Teil 26

439 21 1
                                    


Wie ein Irrer rase ich durch die Nacht und komme gleich zweimal ins Schleudern, weil die Straßen spiegelglatt sind. Aber zum Glück bekomme ich den Wagen wieder unter Kontrolle und die Straßen sind leer, weil alle zuhause mit ihren Familien Weihnachten feiern. Die Tränen laufen mir übers Gesicht, ich weiß nicht wieso, vor Erleichterung, vor Angst, was jetzt kommt oder weil ich Sorge habe, dass Riku mir die Tür vor der Nase zuschlägt, weil ich mich nicht gemeldet habe in den letzten Tagen. Will er mich überhaupt sehen? Ich weiß es nicht, aber ich muss zu ihm, unbedingt. Ich habe solch eine Sehnsucht nach ihm. Mir ist klar, dass ich ihn liebe, meinen besten Freund und Gitarristen. Ja, ich liebe Riku Juhani Rajamaa. Das weiß ich jetzt und ich frage mich, was werden soll, denn er liebt scheinbar eine Frau, die er nicht haben kann. Soll ich es ihm sagen? Und wenn ich es tue, was wird passieren? Wird er mich auslachen? Wird er mich abweisen und wegschicken, weil er mich nicht mehr um sich haben mag? Wird er mich verurteilen und in eine Schublade stecken? Obwohl nein, das kann ich mir eigentlich nicht vorstellen. Riku ist ein wunderbarer Mensch und immer allen gegenüber sehr tolerant. Nie verurteilt er jemanden für irgendetwas, bis er sich seine eigene Meinung gebildet hat. Eine der vielen liebenswerten Eigenschaften an ihm, die ich so an ihm schätze.

Als ich auf seinen Hof rolle, stelle ich zu meiner Verwunderung fest, dass alles stockdunkel ist. Keine Außenbeleuchtung und ein Blick in sein Carport verrät mir, dass sein Auto auch nicht da ist. Was ist hier los? Er wollte doch hier mit seinen Eltern Weihnachten feiern. So langsam werde ich nervös und steige aus meinem Auto aus. Da es bitterkalt ist, ziehe ich mir schnell meine Jacke über und gehe ums Haus herum, aber nicht ein einziges Licht brennt. Die Jalousien sind alle heruntergelassen und allmählich überkommt mich eine Angst, die ich mir nicht erklären kann. Ist er etwa wieder abgereist? Hat er mich verlassen, bevor wir überhaupt richtig über alles reden konnten? Nein, das darf nicht sein. Es darf einfach nicht. Entmutigt lasse ich mich auf die Treppenstufen vor seiner Haustüre sinken und vergrabe meinen Kopf in den Händen. Heiße Tränen kullern über mein Gesicht und ein Schluchzen durchzieht meinen ganzen Körper. Wo ist er hin? Bitte Rick, komm zurück zu mir, denke ich verzweifelt, weil ich nicht weiß, wohin ich jetzt noch gehen kann. Zurück nach Hause kann ich auf gar keinen Fall gehen. Dort ist SIE. Niedergeschlagen und resigniert bleibe ich einfach dort sitzen, die Kälte merke ich irgendwann nicht mehr. Ich bin müde, so müde und ich will einfach nicht mehr. Alles ist so aussichtslos und dunkel in meinem Herzen. Es ist vollkommen leer und ausgebrannt. Ich spüre einfach nichts mehr und schlafe irgendwann völlig erschöpft ein, obwohl es viel zu kalt dort auf den Stufen ist. Nicht ganz ungefährlich das Ganze.

RIKU

Puh, was für ein Heiligabend. Ich habe meinen Eltern alles erzählt, was in den letzten 2 Jahren auf meinen Reisen passiert ist und auch, dass ich Gefühle für meinen besten Freund habe. Ich bin froh, dass sie so offen und unvoreingenommene Menschen sind. Darauf haben sie immer viel Wert gelegt, auch dieses Denken an mich weiterzugeben. Es ist wichtig, sich immer erst eine eigene Meinung zu bilden. Meine Mum war nicht mal sonderlich verwundert. Sie sagte, dass sie schon immer gedacht hat, dass Samu und ich eine ganz besondere Bindung zueinander haben. Dass sich daraus, zumindest bei mir, jetzt Liebe entwickelt hat, sei irgendwie nur die logische Konsequenz. Manchmal erstaunt sie mich immer wieder. Mütter wissen manchmal mehr und kennen einen besser als man sich selbst. Sie sagt, ich soll um ihn kämpfen, für ihn da sein. Sie hat ihn öfter in der Stadt gesehen, als ich weg war und er hätte nie besonders glücklich gewirkt. Eve macht sich wohl große Sorgen um ihren Sohn, weil er den Kontakt zu seiner Familie wegen Etel nahezu abgebrochen hat. Das hat bei mir alle Alarmglocken schrillen lassen, denn Samu liebt seine Familie über alles. Wenn sie ihn schon so weit getrieben hat, frage ich mich, wozu sie noch fähig ist.

Als auf die Hofeinfahrt meines Hauses rolle, schlägt mein Herz auf einmal einen Takt schneller. Samu's Auto steht davor, was machter hier nur? Warum ist er nicht zuhause? Ist etwa was passiert? Schnell stelle ich den Wagen ab, steige aus und sehe ihn zusammengekauert auf den eisigen Treppenstufen sitzen. Er bewegt sich keinen Millimeter. Oh mein Gott, wie lange sitzt er schon hier in der Winternacht? Ist er denn wahnsinnig geworden? Ich nähere mich ihm und je näher ich ihm komme, desto größer wird meine Angst. 

Do we love it enough to come back home?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt