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Lienhard eilte gebückt durch die Gänge, kroch zurück in den Kohlenkeller und schloss leise das nur halb mannshohe Eisentürchen hinter sich.
Er lauschte.
Noch war alles still in der Burg. Es musste sehr früh am Morgen sein.
Doch schon bald würde in der Küche mit dem Feuermachen und den täglichen Vorbereitungen für die Mahlzeiten begonnen werden. Er war vorsichtig. Niemand durfte ihn in den nassen Kleidern sehen. Es würde Verdacht auf ihn lenken, sobald der Tote und der Fluchtweg erst einmal entdeckt waren.
Er gelangte ungesehen in den Stall und huschte die Stiege hinauf, wo er sich auf dem Heuboden eine Ecke für sich eingerichtet hatte. Die winzige Wohnung des Stallmeisters, die er mit seinem Vater und Till bewohnt hatte, seit seine Mutter vor Jahren gestorben war, wurde nun von Kumanen bewohnt.
Allerdings hatte er noch einen Arm voll seiner Habseligkeiten mitnehmen dürfen, als sie sich einquartierten. Er besaß also trockene Wechselsachen. Alte Beinlinge und eine Bruche von Till und ein warmes Hemd seines Vaters, darüber ein Wams, das er eigentlich nur an Sonntagen trug.
Doch wohin mit den nassen Sachen?
Die Kumanen waren nicht dumm. Besonders nicht Sardori Onjuk, dem die Bewachung der Markgräfin oblag. Wenn er die Kleider irgendwo versteckte und sie durch einen dummen Zufall doch entdeckt würden, wäre es hochgradig verdächtig. Aber er konnte und wollte sie auch nicht irgendwo im Abfall entsorgen oder verbrennen. Lienhard rieb sich die klammen Hände und grübelte.
Dann griff er sich zwei Eimer, holte Wasser vom Brunnen und füllte es in einen kleinen Zuber. Da hinein stopfte er die nassen Sachen und fügte obenauf das Aschesäckchen, das für die Waschlauge sorgte.
Mit einem Grinsen auf den Lippen schloss er den Deckel. Er weichte seine Kleider einfach zum Waschen ein. Fertig. Das war sowieso wieder einmal nötig.
Zufrieden atmete er durch und kroch dann todmüde mit seiner Decke ins Heu, um sich aufzuwärmen und noch ein wenig zu schlafen. Er dachte an seinen Vater und an Till, die weit fort unterwegs ins Heilige Land waren. Heute hatte er seiner Familie Ehre gemacht, dachte er. Und über diesen Gedanken schlief er ein.

Sardori Onjuk hatte eine äußerst unbequeme Nacht auf einem Schemel vor den Gemächern der Markgräfin verbracht. Immer mit einem Ohr lauschend und wartend, dass sein Herr endlich das Zimmer verließ oder ihn hereinrief. Zwischendurch war er immer mal wieder eingenickt, um kurz darauf mit steifem Nacken wieder aufzuschrecken. Nach dem einzelnen Schrei der Frau gestern Abend, der alles andere als unglücklich geklungen hatte, war es vollkommen still geblieben im Zimmer.
Trotzdem oder vielleicht auch gerade deswegen kämpfte der kumanische Hauptmann gegen ein immer stärker werdendes ungutes Gefühl an. Es sah seinem Herrn überhaupt nicht ähnlich, nach dem vollzogenen Akt, die ganze Nacht dort drin zu verbringen. Er hatte fest damit gerechnet, den Khan schon vor Stunden mit einem satten Grinsen heraustreten zu sehen und erwartete den Befehl, die Frau wieder hinunter in sicheren Gewahrsam zu bringen. Sardori Onjuk mochte die Dame von Aven und es tat ihm leid, was hier mit ihr geschah.
Wenn er ganz ehrlich war, beschämte ihn das Vorgehen seines Herrn. Der alte Kunyol besaß neben seinen sieben legitimen Söhnen auch eine ganze Reihe Bastarde, die er allesamt mit eiserner Hand kurz hielt, denn er fürchtete nichts mehr als seinen Machtverlust. Er brauchte mit Sicherheit nicht noch einen weiteren illegitimen Abkömmling. Dies war einzig ein Akt der Rache und der Geilheit.
Der kumanische Hauptmann ächzte. Es gab nichts, was er für die arme Frau hätte tun können. Er war Soldat. Und er befolgte Befehle. Auch wenn sie ihm nicht gefielen.
Mit eigenen Augen hatte er gesehen, wie die Markgräfin die Tasse, in der das Pulver gewesen war, geleert hatte. Ganz so, wie der weiße Zauberer es für den Khan vorbereitet und eingefädelt hatte. Dessen Plan war, wie schon bei vielen anderen Gelegenheiten in der Vergangenheit, augenscheinlich vortrefflich aufgegangen und die Frau des Ritters war dem alten Mann zu Willen gewesen.
Trotzdem. Sein Instinkt sagte ihm, dass hier irgendetwas nicht stimmte. Doch er konnte schlecht hineingehen und nach dem Rechten sehen. Seine Order lautete, vor der Tür zu warten, bis man ihn rief.Seufzend weckte er einen seiner Leute, die neben ihm am Boden zusammengekauert schliefen und ließ ihn wissen, dass er kurz hinunter gehen würde. Der Mann kam ächzend zu sich, nickte und erhob sich mühsam.
Gähnend und die verspannten Schultern rollend ging der Sardori die Treppen hinunter. Dieselben Stufen, auf die Hardrich von Aven tagtäglich seine Stiefel gesetzt hatte. Diese Mauern waren dessen Zuhause, ging ihm durch den Kopf.
Ja, Sardori Onjuk war dem Ritter in der Schlacht begegnet.
Wie oft hatte er an diesen Tag denken müssen, seit er hier war. Er erinnerte sich noch genau daran, wie beeindruckt er gewesen war, von dessen strategischem Geschick, seiner präzisen Schwerführung, seinem Mut und seiner Kraft. Er war ihm gegenüber getreten und nur durch einen mehr als glücklichen Zufall dem Tod entronnen. Ein Unwetter hatte über dem Schlachtfeld getobt. Regen hatte ihnen allen die Sicht genommen und der Schlamm ihre Schritte erschwert. Nur drei Hiebe hatte der Markgraf gebraucht, bis er schwer verletzt und mit zerbrochenem Säbel vor ihm am Boden lag und dem letzten, dem tödlichen, Hieb entgegen sah. Und wenn nicht der Blitz gewesen wäre, der mit einem Feuerball in den Baum neben ihnen gefahren war, wäre er jetzt auch tot. So aber hatte der Ritter von ihm ablassen müssen, um dem brennenden Stamm auszuweichen, der in ihre Richtung stürzte.Er selber war dann irgendwann halbtot geborgen worden und es hatte Monate gedauert, bis er wieder auf den Beinen gewesen war.
Daran musste er jetzt denken, als er hinaus auf den Hof trat. Er verfluchte das kalte Wetter hierzulande und beeilte sich, hinüber zu den Aborten zu gelangen. Er trat ein und ließ die Tür hinter sich aber einen Spalt weit offen stehen, damit ein wenig Licht von den Fackeln im Hof hineinschien. Das reichte, um sich zurechtzufinden.
Während er dann frierend sein Wasser ließ, bemerkte er aus den Augenwinkeln eine Bewegung auf dem nächtlich stillen Hof. Jemand holte Wasser vom Brunnen. Ein Mann. Nein, der Junge war es. Dieser Pferdeknecht. So früh begann er also schon sein Tagwerk? Alle Achtung, dachte Sardori Onjuk anerkennend. Er beendete seine Verrichtung und kehrte auf seinen Posten zurück.

Die Tochter des BrauersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt