79

168 18 0
                                    

Der Tag des Treffens musste sich in der merkwürdigen Zeichnung verbergen. Soviel war ihnen klar.
Lange grübelten und spekulierten sie darüber, bis es schließlich Wichard war, der sich ächzend in seinem Stuhl zurücklehnte, sich sein Kinn rieb und sagte:
„Einmal anderes herum gefragt. Welchen Tag würde er denn wählen? Sicherlich etwas in näherer Zukunft und nicht das Christfest oder Sankt Nikolaus. Welche Namenstage und Märtyrergedenken liegen denn noch vor uns im März? Ich weiß, meine Mutter hatte irgendwo eine Rolle Pergament, auf der sie solche Dinge aufschrieb und sammelte. Was sie in den Predigten hörte oder wenn Verlautbarungen aus Rom bekannt wurden. Ich schaue mal, ob ich die Rolle finde. Vielleicht kommen wir so herum weiter."
Nach einigem Suchen fand er die Niederschrift tatsächlich. Sein Vater hatte die persönlichen Dinge seiner Frau in einer Truhe zusammengetragen und verwahrt.
Zu dritt saßen sie danach über das Manuskript gebeugt. Es war eine grob chronologische Liste, immer wieder ergänzt und mit dutzenden Randnotizen versehen. Und man sah dem Schriftstück an, dass es viele, viele Mal zur Hand genommen und gelesen worden war. Namen und Daten waren mit feiner Feder sorgfältig festgehalten, wobei die jüngeren Eintragungen, bei denen die Tinte noch dunkel schimmerte, manches Mal mit zittriger Hand verfasst zu sein schienen.
Sie fanden etliche Einträge für den März. Vom Märtyrer Cyrillius, über die selige Walburga und dem heiligen Gumbert von Ansbach, zu dem die alte Dame noch notiert hatte, dass er von besonderer Bescheidenheit gewesen war. Von der heiligen Angelica war die Rede, die eine Rattenplage abgewandt und so eine Hungersnot verhindert hatte und vom heiligen Dismas, dem guten Dieb, der zusammen mit Jesus gekreuzigt wurde. Doch zunächst schien nichts auf das Bild zu passen. Bis Wichard es plötzlich fand.
„Da!", rief er und wies mit dem Zeigefinger auf einen fast verblassten, offensichtlich sehr alten Eintrag in einer anderen, sehr viel steileren Schrift.„Das muss noch von Großmutter sein. Sie hat das Verzeichnis damals begonnen. Es ist fast nicht mehr zu lesen... Aber hier steht es... Josef von Nazareth. Der Josefstag am 19. März! Und sie schreibt dabei: „Der heilige Josef wird oft dargestellt mit einem Blütenstab und dem Winkelmaß, dem Zeichen seiner Zunft." Blüten sind das also...", meinte Wichard stirnrunzelnd.
„Und das soll ein Winkelmaß sein? Ich dachte, das ist eine Falte im Gewand...", meinte Gertraud ächzend.
Die drei sahen sich an und lachten erleichtert. Sie hatten das Rätsel gelöst.

Bester Laune griff Wichard nach der Pergamentrolle, um diese zurück in die Truhe zu legen.
Da legte Melli ihm eine Hand auf den Arm und bat:
„Kann ich... oder... dürfte ich wohl daran weiterarbeiten?"
Wichard war erst überrascht, lächelte dann aber und nickte.
„Gerne! Ich bin sogar sicher, Mutter würde sich sehr darüber freuen", antwortete er, ehrlich gerührt, und sah sie zärtlich an.
Dann küsste er sie.
„Amen!", sagte Gertraud und lächelte.

Zur gleichen Zeit in der Burg nahm der Oq Zahar einen Schluck Brühe, hustete, würgte und spuckte einen Batzen Schleim in sein Schnupftuch. Umständlich zog er die Decke um sich zurecht. Trotz des Feuers im Kamin vor ihm und der heißen Suppe wurde ihm nicht warm in seinem Sessel. Er nieste und seine Zähne begannen aneinander zu klappern.
Schüttelfrost auch noch, dachte er missmutig, leerte seinen Becher und schlurfte zurück ins Bett. Er hatte bereits verschiedene seiner Mittel angewandt, doch die hartnäckige, schwere Erkältung wollte nicht weichen.
„Was nützt es, dass Du der beste Medikus weit und breit bist, wenn Du nicht einmal eine verdammte Erkältung abzuwenden vermagst", dachte er jammervoll.
Er wusste natürlich, dass manches einfach seine Zeit brauchte, aber er selber war ein äußerst ungeduldiger Kranker und seine Laune entsprechend miserabel. Im Bett drehte er sich stöhnend auf die Seite und griff sich noch einmal eines der beiden kleinen Schriftstücke, die neben dem Kerzenhalter lagen.
„Ecke der Reiter... Was zum Henker soll das bedeuten!", brummte er.
Zum wohl hundertsten Male glitt sein Blick über die Wörter und Zeichnungen. Doch dann nieste er noch einmal heftig, fluchte und warf den Zettel verdrießlich zurück auf den Nachttisch. De Allinge würde sich gedulden müssen. Solange es ihm nicht besser ging und zumindest das Fieber nachließ, sodass er wieder klar denken konnte, würde er hier nicht weiterkommen.

Die Tochter des BrauersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt