35

340 21 10
                                    

Als die Königin gegangen war, fielen sich beide erleichtert in die Arme und hielten sie lange fest umschlungen.
„Großer Gott, Hardrich. Was tue ich hier? Ich gehöre doch nicht hierher", flüsterte sie endlich verzagt und wieder liefen ihr die Tränen über die Wangen.
Doch er presste seine Stirn an die ihre und sagte leise:
„Du gehörst zu mir. Vergiss das nie."
Sie beruhigte sich langsam in seinem Arm und fragte unvermittelt:
„Was ist das denn?"
„Mmh?", fragte er verwirrt zurück.
Sie zeigte auf die Obstschale. Dort lagen neben Äpfeln und Birnen vom letzten Jahr, Nüssen und Trockenpflaumen, drei runde Früchte, die sie noch nie gesehen hatte. Sie waren von einer ungewöhnlichen, leuchtend-orangen Farbe und hatten eine grobporige Schale wie es aussah.Hardrich schmunzelte.
„Das sind chinesische Äpfel. Seit ein paar Jahren werden die in Portugal angebaut. Königin Isabella lässt sie sich von ihrer Familie dort schicken. Die sind wirklich lecker. Sieh her."
Und während er die Frucht geschickt mit seinem Messer einritzte und die dickfleischige Schale entfernte, fielen Gertraud plötzlich von Trettins Worte wieder ein, als er ihr vor Monaten die Königin beschrieben hatte:
„Aus einem vornehmen Geschlecht aus portugiesischen Landen. Eine sehr verständige, herzliche Frau. Klein von Wuchs und mit rundlichen Formen, aber mit leidenschaftlichen, dunklen Augen, schwarzem Haar und wachem Verstand."
Das hatte er gesagt. Wenn sie nur aufmerksamer gewesen wäre, hätte sie es wissen können, dachte sie ärgerlich. Sie würde sehr viel achtsamer sein müssen, was um sie herum geschah. Und was sie tat und sagte.
Hardrich hatte die Frucht inzwischen geschält und neugierig sah sie jetzt zu, wie er das Innere in Spalten teilte. Er reichte ihr eine und leckte sich die Finger ab.
„Manchmal sind noch Kerne drin", sagte er und steckte sich selber eine Spalte in den Mund.Noch ein wenig misstrauisch roch sie an dem fremdartigen Obst. Es duftete verführerisch. Schon, als er die Schale anritzte, war ihr ein ungemein aromatischer Duft in die Nase gestiegen. Sie sah Hardrich genüsslich ein zweites Stück essen und biss ein wenig von ihrem ab.
Der Saft lief ihr das Kinn herab und sie schloss die Augen. Süß, fruchtig und frisch. Sie griff sich rasch ein zweites Stück aus seiner Hand und er grinste.
„Das ist das Beste, was ich je gegessen habe", seufzte sie.
Er lachte und brummte:
„Siehst Du? Manchmal hat dieser ganze Irrsinn hier sogar seine guten Seiten."
Während Hardrich noch die zweite Frucht schälte, klopfte es wieder. Vor der Tür stand eine magere, etwa fünfzigjährige Frau, die sich als Maria vorstellte.
Sie lächelte nicht und hatte einen nicht zu übersehenden Damenbart.

Den ganzen Nachmittag ging sie mit Gertraud das Protokoll des nächsten Tages durch und übte die unterschiedlichsten Dinge mit der Markgräfin. Verbeugen, Schreiten, Knicksen, die Haltung der Gabel, das Trinken aus dem Pokal, das Applaudieren... Zwischendurch steckte Hardrich seiner Frau ein Stück Obst als Belohnung in den Mund und sah ihnen sonst belustigt von der Bank aus zu. Maria warf auch einen Blick auf die Kleider, die Gertraud mitgebracht hatte. Eines davon extra angefertigt für den morgigen Tag.
Die Vertraute der Königin nickte zustimmend. Alles war ja ohnehin recht neu und die Schneider hatten ganz offensichtlich gute Arbeit geleistet und wussten, was der gängigen Kleidermode entsprach. Gertraud, die sich nie wirklich Gedanken darum gemacht hatte und war nun unendlich froh und dankbar. Gegen Abend verabschiedete Maria sich und Hardrich hätte sich gerne mit einem Obulus für ihre Hilfe erkenntlich gezeigt, doch Maria weigerte sich strikt, etwas anzunehmen. Mit einem herablassenden Blick verließ sie das Zimmer.
Hardrich sah ihr ärgerlich nach, aber Gertraud legte ihm beschwichtigend die Hand auf den Arm und sagte:
„Lass. Ich bin sehr dankbar für das, was sie mir gezeigt hat. Ich hoffe nur, es wird reichen. Was, wenn ich mich furchtbar blamiere und Dir und der Mark Schande mache?"
Er zog sie zu sich und brummte:
„Ach, was. Und wenn schon. In drei Wochen sind wir wieder zuhause und dann gibt es hier andere Dinge, über die die Herrschaften sich das Maul zerreißen. Irgend etwas finden die immer. Mach Dir nicht so viele Sorgen, Frau."
Doch Gertraud beruhigten seine Worte nicht. Sie lag die halbe Nacht schlaflos neben ihrem Mann und wälzte sich hin und her, während sich in ihrem Kopf Marias Worte im Kreise drehten. Sie wünschte, sie hätten sich vor dem Zubettgehen bis zur Erschöpfung geliebt, so wie die vielen Male auf der Hinreise, aber der Ritter wollte seine Streitbarkeit für das morgige Turnier nicht gefährden und hatte sie schon seit ein paar Tagen nicht mehr angerührt.

Die Tochter des BrauersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt