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Disse:
Erleichtert schloss ich die Haustür auf. Beinahe wäre ich auf einen der Briefe ausgerutscht. Ich zog meine Schuhe aus und holte mir erstmal was zu trinken aus der Küche. Nachdem ich geduscht hatte, setzte ich mich wieder an die Briefe. Eine Stunde hatte ich sie dann alle geordnet. Ich nahm den ersten Brief und setzte mich aufs Sofa. Ob ich ihn wirklich lesen sollte. Es war der erste Brief an mich gerichtet.
15.11.1992
Lieber Christian,
ich weiß du bist zu klein um diesen Brief zu lesen oder zu verstehen und ich weiß auch nicht, ob du ihm jemals lesen willst. Trotzdem will ich, dass du weißt, dass ich dich liebe. Ich möchte dir meine Gründe erzählen, warum ich dich zur Adoption freigegeben hab. Ich denke, dass du bei deinen „Eltern" gut aufgehoben bist, auch wenn du mehrer Hundert Kilometer von Flensburg entfernt wohnst. Es war das beste für uns beiden, ich hoffe, dass wir uns irgendwann mal sehen und kennenlernen. Ich war sechszehn, als ich erfuhr, dass ich schwanger bin. Ich weiß heute nicht mal, wer jetzt dein Vater ist. Vermutlich der Onenight stand auf der Klassenfahrt nach London. Aber zu viel Information.  Ich bin im Heim großgeworden, da ich Vollwaise war. Aber genug aus meiner Kindheit. Ich hätte es nicht geschafft uns beide über die Runden zu bringen. Ich habe nicht mal mein Abi. Ich mache es besser gesagt gerade nach. Da ich keinen Kontakt zu deinem Vater hab der auch nicht viel älter ist, hab ich mich dann entscheiden sich abzugeben, was mir nicht leicht fiel, weil du neun Monate ein Teil von mir warst. Und jetzt bist du schon ein Jahr, beziehungsweise vielleicht sogar noch älter, weil ich nicht denke, dass du hochbegabt bist und mit einem Jahr diesen Brief lesen kannst. Ich hab dir nicht mal was zum Geburtstag besorgt. Ich bin eine schlechte Mutter, aber ich denke du hast genug bekommen. Ich hab die übrigens den Namen gegeben. Ich habe dich Christian getauft, nach meinem Vater, der starb, als ich vier war. Ich hab ihn geliebt. Deine Eltern halten mich auf dem Laufenden wie es dir geht, da du mir ja nicht antworten kannst. Ich vermisse deine einzigartigen blauen Augen. Wie du mich nachdem du mich neun Stunden lang im Kreißsaal gequält hast angelächelt hast. Ich hab echt einen Moment gezweifelt, ob ich das Richtige war. Aber im Nachhinein war es das. Übrigens die Augen hast du von mir. Obwohl meine etwas dunkler sind. Wer weiß vielleicht werden sie noch dunkler. Naja, ich lass dich dann mal wieder in Ruhe, ich schreib morgen eine wichtige Klausur in Physik. Ich wünsche dir später mehr Erfolg in diesem Fach. Ich kann es nicht und werde es nie können. Aber gut des ganzen. Happy Birthday mein Sohn! Du bist jetzt eins! Ich kann es immer noch nicht glauben. Ich liebe dich, mein Schatz. Mit freundlichen Grüßen, deine stolze Mutter Silke❤️.
Ich faltete den Brief zusammen und die ersten Tränen rollten mir über die Wange. Meine Mutter hat mich geliebt, obwohl ich ungewollt war. Ich war also ein Unfall auf einer Klassenfahrt. Wäre ich mit 16 fähig gewesen ein Kind großzuziehen? Nein garantiert nicht. Ich würde es wahrscheinlich nicht mal jetzt können, obwohl ich Kinder mag. Das ist der einzige Nachteil, dass ich schwul bin. Ich werde niemals eine richtige Familie gründen können. Ich las zwei weiter Briefe bis ich letztendlich ganz verheult war. Sie hatte ihr Abitur bestanden und studierte jetzt. Sie schwankt zwischen Medizienstudium und lieber Richtung Physiotherapie. Jedes Mal schrieb sie wie sehr sie mich vermisste und was sie alles verpasste von meiner Kindheit. Ich griff nachdem nächsten Brief.

Lukas:
Ich öffnete die Tür und hörte Annas verzweifelte Stimme. Sie redete mit jemanden. „Wie soll ich es ihm denn bitte sagen", hörte ich sie schluchzten. Es geht denn hier ab. Ich betrat das Bad, aus der ich die Stimmen vernahm. Anna saß zusammengekauert auf dem Fußboden. Als sie mich sah, ließ sie das Handy fallen. „Anna, bist du da?", fragte eine weibliche Stimme. Victoria stand auf dem Display. Annas beste Freundin. „Stör ich?", fragte ich verwirrt. „Ach du scheiße, sag jetzt nicht er steht gerade vor dir", kam es aus dem Hörer. Anna drückte ihr Freundin weg und beendete einfach den Anruf. „Ist alles ok?", fragte ich. Die Situation war echt versäumt unangenehm. Ich spürte, dass irgendetwas ganz und gar nicht in Ordnung war. Jetzt fiel mein Blick auf den Boden. Sag jetzt nicht das ist ein. Ich griff danach. Sie wollte mir den Schwangerschaftstest aus der Hand reißen. „Gib her, das geht dich nichts an", schrie sie verzweifelt.Ich schaute drauf. Zwei Striche. Ich griff nach der Packung, und drehte mich immer so, dass sie den Test nicht erwischte. „Zwei Striche, herzlichen Glückwunsch sie sind schwanger", stand auf der Packung. „Du bist schwanger?", fragte ich fassungslos. Dann heulte sie bitterlich los. Ich nahm sie in den Arm. Sie weinte mein verschwitztes Shirt voll. Wir saßen mittlerweile wortlos auf den kalten Fließen im Bad. Ich rieb ihr tröstend über den Rücken. „Wieso hast du mir es nicht gesagt?", fragte ich. „Ich hatte selbst Angst vor der Wahrheit und Vici hat mich überredet es zu machen um sicher zu gehen", schluchzte sie. Erst jetzt kam mir der Gedanke. „Sag mir jetzt nicht ich bin der Vater", sagte ich. Sie schaute mich ängstlich an. Aus ihren Blick könnte ich die Wahrheit lesen. Ich schlug mir fassungslos die Hände über dem Kopf zusammen. Was will das Leben von mir?Ich hab gerade genug Probleme, ich brauch jetzt nicht noch ein Kind. Außerdem haben Disse und ich uns gerade erst vertragen und jetzt das. Ich kann das nicht. Ich kann doch nicht. Ich bin ein scheiß Vater. Disse wäre ein guter Vater, aber nicht ich. Ich weiß nie so recht, wie ich mit Kindern umgehen soll. Geile Bescherung! „Lukas", fragte Anna vorsichtig. „Es tut mir leid", meinte sie und wollte mich umarmen. Doch ich wehrte mich. „Sorry aber ich muss das erstmal verdauen", schluckte ich und verließ wortlos das Bad und anschließend die Wohnung. Auf der Treppe, überlegte ich wohin ich gehen soll. Sofort hatte ich drei Gedanken. Niclas, Dule und Niko. Schnell schloß ich Niko aus. Er war zu unerfahren, ich meine er ist genau so jung wie ich. Dule oder Niclas. Dule hat genug für mich getan und hat genug Probleme. Also Niclas. Oder ist es besser, wenn ich es Dule sage? Erst Niclas, Dule kann ich es immer noch erzählen. Ich wählte seine Nunmer und wartete bis er endlich abhob.

Spiel um Spiel, Lüge um Lüge und wann sieht er es ein?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt