55

397 17 0
                                    


RIKU

„Versuch, noch ein bisschen zu schlafen, mein Engel, es ist mitten in der Nacht", rede ich beruhigend auf ihn ein. Ich ziehe ihn in meine Arme und er kuschelt sich bereitwillig an meine Brust. Ich vergrabe meine Nase in seinen blonden wuscheligen Locken, die ich so an ihm liebe und streichel ihm über den Rücken, sodass er irgendwann wieder eingeschlafen ist. Ich lausche seinem gleichmäßigen Atmen und dem Schlag seines Herzens, das immer wieder so voller Verzweiflung ist. Ich kann nicht wieder einschlafen, zumindest nicht so schnell. So viele Gedanken schwirren mir durch den Kopf. Gäbe es je wieder eine Chance für Sunrise Avenue? Würden unsere Fans uns wieder aufnehmen oder haben sie uns längst abgeschrieben? Und was würde Plattenfirma sagen? Würden sie überhaupt je wieder einen Vertrag mit uns machen? Und nicht zuletzt Mikko. Wäre er bereit, nochmal mit uns von vorn anzufangen und uns zu managen? Würde er erneut mit uns auf diese Reise gehen? Hätten die anderen Jungs Lust, das damals angefangene sechste Album fertig zu stellen und wieder auf Tour zu gehen? Hätten sie so viel Vertrauen zu Samu, dass er das durchziehen würde oder hätten sie zu viel Angst, dass er bei der erstbesten Gelegenheit wieder das Handtuch wirft? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur eins. Ich vermisse es wahnsinnig, mit meinem Lockenkopf an der Seite neben mir auf der Bühne zu stehen, Gitarre zu spielen, zu singen und die Fans glücklich zu machen mit unserer Musik. Dieses einzigartige Gefühl, dort oben zu stehen, alle feiern mit und singen mit. Sie kennen jede einzelne Zeile von jedem Lied. Du guckst in tausende strahlende Gesichter und das Adrenalin schießt nur so durch deinen Körper. Ein berauschendes Gefühl. Es ist einfach etwas ganz Besonderes, diesen Beruf auszuüben, seinen Traum zu leben und das tun zu dürfen, was man aus tiefstem Herzen liebt und dann noch mit dem Menschen, den man über alles liebt. Für den man durchs Feuer gehen würde.

Diese ganzen Gedanken schwirren mir noch eine Weile durch den Kopf, aber irgendwann werde ich darüber auch wieder müde und schlafe ein mit Samu in meinem Arm. Als ich am nächsten Tag aufwache, liegt Samu nicht mehr dort, wo ich ihn in der Nacht noch wusste. Verschlafen werfe ich einen Blick auf meine Smartwatch und erschrecke. Es ist schon nach Mittag. Normalerweise bin nicht ich, sondern eher mein Blondschopf die Schlafmütze von uns beiden. Ich schlage die Bettdecke zurück und schleiche noch etwas verschlafen die Treppe herunter. Von unten klingen mir leise Gitarrentöne in meine Ohren. Eine Weile setze ich mich auf die Treppe und höre einfach zu, ohne mich bemerkbar zu machen. Dann wird es still und ein paar Sekunden später höre ich ein herzzerreißendes Schluchzen. Ruckartig stehe ich auf, dass mir fast ein bisschen schwindelig wird, dann eile ich zu Samu. Er sitzt da auf dem Sitzhocker, seine Gitarre liegt zu seinen Füßen und er hat den Kopf in den Armen vergraben und weint bitterlich. Sofort nehme ich ihn in den Arm. „Babe, hey...", mache ich sanft auf mich aufmerksam. Samu's Antwort ist ein noch tieferes Schluchzen. „Rikuu", stößt er verweint hervor. Sein ganzer Körperzittert, weil er so weint. Ich vergrabe meine Hand in seinen Haaren und versuche, ihn mit meiner Nähe und Zärtlichkeiten zu beruhigen, aber es dauert eine ganze Weile, bis sein Schluchzen leiser wird und schließlich ganz verschwindet. Endlich hebt er seinen Blick und guck mich an. Sein Anblick bricht mir das Herz. Seine Augen sind knallrot und ich kann die Verzweiflung förmlich sehen, die ihn quält. „Samu, hey, Babe, bitte rede mit mir. Was ist los mit dir?" 

Do we love it enough to come back home?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt