Wort das er, anscheinend nur mühevoll, hervorbrachte.

Mein Mund war leicht geöffnet, so das meine kleinen Reißzähne in dem letzten spärlichen Licht des Tages gefährlich glänzten. Sie waren nicht raubtierartig, sondern fielen Sterbliche, die mich nicht kannten, kaum bis gar nicht auf. Man konnte sogar behaupten, sie waren noch menschlich.

Doch mein Vater kannte mich zugut und wich plötzlich zurück. Meine ungewöhnliche Augenfarbe und die Reißzähne ließen ihn zurück schrecken. Das schmerzhafte Pochen in meiner Brust weckte meine Sinne. Wie Trommelschläge auf einem Schlachtfeld packte mich plötzlich ein unbeschreiblicher Mut. Ich schüttelte nur den Kopf, als wollte ich meinem eigenen Vater klar machen das er sich irrt.

Das nicht sein verlorener Sohn vor ihm stand. Wenn er bloß wüsste, wie gerne ich mit ihm nach Hause zu meiner Mutter gegangen wäre. Aber ich konnte es nicht. Ich durfte nicht. Im nächsten Moment begann ich wie um mein Leben zu rennen. Er rief mir nach, ich solle doch warten, aber ich verschwand in den schützenden Schatten der Gasse.

Ich rannte, als ob der Teufel selbst mich verfolgte und kam zu dem Platz an dem ich mein Pferd angebunden hatte. Hastig stieg ich in den Sattel und hetzte das Tier aus London. Erst als die letzten Häuser hinter uns lagen hielt ich an. Ich krallte meine Hände in meine Haare und unterdrückte einen verzweifelten Schrei.

Der Schmerz in meiner Brust raubte mir den Verstand. Nur schemenhaft erinnerte ich mich an die Stunden die zwischen dem Sonnenaufgang und dem Zeitpunkt meines Zusammenbruchs lagen. Jaronas las mich am frühen Morgen des darauffolgenden, verregneten Tages in irgendeiner Taverne in einem Dorf weit hinter Highgate auf.

Ich hatte versucht meinen Kummer in einer halben Flasche Whiskey zu ertrinken. Ich war nicht die Art von Mann die das als einzige Lösung sah. Ich wusste immerhin wie ekelhaft Alkohol schmeckte, wie sehr er auf der Zunge brannte und wie grausam mein Vater meine Mutter nach solchen Trinkgelagen behandelt hatte.

Aber ich wollte nur für einen kurzen Moment all das Elend das ich verursacht hatte vergessen. Jaronas Vorwürfe erreichten mein Gewiss nicht, da es bereits überfüllt war mit all dem Selbsthass in meiner Seele. Er verbot mir das Anwesen in den nächsten Tagen zu verlassen und zwang mich die Ordnung des Zirkels, in dem wir lebten, ein dutzend Mal zu schreiben.

Eine Woche voller schlafloser Nächte war vorübergezogen, als Jaronas mich wissen ließ, dass ich meine Lektion gelernt hätte. Er versuchte mir darauf zu entlocken was den grauenvolles in London vorgefallen sei, dass ich so bestürzt und verängstigt wirkte. Meine Antwort blieb immer die gleiche: Ein steinernes Schweigen ihm gegenüber.

Die gläserne UnsterblichkeitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt