Immer mehr Männer erreichten den Fluss. Bewegt und glücklich, diesen für sie alle so bedeutungsvollen Ort erreicht zu haben.
Einige hatten kleine Glasphiolen mitgebracht, in die sie Wasser aus dem Fluss füllten, um es mit nach Hause zu nehmen. Für eine Kindstaufe zuhause oder als Devotionalie für den Hausaltar.
Hardrich sah es mit an und überlegte, ob er das nicht auch tun sollte. Um Conrad mit dem Wasser zu taufen, war es bereits zu spät. Gertraud hatte ihn fraglos längst taufen lassen. Sicher war sicher. Aber vielleicht für ein zweites Kind? Das würde Gertraud bestimmt freuen und der Gedanke gefiel ihm.
Es ärgerte ihn, dass er an so etwas nicht früher gedacht hatte und er nahm sich fest vor, in der Festung ein geeignetes Gefäß zu erwerben. Irgendetwas würde sich ja wohl finden lassen, hoffte er.
Er war müde.
Erschöpft von unruhigen Nächten, in denen er sich den Kopf über Pläne und Taktiken zerbrach. Zermürbt vom Gefühl der Schuld. Und einer unentwegten, grollenden Anspannung.
Der Ritter legte den Kopf in den Nacken, starrte hinauf in den hellblauen, mit dünnen Schleierwolken überzogenen Himmel und bemerkte mit einem Mal die blasse Sichel des Mondes genau über sich stehen.
Sein Brief an Gertraud fiel ihm ein. Sie konnte das Schreiben inzwischen erhalten haben, dachte er.
Ob sie wohl tun würde, was er vorgeschlagen hatte?
Natürlich würde sie das.
Ganz plötzlich schoss ihm durch den Kopf, dass sie ja hoffentlich nicht auf die dumme Idee kommen würde, mit Conrad auf dem Arm den Eckturm hinauf zu steigen, um von dort oben zusammen den Vollmond anzusehen. Das war doch viel zu gefährlich! Was wenn sie auf dieser verfluchten Treppe stürzte, dachte er erschrocken und bereute fast, mit der ganzen Geschichte angefangen zu haben.
Er hätte diesen lausigen Turm längst abreißen lassen sollen, überlegte er, mit einem Male voller Sorge. Zumindest den Zugang hätte er versperren müssen. Denn auch die vermaledeiten Tunnel waren kein Tummelplatz für ein Kind. Er wusste noch, wie er selber als Knabe immer wieder heimlich darin herumgeklettert war. Obwohl man es auch ihm verboten hatte.
Heute waren Teile der Gänge überflutet und sicherlich so einiges baufällig. Seine Gemahlin war, Gott sei Dank, keine Närrin und würde ja sicherlich auf das Kind achten. Doch sie war die Frau. Er war der Herr des Hauses und es war letztlich seine Pflicht, für Sicherheit zu sorgen. Er hätte das schon lange bedenken und richten lassen müssen.
Die Vorstellung, Conrad könne durch dieses, sein Versäumnis etwas zustoßen, schnürte ihm mit einem Mal die Kehle zu. Und es drängten sich ihm immer neue furchtbare Visionen von verhängnisvollen Unglücksfällen auf, bis ihm das Herz fast schmerzhaft bis zum Halse schlug und er schier daran erstickte.
Er wusste nicht, wie er dem begegnen sollten und begann endlich aus tiefster Seele zu beten. Ein Vaterunser nach dem nächsten.
Doch als sein Puls schließlich wieder ruhig ging, war er beschämt.
Was war das für ein armseliger Kleinmut, der ihn gerade befallen hatte! War es das, was das Vatersein aus einem machte? Hatte sein Vater seinetwegen etwa auch solche Ängste ausgestanden? Das durfte doch wohl nicht wahr sein!
Ein unwilliges Knurren entfuhr ihm.
Dann schloss er seine brennenden Augen und dachte an Gertraud.
Sie hatten sich jetzt ein dreiviertel Jahr nicht gesehen und es fiel ihm immer schwerer, sie im Geiste vor sich zu sehen, was ihn mit wachsender Beklommenheit erfüllte.
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Die Tochter des Brauers
Romance"Ihr glaubt wirklich, Eure Küche hätte Zugang zum Baum der Erkenntnis?" "Gut pariert, Frau!", lachte er. Sie bewarf ihn mit dem Apfel, er fing ihn auf, zögerte noch einen Moment und biss hinein. Ein mittelalterlicher Roman. Um? Nun ja. Die Tochte...