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RIKU

Ich tigere rast - und ruhelos in meinem Zuhause hin- und her. Wie so oft in den letzten Tagen. Ich weiß einfach nicht, wohin mit mir. Der Schmerz darüber, dass Samu alles, was wir hatten eiskalt verleugnet hat, sitzt tief. Seit Tagen breche ich immer wieder in Tränen aus von jetzt auf gleich, ich bin ein emotionales Wrack. Stundenlang sitze ich in meinem Studio, spiele traurige Lieder und trinke abends zu viel Wein, um in den Schlaf zu finden. Waren alle seine Worte eine Lüge? Liebt er mich wirklich oder hat er mich nur benutzt, um über seine kaputte Ehe besser hinwegkommen zu können? Warum hat er mich dann auch noch gefragt, ob wir zusammenziehen wollen? Und wie soll es jetzt für mich weitergehen? Diese Fragen bohren sich in meinen Kopf und in mein Herz und ich kann nichts dagegen tun. Samu hat auch aufgegeben, mich erreichen zu wollen. Zumindest schreibt er nicht mehr und ruft auch nicht mehr an. Jukka hat mir von der ersten Probe erzählt, die war wohl nicht so gut, aber ich bin mir sicher, dass er das hinbekommt. Heute proben die Jungs wieder. Ein Blick auf die Uhr verrät mir, dass jetzt wohl schon alle da sein müssten. Ich sehe alles genau vor mir. Unsere Halle, in der wir proben, wo alles steht, wo Samu steht und wie seine Gitarre umhängt. Diese Vorstellung, nicht dabei zu sein, verursacht mir einen tiefen Schmerz, den ich eigentlich gar nicht spüren will.

Ich setze mich mit meinem Laptop auf den Schoß ins Wohnzimmer auf die Couch. Vor mir, wie die letzten Abende auch, auf dem Tisch ein Glas Wein, daneben eine Flasche zum nachschenken. Ein Werbebanner von finnair ploppt auf, als ich meine Emails checken will. Nachdenklich schenke ich mir einen Schluck Wein ein, trinke etwas und stelle das Glas zurück. „Nur so", denke ich mir und klicke auf das Werbebanner. Schnell habe ich meine Suche in die entsprechenden Felder eingetragen. Flüge ab Helsinki nach Sydney. Tatsächlich wirft mir die Suche einen Flug aus schon für den nächsten Tag. Mein Kopf fängt an zu rattern und mein Herz zieht sich, wie so oft in den letzten Tagen, ein weiteres Mal schmerzvoll zusammen. Es ist jedes Mal, als ob mir jemand die Luft abdrücken würde, wenn ich an Samu denke und daran, dass ich ihn wieder verloren habe. Ich schüttele mich, trinke erneut einen Schluck und atme einmal tief durch. Dann drücke ich wie ferngesteuert auf den Button: Booking.

Ruck zuck erhalte ich die Bestätigung per Mail in mein Postfach. Ich stehe auf, gehe nach oben in mein Schlafzimmer und hole meine Reisetasche hervor, die ich auf das Bett lege. Wie in Trance fange ich an zu packen und lege ein Kleidungsstück nach dem anderen hinein. Wenn ich pünktlich aufstehe, bleibt mir noch genug Zeit, um vorher wenigstens bei meinen Eltern vorbeizufahren, und mich zu verabschieden, wieder einmal. Ich hoffe, dass sie nicht allzu enttäuscht sein werden, dass sie mich wieder für eine sehr lange Zeit nicht sehen werden, aber ich halte es hier nicht länger aus.

Als ich fertig gepackt habe, gehe ich in mein Studio und packe auch meine Lieblingsgitarre, die ich schon letztes Mal dabei hatte ein, ausserdem alle sonstigen Dokumente, die ich für die Reise brauchen werde.

Am Ende dieses Abends liegt alles vorbereitet im Flur, die Flasche Wein steht leer auf dem Tisch und ich liege mit gebrochenem Herzen in meinem Bett und weine mich in den Schlaf. 

Do we love it enough to come back home?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt