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Irgendwann wache ich wieder auf. Es ist stockdunkel. Es muss mitten in der Nacht sein. Was ist passiert? Ich versuche, einen klaren Gedanken zu fassen, doch ich bin wie benebelt. Ich hebe meine Hand und öffne die Augen. Der Mond gibt ein bisschen Licht und als ich mich bewege, geht meine kleine Lampe vor der Haustür an. Alles voller Blut. Jetzt fällt es mir wieder ein. Ich versuche, mich zu bewegen, doch sobald ich mein Bein anhebe, ist es, würde man mir einen Dolch in die Seite rammen. Mutlos sacke ich wieder nach unten und versuche gleichmäßig zu atmen und Kraft zu sammeln. Mir ist kalt, ich muss rein. Hier kann ich nicht bleiben.

Ich stöhne und schreie, aber irgendwie gelingt es mir, mich ins Haus zu schleppen. Gehen kann ich nicht. Ich krieche wie ein Tier auf allen vieren ins Bad. Erschöpft sacke ich auf den kalten Fliesen zusammen und brauche erneut eine ganze Weile, bevor ich die nächste Bewegung mache. Ich ziehe mich am Waschbecken hoch und halte mich am Waschbeckenrand fest, während ich mit der anderen Hand versuche, mir den Pulli und mein T-Shirt über den Kopf zu ziehen, doch mit einer Hand klappt es natürlich nicht. Unter Schmerzen drehe ich mich um, sodass ich mich an das Waschbecken anlehnen kann und beide Arme frei habe. Ich brauche fast 10 Minuten, um mir beides über den Kopf zu ziehen. Immer wieder schießen mir vor Schmerz die Tränen in die Augen. Ich gucke an mir runter und habe jetzt freie Sicht auf die Wunde, die mir der eine mit dem Messer zugefügt hat. Es sieht schlimm aus und ich habe Angst. Ich muss das sauber machen, sonst entzündet sie sich womöglich noch. Ich nehme ein Handtuch vom Haken und mache eine Ecke mit Wasser nass. Dann versuche ich, vorsichtig das Blut abzutupfen und die Wunde zu säubern. „Ahhhhhhh, fuuuuck", schreie ich laut vor Schmerzen. Außerdem pocht meine gebrochene Rippe bei jeder Bewegung. Ich krieg es nicht besser hin. Irgendwo hatte ich doch mal einen Verbandskasten deponiert. Ich mache meinen großen Badezimmerschrank auf und finde ihn. Umständlich krame ich ihn hervor und finde Mullbinden und große Pflaster darin. Irgendwie schaffe ich es, die Wunde halbwegs zu versorgen. Dann schleppe ich mich nach oben ins Schlafzimmer und falle so wie ich bin, mit freien Oberkörper und Jeans ins Bett. Ich bin nicht fähig, mich auch nur noch einen Millimeter zu bewegen. Unter Schmerzen schlafe ich irgendwann ein, doch ich wache immer wieder auf, weil ich entweder Albträume habe oder Schmerzen oder beides zusammen. „Samu", wimmere ich. Oh Gott, er fehlt mir so sehr.

Nachdem ich irgendwann für mindestens zwei Stunden am Stück geschlafen habe, werde ich unsanft vom Klingeln meines Handys geweckt, das noch in meiner Hosentasche steckt. Ich angle es heraus und sehe Mikko's Foto im Display aufleuchten. Mist. Ich atme einmal tief durch, damit meine Stimme möglichst normal klingt, wenn ich rangehe. „Mikko", höre ich mich ziemlich kratzig sagen. „Riku? Hey, alles ok?" „Ja, geht schon. Bisschen erkältet, aber sonst geht's", versuche ich mich mit einer Lüge raus zu reden. „Hey Großer, hast du heute Zeit? Ich wollte mal mit dir reden, hab gehört, was mit Samu und dir los ist. Riku, ehrlich, das klingt nicht nach dir." „Mikko bitte. Mir geht es nicht gut. Können wir wann anders reden? Bitte..." Dieses Telefonat kostet mich unendlich viel Kraft, am liebsten würde ich das Telefon in die nächste Ecke feuern. „Na schön, ruh dich aus, aber zum Treffen morgen ins Studio kommst du, ja?" Ichseufze tief. „Ja, denke schon." „Okei, älä unohda kiitaraasi. Parane pian, Riku, heippa." „Kiitos, moikka", schaffe ich noch zu sagen, dann lege ich auf und schließe die Augen. Ich habe keinen blassen Schimmer, wie ich das schaffen soll und warum soll ich meine Gitarre mitbringen? Oh man....ich glaube, ich bleibe hier einfach liegen, wenn da nicht diese menschlichen Bedürfnisse wären. Ich muss mal auf die Toilette und Hunger und Durst habe ich außerdem. Kein Wunder. Ich habe seit gestern, seit ich bei Samu war, nichts mehr gegessen und getrunken. Also alles von vorn. Luft holen, was schon weh tut, Kraft sammeln, Zähne zusammen beißen und auf die Seite drehen. Dann wieder. Luft holen, Kraft sammeln, ein lauter Schrei und ich sitze auf der Bettkante. Ein Blick nach unten verrät mir, dass mein Pflaster durch ist. Ich muss den Schnitt neu verarzten. Auch das noch. 10 schmerzvolle Minutenspäter stehe ich endlich vor dem Bett und setze langsam einen Fuß vor den anderen. 

Do we love it enough to come back home?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt