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Hardrichs Anspannung wuchs von Tag zu Tag und auch Gertraud hatte mit den Vorbereitungen für die kommende Tage und die vielen auswärtigen Gäste einiges um die Ohren. Hardrich überließ diesen Teil inzwischen vollkommen ihr und dem Verwalter.
Schließlich war es soweit. Bis auf Jürgen von der Weile, kamen sämtliche Lehnsmänner mit ihren nächsten Angehörigen und engen Freunden in der Stadt zusammen. Denn sie alle wollten die Kreuzfahrer von hier verabschieden. Und da nicht für alle Brüder, Tanten, Schwägerinnen und Kindeskinder Platz in der Burg war, entstanden zahlreiche, neue Zelte rund um die Stadt. Von Treptow und von Bevern, die beide eine vielköpfige Familie ihr eigen nannten, wohnten dort und nahmen von da aus an den offiziellen Treffen teil. Von Meez, von Echtern und von Walow, die mit kleinerem Gefolge anreisten, wohnten mit in der Burg. Die Kreuzfahrer besprachen während dieser letzten Tage noch Abschließendes zur Reiseroute und die neuesten Weisungen vom Königshof. Auch von Walow nahm daran teil.
Außerdem wurden Waffenspiele veranstaltet, in denen sich ausschließlich die frischen Rekruten aller Lehen in verschiedenen Disziplinen messen mussten. Nach deren Abschneiden sollte die Reihenfolge festgelegt werden, in welcher die Truppenverbände sich auf den Weg machen würden. Und natürlich waren die vorderen Plätze begehrt. Denn wer als erster am Nachtlagerpunkt ankam, konnte sich die besten Zeltplätze aussuchen und hatte es trockener, kürzere Wege zum Wasserholen und musste auch unterwegs nicht auf von vielen Stiefeln ausgetretenen, matschigen Wegen marschieren. So waren die Männer meist den ganzen Tag um und im Lager beschäftigt und aßen auch dort.
Gertraud hatte im Zuge der Vorbereitungen überlegt, für die Frauen, Mädchen und Kinder eine Art Damenprogramm nach dem Vorbild der Veranstaltungen am Königshof vorzubereiten. Doch es sollte natürlich nicht zu einer solch elendigen Reihe von unliebsamen Zwängen geraten, wie sie sie dort erlebt hatte. Außerdem waren ja auch etliche Kinder dabei.
Schon vor Wochen hatte sie das Ganze mit Hardrich besprechen wollen, aber der winkte gleich ab und sagte unwirsch:
„Verschone mich damit! Tu, was Du denkst. Du hast freie Hand."
Gertraud hatte lange nachgedacht. Wenn sie sich zurückerinnerte, an die Hochzeit von Bettina zum Beispiel, war sie nicht immer wohlwollend im Kreis der Adligen aufgenommen worden. Das lag nun schon eine ganze Weile zurück, aber sie wusste noch genau, wie ausgestoßen sie sich dabei vorgekommen war. Und sie war sich darüber im Klaren, dass sie Gefahr lief, wieder auf Ablehnung zu stoßen.
Trotzdem wollte sie es versuchen.Schließlich entstand auf ihr Geheiß hin in einem der kleineren Säle so etwas wie ein offener Treffpunkt. Zwanglos, gemütlich und einladend sollte es für alle sein. Seit Tagen hatte sie dort kräftig heizen lassen, damit die klamme Kälte aus dem selten benutzten Raum wich. Stühle gab es, behagliche Sitzecken, Decken und Kissen. Der Steinboden war mit Teppichen bedeckt, Tischchen mit kleinen Süßigkeiten, Nüssen, Trockenobst, Gebäck und Getränke standen bereit und sie hatte zwei Mägde abgestellt, die dort bedienen und sich bei Bedarf um die kleineren Kinder kümmern sollten.
Jede der Frauen, die sie mit Hardrich zusammen bei ihrer Ankunft begrüßt hatte, war von ihr persönlich angesprochen und eingeladen worden, sich dort miteinander auszutauschen und die Zeit gemeinsam zu verbringen. Denn sie dachte, dass der baldige Abschied nicht nur ihr auf der Seele liegen musste.

Und nun stand sie den ersten Tag in dem liebevoll vorbereiteten und dekorierten Raum und wartete. Sie war nervös. Was, wenn nun keine der Damen kam? Was, wenn man ihr einmal mehr Geringschätzung ob ihrer niedrigen Herkunft zu verstehen gab? Sie hatte die halbe Nacht wachgelegen, weil sie fürchtete, mit ihrem gutgemeinten Wunsch nach einem angenehmen Miteinander mit Bausch und Bogen zu scheitern.
Und genau das schien zu passieren. Niemand erschien. Bis kurz vor der Mittagszeit saß Gertraud mit einem Buch am Feuer und gab vor, zu lesen, während die Mägde müßig und leise tuschelnd herumstanden.
Zum wohl zwanzigsten Mal begann sie mit dem Lesen desselben Absatzes, ohne wirklich zu erfassen, was dort geschrieben stand. Zäh verrann die Zeit. Schließlich klappte sie seufzend ihr Buch zu. Sie erhob sich niedergeschlagen und wollte gerade die Bediensteten zurück in die Küche schicken, da hörte sie Frauenstimmen im Gang. Sofort schlug ihr das Herz bis um Halse. Auch die Mägde horchten auf, strichen ihre Schürzen glatt und nahmen wieder Haltung an. Alle drei starrten auf die offene Tür.
Als erste betrat Ludiwika, die Schwester von Rudolf von Walow den Saal. Mit ihr kam Frau von Echtern, nebst zwei ihrer Schwägerinnen, ihrer Mutter und Tochter herein. Eine der Damen trug einen nur wenige Wochen alten Säugling auf dem Arm. Sie kamen auf Gertraud zu und grüßten ein wenig befangen.

Die Tochter des BrauersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt