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SAMU

Ich sitze noch immer da, auf dem Boden in Riku's Studio. Meine Tränen sind mittlerweile versiegt und ich starre ins Leere. Als mein Handy klingelt, schrecke ich aus dieser Trance auf. Ich angle es umständlich aus meiner Hosentasche heraus. „Moi", melde ich mich. „Samu? Wo bist du? Wir machen uns Sorgen um dich, wir haben Probe", schallt mir die halb wütende, halb besorgte Stimme unseres Manageris entgegen. „Er ist weg, Mikko", krächze ich mit belegter Stimme. „Wer ist weg?", fragt er zurück, da er natürlich gerade überhaupt nicht wissen kann, wovon ich rede. „Riku ist weg. Seine Reisetasche, seine Gitarre, sein Auto, alles weg. Ich hab ihn verloren, Mikko. Für immer." Ich spüre, wie mir schon wieder neue Tränen in die Augen steigen. Schnell atme ich einmal tief ein, um einen erneuten Weinkrampf zu verhindern. „Weißt du, wo er sein könnte?" Ich höre, wie Mikko am anderen Ende der Leitung laut seufzt. „Hast du es schonmal bei seinen Eltern versucht? Wenn du Glück hast, hat er sich von ihnen verabschiedet und ihnen gesagt, wo er hinwill." Sofort stehe ich auf, ein wenig zu schnell, sodass mir fast schwindelig wird. „Natürlich. Du hast Recht, Mikko, dass ich da nicht selbst drauf gekommen bin. Ich fahre sofort hin." „Samu, bitte fahr vorsichtig. Ok? Ich brauche dich heil und gesund im Moment. Bald geht die Comeback Tour los." „Jaja", wimmele ich ihn ab und lege schnell auf.

Keine halbe Stunde später stehe ich vor dem Haus von Riku's Eltern. Schwer atmend, wie nach einem Marathonlauf drücke ich auf die Klingel und es dauert zum Glück auch nicht lang. „Samu?" Riku's Mum blickt mich erstaunt an. „Was machst du hier?" „Wo? Wo ist er? Riku. Er ist...ist...", ich stammele atemlos und ziemlich aufgewühlt vor mich hin. „Willst du nicht erstmal reinkommen?", fragt sie mich besorgt. „Nein, wo ist er? Bitte." Sie stößt einen tiefen Seufzer aus und ich kann die Zerissenheit in ihrem Gesicht ablesen. Auf der einen Seite will sie Riku nicht verraten und auf der anderen Seite tue ich ihr wahrscheinlich leid, wie ich da so vor ihr stehe, mit verquollenen roten Augen und völlig ausser Atem. „Australien", sagt sie nur und presst die Lippen zusammen. Das war wahrscheinlich schon mehr, als sie sagen wollte und durfte.„Australien", flüstere ich. Am anderen Ende der Welt, möglichst weit weg von mir. Eine Träne kullert mir die Wange herunter. „Wann?" frage ich noch und sie guckt mich mitleidig an. „Gestern schon. Es tut mir leid Samu, wirklich." Und tatsächlich glaube ich ihr das auch. „Danke", sage ich betreten und schleiche mit weichen Knien zurück zu meinem Auto und stecke den Schlüssel ins Zündschloss. Ich weiß, dass es keinen Sinn hat, ihm hinterher zu fliegen. Erstens, wenn er so weit weg fliegt, dann hat er wirklich mit uns abgeschlossen, zweitens wüsste ich nicht mal, wo ich an anfangen sollte zu suchen. Es wäre wie eine Stecknadel im Heuhaufen zu suchen und drittens fängt in ein paar Tagen die Comeback Tour zunächst mit einem kleinen Konzert hier in Helsinki an. Sozusagen als Testballon. Mikko reißt mir den Kopf ab, wenn ich jetzt in einen Flieger steige und alles ein weiteres Mal auf's Spiel setze. Ich hatte Glück, dass das mit der Aktion bei Universal nicht wieder gleich der Anfang vom Ende war. Auch wenn es völlig überflüssig gewesen ist, wie sich ja jetzt herausstellt. Denn Riku ist weg und er wird nicht zu mir zurückkommen. 

Do we love it enough to come back home?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt