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Disse:

Obwohl Alfred wusste, dass wir alle nicht wirklich bei der Sache sein werde, weil wir alle gedanklich bei Lukas sind, setzte er in aller Frühe ein Lauftraining an. Normalerweise gehören die Laufeinheiten einer der Trainingseinheiten die ich bevorzuge, aber heute war meine Motivation auf Null. Was auch an meinen Kopfschmerzen liegen könnte. Der gestrige Abend machte sich bemerkbar. Da Rune mit Liv und mir gleich nach dem Training ins Krankenhaus fahren will und es zu mir nach Hause ein Umweg wäre, war Liv mit zum Training gekommen. Sie saß etwas abseits auf den Stufen in Gedanken versunken. Ich machte mir wirklich Sorgen um sie. Gestern Abend hat sie mir so einen Schrecken eingejagt. Auch deswegen war es gut, dass wir sie mitgenommen haben, im Falle, dass sie wieder schlecht Luft bekommt. "Ich weiß, dass es für euch alle schlimm ist und ich glaub wir sind gedanklich alle bei Lukas und beten, dass er wieder auf die Beine kommt, aber Lukas hätte es auch nicht gewollt, dass wir wegen ihm die Mission aus den Augen verlieren. Ich hab übrigens dafür gesorgt, dass wir psychische Betreuung bekommen. Also jeder der will darf sich bei ihm melden", lautete Alfreds Ansprache. "So jetzt wir aber trainiert. Wir starten mit einem 1600 Meter Lauf wie immer zum Warm werden", sagte Filip an. "Disse würdest du mal bitte kommen", hörte ich Alfreds Stimme. Mit gesenktem Kopf folgte ich ihm und erwartete eine Standpauke von ihm, doch er blieb ganz ruhig. "Ich weiß, dass es für dich schwer ist. Ich glaub wir alle wissen mittlerweile wie viel Lukas dir bedeutet", begann er. Ich spürte wie ich gegen die Tränen ankämpfen musste. "Aber wir brauchen dich gerade jetzt", erinnerte mich Alfred. Ich nickte. "Das mit der Auszeit?", begann er. "Steht erstmal nicht mehr zu Wahl", seufzte ich. Daraufhin klopfte Alfred mir erleichtert auf die Schulter. "Ich stell es dir frei, ob du heute zum zweiten Training kommst oder nicht", bot er an. "Danke", brachte ich noch über die Lippen dann war es um mich getan. Ich rutschte an der Wand hinunter und vergrub meinen Kopf unter meinen Händen. "Ich bin an allem Schuld", schluchzte ich. Ich spürte wie sich Alfred neben mich setzte. "Disse du sollst dir nicht immer für alles die Schuld geben, das haben wir dir glaub ich schon oft genug gesagt", verlangte Alfred. "Ich weiß, aber diemal bin ich wirklich Schuld. Hätte ich ihm gestern nach dem Training nicht küssen dürfen, dann wäre Anna nicht im Krankenhaus, er wäre nicht eh schon zusammengebrochen, dann wäre er nicht allein Zuhause gewesen, hätte sich nicht betrunken. Ich bin an allem Schuld. Ich bin nicht gut für ihn. Er hatte Recht ich zerstöre seine Beziehung, weil ich neidisch bin. Ich zerstöre nicht nur seine Beziehung, sondern auch sein Leben. Ich hab ihn gezwungen zu jemanden zu werden, den er nie werden wollte", floss es förmlich aus mir heraus. "Disse, jetzt beruhig dich erstmal und höre auf dir den Kopf über Dinge zu zerbrechen, die du jetzt eh nicht mehr ändern kannst", forderte Alfred. Bin ich wirklich so ein Arschloch wie alle immer sagen?", fragte ich, "Und bitte sei ehrlich". "Disse wenn du eins nicht bist dann ein Arschloch. Das einzige was du bist ist ein Pechvogel und das ein ganz großer. Du ziehst das Unglück an wie so ein Magnet", meinte er. Bei dieser Umschreibung musste ich schmunzeln. "Du bist ein ganz großartiger Mensch und das würden alle hier bestätigen. Manchmal trifft man eben falsche Entscheidung und muss dann eben mit den Konsequenzen leben", erklärte Alfred. So viele nette Worte hab ich mir gar nicht verdient. "Was machen wir wenn Lukas nicht mehr aufwacht?", fragte ich vorsichtig. "Das werden wir dann sehen, wir sollten uns aber nicht Gedanken über was wäre wenn und hätte ich bloß nicht gemacht, weil sie uns nur davon abhalten nach vorne zu schauen", lautete Alfreds Antwort. Ich nickte und wischte mir die Tränen weg. "Komm die anderen warten schon", forderte Alfred und stand wieder auf. Ich folgte ihm zurück zu den anderen. "So 1600 Meter", sagte Alfred an. Ich schaute mich nach Liv um. Sie stand bei Gisli. Will sie auch mitlaufen? Sah ganz danach aus. Vielleicht ist das gar nicht so schlimm, wenn sie bei Gisli ist, so ist sie wenigstens durch ihre Gefühle abgelenkt. Ich stellte mich neben Dule, der mir aufmunternd auf die Schulter klopfte. "Lukas lässt dich nicht alleine", flüsterte er. Wieso ist er sich da so sicher? Nach all dem was ich getan hab. Alfreds Pfiff ertönte und wir setzten uns in Bewegung. Heute ging es schon besser beim Laufen als noch gestern. Ich versuchte mich so gut es geht auf das Training konzentrieren. Ab und zu schweiften zwar meine Gedanke ab, aber ich war eigentlich konzentrierter als gestern als Lukas immer wieder meinen Kontakt gesucht hab. Ich wagte einen Blick über die Schulter. Liv lief neben Gisli her und die beiden strahlten um die Wette. Es war lustig wie sie immer zwei Schritte machen musste während Gisli einen machte. Aber das war nicht anders gewesen, als ich in den Ferien das ein oder andere Mal mit ihr morgens Laufen gegangen bin. Ihre Locken flatterten im Wind und leuchten in der Sohne leicht Golden. Ich wollte mich gerade wieder nach vorne umdrehen, da merkte ich das ich von der Bahn abgekommen war. Ich drehte mich ruckartig um. Ich hörte nur noch den warnenden Schrei von Filip und Alfred, doch da war ich bereits voll gegen den Baum gelaufen. Dann merkte ich wie sich alles drehte. Dann wusste ich nicht mehr wo oben und unten ist. Dann wurde kurz alles schwarz. Als ich meine Augen wieder öffnete beugten sich die halbe Mannschaft besorgt über mich. "Ich hab doch gesagt, du ziehst das Pech förmlich an wie ein Magnet", meinte Alfred kopfschüttelnd. Mein Kopf brummte. Schmerzverzerrt verzog ich das Gesicht. "Ich glaub du solltest das Training voll aussetzen nicht das noch jemand im Krankenhaus landet, dass können wir nicht gebrauchen", sagte Alfred dann. Niklas half mir wieder auf die Beine. Ich wäre fast wieder umgekippt. Meine Beine fühlten sich an wie Wackelpudding. "Du gehst nachher wenn ihr im Krankenhaus seit kurz bei Detlev vorbei", befahl Filip. Ich nickte. Niklas und Dule halfen mir zu den Steinen. Dort setzte ich mich hin und trank erstmal etwas Wasser. Währenddessen schaute ich den anderen zu wie sie irgendwelche Übungen machen mussten. Liv setzte sich wieder zu mir. "Man ist mir warm", stöhnte sie und wedelte sich mit ihrem T-shirt Luft zu. "Willst du?", fragte ich und hielt ihr das Wasser hin. Sie nahm es dankend entgegen. Als sie getrunken hatte, gab sie mir die Flasche zurück und lehnte ihren Kopf gegen meine Schulter. "Sah es wenigstens elegant aus wie ich gegen den Baum gelaufen bin", erkundigte ich. "Ich musste mir ein Lachen verkneifen", gestand sie. Alfred beendete das Training schon etwas früher. Ich glaub niemand beschwert sich darüber. Es hatte jetzt schon 30 Grad uns tropfte der Schweiß von der Stirn. "Ich sag Gisli noch Tschüss", meinte Liv und lief davon, während Rune zu mir kam. "Geht es wieder?", fragte er. "Alles bestens", sagte ich und wollte aufstehen. Da begann sich wieder alles zu drehen. "Ich trink nie wieder Alkohol wenn ich am nächsten Tag Training hab", stöhnte ich. Rune schüttelte lachend den Kopf. Irgendwie gelang es mir dann doch bis zum Auto zu kommen, ohne umzukippen.

Rune:

Am Krankenhaus angekommen, sorgte ich erstmal dafür, dass Disse untersucht wird. Wir können nicht gebrauchen, dass er auf der ITS zusammenbricht. Wir warteten und kurz darauf kam Dr.Brandecker um die Ecke. "Du schon wieder. Irgendwann stell ich es dir auf Rechnung, dass du mir immer meine Mittagspause versaust", meinte er zu Disse. Dann begrüßte er uns. "Wie geht es Lukas?", wollte Liv sofort wissen. "Seine Werte sind erstaunlich gut, es dürfte nicht mehr lange dauern, dann müsste er in der Lage sein aufzuwachen", prognostizierte er. "Das haben sie bei meine Mutter auch gesagt", hörte ich Liv leise sagen. Ich nehme es ihr ja nicht übel. Es muss grausam sein mit an sehen zu müssen wie die eigene Mutter einem unter den Armen wegstirbt und man hilflos zu sehen muss. "Gut was hat der werte Herr heute wieder auf die Reihe gebracht?", erkundigte sich Detlev mit Blick auf Disse der wie ein Eis am Stiel im Sommer aussah. "Er ist gegen einen Baum gelaufen", antwortete ich für ihn. "Gegen einen sehr schönen", meinte Disse daraufhin. "Für mich sieht das nach einer Gehirnerschütterung aus, aber ich wird das nochmal genauer prüfen", meinte Detlev und zeigte Disse an das er ihm folgen soll. "Wenn ihr wollt könnt ihr schon hinter gehen. Es könnte sein, dass Anna noch bei ihm ist", meinte Detlev. Wir nickten und ich ging voraus Richtung ITS. Ich merkte, dass Liv immer angespannter wurde je näher wir der Intensivstation kamen. "Du musst da nicht mit rein. Niemand ist dir böse", versicherte ich ihr. "Ich will aber", sagte sie mit zitternder Stimme. "Ich bin bei dir, wenn du willst kannst du meine Hand halten, oder wollen wir auf Disse warten?", fragte ich. Sie schüttelte den Kopf und griff nach meiner Hand. Dann atmete sie tief durch und öffnete die Tür zur ITS. Eine Schwester führte uns zu seinem Zimmer. "Sag Bescheid, wenn es nicht mehr geht", vergewisserte ich mich nochmal. Disse hatte mich vorgewarnt, was das letzte Mal auf der ITS geschehen ist. Sie nickte und öffnete die Tür. Ich spürte wie ihr Atem wieder schneller wurde. Anna saß auf den Stuhl und strich über Lukas Hand. "Es geht ihm wieder schlechter, die Ärzte meinen, dass er sich aus welchem Grund auch immer sträubt aufzuwachen", seufzte sie. Liv ließ meine Hand los und ging zu Lukas Bett. Sie griff nach seiner Hand und weinte bitterlich los. "Lass mich nicht auch noch hängen", schluchzte sie. Ich wusste nicht ob ich sie hier lieber wegholen sollte oder nicht. Auf einmal hörte man auf dem Gang eine Frauenstimme und anschließend eine Männerstimme. "Sie können hier nicht einfach so ohne Schutzkleidung rein", schrie die Frau. "Ich will verdammt nochmal zu meinem Sohn", sagte jemand mit ähnlichem Akzent wie Lukas. "Erst wenn sie die Schutzkleidung anziehen und die anderen Besucher das Zimmer verlassen haben", schärfte er ein. "Micke jetzt sei doch nicht so stur und nimm dir eine Schutzkleidung", erklang eine weitere weibliche Stimme. Das müssen Lukas Eltern sein. Kurz darauf wurde die Tür aufgerissen. Die Frau schlug sich fassungslos die Hände ins Gesicht. "Um Himmels Willen"; fluchte sie. "Wer bist du?", fragte mich sein Vater vorwurfsvoll. "Ein Mannschaftskollege ich hab Liv hergebracht", erklärte ich. "Würden Sie uns bitte alleine lassen", verlangte sein Vater. Ich nickte und verließ das Zimmer. Detlev kam angelaufen. "Was machst du denn bitte auf dem Gang?", wunderte er sich. "Seine Eltern sind gekommen", erklärte ich. "Gut mit denen wollte ich nochmal sprechen", meinte Detlev und stellte sich neben mich. "Wo ist Disse?", fragte ich. "Der wartet vorne aus irgendeinem Grund wollte er doch nicht mitkommen", erklärte Detlev. Auf einmal ertönte ein Piepsen, ich dachte erst es kommt aus einem anderen Zimmer. Detlev stürmte gefolgt von Schwestern in das Zimmer und schmiss die Besucher raus. Lukas Mutter trug Liv die am ganzen Körper zittert und panisch nach Luft rang aus dem Raum und brachte sie aus der Intensivstation. Ich wusste nicht was ich machen sollte. Ich sah wie die Ärzte im Zimmer hektisch auf und ab liefen. Anna und sein Vater standen neben mir und beteten mit. Kurz darauf wurde das Piepen wieder leiser. War das jetzt ein Gutes oder ein Schlechtes Zeichen?

Hoffe das Kapitel hat euch gefallen❤️. Ich verspreche euch, dass heute mindestens noch eins kommt, vielleicht schaff ich sogar zwei. 🤗😉😜

Spiel um Spiel, Lüge um Lüge und wann sieht er es ein?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt