116

115 10 6
                                    

Je weiter der Nachmittag voranschritt, umso heißer wurde es unter Deck. Obwohl sie den Wellengang hier unten im Bauch des Schiffes deutlich spürten und nicht wenige mit der Seekrankheit zu kämpfen hatten, verirrte sich kaum ein Luftzug durch die Öffnungen. Durst begann den Männern zuzusetzen. Jetzt wurde auch klar, was die vielen Fässer enthielten, die sie geladen hatten. Es war dringend benötigtes Süßwasser. Die Ruderer mussten bei ihrer schweißtreibenden Arbeit eine Unmenge trinken und da ihr Tun nicht unterbrochen werden durfte, wurde Trinkwasser verteilt, während sie ruderten. Da war ein kleiner, dunkelhäutiger Junge, Paco, vielleicht zehn oder elf Jahre alt, der mit Eimer und Wasserkelle über den Laufweg huschte und ihnen reihum zu Trinken anreichte.

Endlich, zum Abend hin, kam günstiger Wind auf und das Segel wurde gesetzt. Die Ruder kamen zu einem Halt. Fast alle der Neuen waren vollkommen abgekämpft und sanken, kaum dass die Riemen festgemacht waren, auf ihre Bänke nieder. Auch Hardrichs Glieder waren schwer wie Blei. Doch er merkte, dass er im Gegensatz zu einigen der Anderen einigermaßen wohl genährt und ausgeruht in dieses Abenteuer aufgebrochen war. Er hatte die letzten Wochen keinen Hunger gelitten oder war meilenweit gewandert. Davon zehrte er jetzt.

Es gab eine Schüssel dünne Bohnensuppe ohne Fleisch und ein Stück Zwieback für jeden. Niemand war anschließend wirklich satt, aber die Männer waren zu abgekämpft, um aufzubegehren. Danach wurde Nachtruhe angeordnet. Der Oberaufseher und einer seiner Leute verschwanden nach oben. Der diensthabende Aufseher setzte sich zu den Vorruderern und man hörte sie leise miteinander erzählen. Doch alle anderen wollten jetzt nur noch eines: Schlafen.

Ihre Bank war schmal und hart, trotz des muffigen, alten Schaffells darauf. Für beide Männer war nicht genug Platz, um sich darauf auszustrecken und die kurze Kette ließ kaum Spielraum. Der Boden kam wegen des Unrats gar nicht in Frage. Da die Ruderer nicht umhergehen durften und konnten, musste gezwungenermaßen auch ihre Notdurft direkt am Platz verrichtet werden. Es gab zwischen den Bänken eine Art Rinne am Boden, die wohl für diesen Zweck gedacht war, aber er würde Tag und Nacht vom Urin und Fäkalien umgeben sein.

Schließlich lehnte sich Ubald zum Schlafen an die Bordwand, mit seinem Beutel und einem Mantel im Rücken, und ließ Hardrich die Bank fast für sich allein. Doch trotz seiner bleiernen Müdigkeit kam dieser nicht gleich zur Ruhe. Der furchtbare Gestank, die Enge und das bedrückende Gefühl des Angekettetseins hielten ihn wach. Kurz fragte er sich, wie es Nubia gehen mochte, aber sicherlich hatte auch sie zu Essen und einen Platz zum Schlafen bekommen. Eine Frau wie Veronica Franco war mit einiger Sicherheit klug genug, gut auf ein vermeintliches Geschenk ihres reichen Gönners zu achten. Ubalds schnelle Auffassungsgabe war wahrlich ein Segen gewesen, dachte von Aven und gähnte. Ob und wann diese Geschichte in Venedig aufflog, musste ihn heute nicht kümmern. Auch wenn ihn ein klein wenig die Sorge umtrieb, die Sklavin würde in Venedig womöglich mit ihm weiterziehen wollen. Denn das kam selbstverständlich überhaupt nicht in Frage.

Durch die Öffnungen in der Bordwand beobachtete er, dass es langsam dunkelte. Gerne hätte er jetzt oben an Deck gestanden. Um allem Ungemach hier unten zu entgehen. Und um die Sonne im Meer versinken zu sehen. Sicher war schon seit langem kein Land ringsumher mehr auszumachen. Er hörte das Rauschen der See und das Knattern des Segels. Sie machten gute Fahrt. Das besserte seine Laune. Mit jedem Herzschlag kam er Gertraud jetzt näher und an diesem guten Gedanken hielt er sich fest. Die Gespräche ringsumher verebbten. Und nach und nach wiegten ihn Ubalds gemurmelte Gebete und das sanfte Wiegen des Schiffes trotz aller Widrigkeiten hinüber in den Schlaf.

Tief in der Nacht wurde er jählings wach. Im ersten Moment verwirrt und völlig im Unklaren, wo er sich befand. Es war stockfinster. Da waren ängstliche Schreie. Und plötzlich kaltes Wasser an seinem Fuß. Erschrocken kämpfte er sich aus dem Tiefschlaf heraus. Sein rechter Fuß war von der Bank zu Boden gerutscht und dort schwappte Wasser! Und jetzt spürte er auch das Stampfen und Ächzen des Schiffes. Er erschrak bis ins Mark. Sofort war die Furcht da und schnürte ihm die Kehle zu. Sanken sie? Würde er gleich mit dem Schiff in die Tiefe gezogen? Doch da hörte er vom Heck her, dort wo die Vorruderer saßen, hämisch klingende Rufe und Lachen. Dies musste bedeuten, dass diese Art Seegang noch lange kein Grund zur Sorge war.

Die Tochter des BrauersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt