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Es ließ Gertraud mit einem schmerzlichen Gefühl des Verlustes zurück. Da nützte es auch nichts, dass ihr Verstand ihr beteuerte, sie könne das Kind unmöglich behalten und dies sei die einzig richtige Lösung. Das, was sie ein wenig tröstete, war indes, dass sie sah, wie tief bewegt ihre Freundin war und wie zärtlich sie das Neugeborene im Arm hielt.

Ännlin würde es gut haben in diesem Haus.

So still war es im Zimmer, dass beide Frauen zusammenzuckten, als es plötzlich klopfte und die Mägde zurückkehrten.

Melli machte sich glückselig und begeistert zusammen mit Anna daran, das Neugeborene zu waschen, zu wickeln und in sein erstes Hemdchen zu kleiden, während Irma sich um die Markgräfin kümmerte.

„Es ist'n bisschen gerissen. Aber nicht viel. Seht Ihr? Der Stein hilft!", sagte die Magd überzeugt.

Gertraud nickte und sagte:

„Ja, das hat er wohl. Danke dafür."

Gerade wollte Irma den Stein wieder losmachen, als ihr einfiel, dass die Geburt noch gar nicht abgeschlossen war.

„Wir sind noch nicht durch...", sagte sie stirnrunzelnd.

„Ich weiß", erwiderte Gertraud matt.

„Keine Wehen mehr?"

„Nicht mehr richtig..."

Ihnen war beiden klar, dass sie das Kind jetzt alsbald anlegen musste, denn sein Saugen an der Brust würde die Wehen wieder anschieben. Und das würde dafür sorgen, dass der Mutterkuchen ausgestoßen wurde, die Gebärmutter sich zusammenzog und die stetig tröpfelnde Blutung zum Stillstand kam.

Doch sie sahen hinüber zu Melisande und Anna, die beide voller Eifer und Entzücken mit dem Neugeborenen beschäftigt waren.

Gertraud hatte nicht das Herz, Melisande die Tochter jetzt gleich schon wieder abzuverlangen und auch Irma meinte:

„Naja. Ziehen wir Euch erstmal das blutige Kleid aus und richten Euch ein wenig her."

Doch als sie damit fertig waren, beschloss Gertraud, ihre Freundin anzusprechen. Sie hatte mit ihrem letzten, schweren Blutverlust monatelang zu kämpfen gehabt und sie wollte die Geburt jetzt auch zu einem Ende bringen.

„Melli, ich würde Ännlin gerne anlegen..."

Sofort huschte ein Anflug von Groll und Misstrauen über Melisandes Miene und Gertraud beeilte sich, ihr die Zusammenhänge zu erklären.

„Oh", hauchte die Angesprochene peinlich berührt, als sie verstanden hatte, „Natürlich..."

„Weißt Du was? Setz Dich ganz dicht zu mir. Dann bist Du mit dabei", schlug Gertraud vor.

Melli nickte dankbar, stellte sich rasch einen Stuhl zurecht und nahm neben ihr Platz. Gertraud zog ihr Unterkleid über die Schulter herab und übernahm das kleine Mädchen von ihr. Melisande legte den Arm um Gertraud, lehnte sich zu ihr herüber und sah zu, wie diese Ännlins Köpfchen an ihre entblößte Brust hob und ihr mit ihrer Brustwarze schmeichelnd um die kleinen Lippen fuhr. Und das Neugeborene öffnete prompt den Mund und begann so gierig zu saugen, dass Gertraud aufjaulte.

„He, nicht so fest!", flüsterte Melli mit einem Schmunzeln und legte ihre freie Hand an Ännlins Wange.

Gertraud legte ihre Hand darüber. Die beiden Frauen sahen sich an, noch immer recht befangen.

Kaum dass das Kind mit kräftigem Saugen begonnen hatte, setzten wie erwartet die Wehen von Neuem ein. So schneidend, dass Gertraud die Tränen kamen. Stöhnend schloss sie die Augen und legte den Kopf in den Nacken. Doch es hatte die erhoffte Wirkung und bald erschien die Nachgeburt. Irma prüfte sie nach bestem Wissen auf Vollständigkeit.

Die Tochter des BrauersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt