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Die Tür zum Dormitorium war nicht verschlossen und er betrat den langen, schwach erleuchteten Flur, an dem rechts und links die Zellen der hochrangigen und älteren Brüder lagen. Am Ende des Ganges führte eine weitere Tür in den Schlafsaal der gemeinen Mönche und Novizen. Der Markgraf war das letzte Mal hier gewesen, als er seine Pläne für Adoption und Eheschließung mit Albertinus besprochen hatte und er war sich sicher, die richtige Tür noch im Gedächtnis zu haben. Doch auf sein Klopfen hin blieb alles so still, dass er fürchtete, das heftige Schlagen seines Herzens müsse weithin zu hören sein.

Er klopfte noch einmal, beherzter jetzt, und raunte:

„Albertinus?"

Nichts.

Entschlossen fasste der Ritter den Knauf. Es lag kein Riegel davor und er schob die Tür nach innen auf. Von der Laterne im Gang fiel Licht in die winzige Schlafkammer. Genug, um mit einem Blick zu erkennen, dass niemand hier war. Außer den schlichten Möbeln war der Raum völlig leer. Keine Bücher, kein Schreibzeug, keine Kleider. Nicht einmal ein Strohsack lag im Bettkasten. Hardrichs Mut sank. Er zog die Tür wieder zu und stand niedergeschmettert und einigermaßen ratlos im dunklen Gang. Hatte er sich doch in der Tür geirrt? Nachdem er über die erste Ernüchterung hinweg war, beschloss er, in der Klosterkirche den Beginn der Prim abzuwarten. Wenn Albertinus noch lebte, würde er ihn dort abpassen. Aber sollte er auch da nicht erscheinen, konnte er nur tot sein. Oder todkrank.

Der Markgraf hatte gerade zwei Schritte in Richtung Ausgang getan, als sich eine der anderen Türen öffnete und ein kleiner, äußerst beleibter Mönch auf den Flur trat. Anscheinend noch halb im Schlaf gähnte der Mann selbstvergessen und kratzte sich den dicken Wanst. Erst dann nahm er die riesige Silhouette wahr, die vor ihm im Halbdunkel aufragte. Gerade genug Zeit für Hardrich, ihn mit zwei großen Schritten zu erreichen. Schon sog der verängstigte Geistliche entsetzt die Luft ein, um zu schreien. Da war Hardrich über ihm und presste ihn mit einer Hand am Hals gegen die Wand. Das spärliche Licht erhellte ein bleiches, vernarbtes Gesicht mit schreckgeweiteten Augen. Es war Gambrinus, der Brauer des Klosters.

Von Aven hatte ihn sofort erkannt. Der Mönch jedoch zeigte keinerlei Anzeichen von Erkennen. Hardrich ächzte. Es war klar, dass niemand mit seinem Erscheinen rechnen konnte. Schon gar nicht in tiefster Nacht im schlecht beleuchteten Flur zum Schlafsaal. Dazu ohne den gewohnten Helm und in völlig unangemessener Aufmachung. Bruder Gambrinus war zudem gerade nicht in der Verfassung irgendeine Erklärung zu begreifen. Angst und Luftnot versetzten ihn immer mehr in Panik. Mit beiden Händen versuchter er verzweifelt, seine Kehle aus dem Griff des Unbekannten zu befreien. Doch der Ritter ließ nicht locker.

„Wo ist Albertinus?", knurrte er ihm drohend ins Ohr.

Der Mönch erstarrte, stierte sein Gegenüber aus hervortretenden Augen an und versuchte röchelnd, etwas zu sagen. Als das misslang, wies er fuchtelnd in Richtung des Ausgangs. Unsanft stieß der Ritter ihn am Hals zur Tür und hinaus in die Nacht.

Draußen ließ er den Mönch kurz Atem schöpfen, packte ihn dann erneut und befahl:

„Führ mich zu ihm."

Widerstrebend nur tappte der Mönch vorneweg. Skrupel schienen ihn zu plagen, da er den Eindringling geradewegs zu seinem alten Mitbruder führte. Doch der eiserne Griff um seine Gurgel ließ ihm keine Wahl. Gambrinus wankte in Richtung des Siechhauses. Dort schimmerte hinter einem der Fensterläden ein schwaches Licht. Erneut lockerte Hardrich seinen Griff ein wenig, damit der Mönch keuchend Luft holen konnte. Der nutzte die kurze Atempause, um ängstlich etwas zu fragen.

„Was willst Du in Gottes Namen?"

„Reden."

Gambrinus wagte ein verächtliches Schnauben und wurde am Hals weiter voran gestoßen.

Die Tochter des BrauersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt