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Gertraud starrte ihn entgeistert an und schlug die Hände vor den Mund.
Dann kam sie taumelnd auf die Füße und begann zu schreien:
„Er hat sie umgebracht! Oh, großer Gott! Sören! Er hat sie umgebracht! Der Teufel! Ich hätte... Oh, lieber Gott! Nein! Nein! Nein!"
Sie riss sich die Haube vom Kopf, raufte sich die Haare und schrie und weinte. Vollkommen außer sich.
Hardrich war wie vor den Kopf geschlagen. Er hatte wohl mit ihrer Bestürzung, nicht aber mit solch einem Gehabe gerechnet.
„Gertraud, beruhige Dich. Was...?"
Aber sie hörte ihn gar nicht. Sie war wie rasend.Schließlich packte er sie an den Schultern und schüttelte sie.
„Frau!", brüllte er sie dabei im Befehlston an, „Hör auf! Sofort!"
Schluchzend hielt sie endlich in seinem eisernen Griff inne.
Sie blickte ihn verstört an und wiederholte flüsternd:
„Er hat sie umgebracht..."
„Niemand hat hier irgendwen umgebracht! Hast Du nicht zugehört, Frau? Es war ein Reitunfall!", bellte er ungehalten.
„Nein! Du verstehst nicht... Sören... Er war es! Damit sie nichts sagt! Der Zahn und... Herrgott! Er ist... anders, hat sie gesagt. Anders, als man denkt! Gestern hab ich es gesehen! Das Böse in ihm! Ich habe es gesehen! Beim Frühstück!", stammelte sie und fing wieder an, hysterisch zu weinen, „Der Besuch! Ich hätte nicht... Oh, heilige Maria Mutter Gottes! Es ist alles meine Schuld!"
Langsam verlor er die Geduld mit ihr und es juckte ihn in den Fingern, sie mit einer kräftigen Ohrfeige zur Besinnung zu bringen. Doch er spürte sie am ganzen Leib zittern und zog sie stattdessen eng an sich, bis sie schwieg und sich an ihn klammerte.
Er wiegte sie noch einen Augenblick im Arm und knurrte dann:
„Was zum Teufel redest Du da?"
Gertraud schloss die Augen und versuchte, ihre Gedanken zu sammeln.
„Komm", brummte er und führte sie zu ihrem Diwan.
Beide setzten sich und sie erzählte ihm, noch immer aufgewühlt, alles von Anfang an.
Er ließ sie ausreden.
Doch dann sah er sie an, zog die Brauen zusammen und sagte kopfschüttelnd:
„Das ist der größte Unsinn, den ich je gehört habe."
„Aber..."
„Nein! Schweig! Du glaubst tatsächlich, mein erster Mann hat seine Frau umgebracht, damit sie Dir nicht erzählt, dass ihm hin und wieder die Hand ausrutscht? Bist Du noch bei Trost? Das war doch kein Geheimnis."
Sie starrte ihn ungläubig an.
„Du hast davon gewusst?", hauchte sie entsetzt.
„Alle wussten das. Sogar mir hat er neulich bei der Jagd noch einmal davon erzählt."
„Dass er sie verprügelt?", fragte sie ungläubig.
„Nein, verdammt! Dass die Verbindung unglücklich ist. Und dass er nicht weiß, was er tun soll."
„Und deswegen schlägt er ihr die Zähne aus?", brauste sie auf.
„Sie hat Dir gesagt, das mit dem Zahn war ein Missgeschick, Frau! Das einzige, was sie Dir selber wirklich über Sören gesagt hat, war, dass er sie straft, weil... sie sich ihm verweigert. Und das ist sein gutes Recht. Willst Du mir erzählen, dass war bei Euch zuhause anders?", bellte er.
Sie ächzte. Ihr Vater war ein guter Mann. Aber sie erinnerte sich zumindest an eine Begebenheit, an der auch er ihrer Mutter eine Kopfnuss gegeben hatte.
„Sören ist am Boden zerstört, Gertraud. Wie kannst Du überhaupt nur denken, dass er mit dem Tod seiner Frau irgendetwas zu tun hat? Er war doch auch den ganzen Tag über mit mir zusammen im Lager. Er hatte weder Grund noch Gelegenheit ihr irgendetwas anzutun", sagte er entschieden.
„Er macht mir Angst. Genau wie er Bettina geängstigt hat. Ich bitte Dich, Hardrich! Schick ihn fort!", sagte sie leise.
Doch der Ritter schüttelte den Kopf. Erst vorgestern noch hatte er gedacht, wie zufrieden er mit der Arbeit des Dänen war. Und wie dankbar auch seine Umgebung für Sörens Vermittlung und umgängliche Art war. Überall war er beliebt. Der Markgraf dachte nicht daran, dies alles für eine überspannte Laune seiner Frau aufzugeben. Denn genauso kam ihm ihre Geschichte vor.
„Gertraud, was ist nur in Dich gefahren? Ich habe Dich immer für recht vernunftbegabt gehalten, aber Du benimmst Dich wie eine kopflose Henne! Mein erster Hauptmann hat heute seine Ehefrau bei einem Unfall verloren. Und er bringt ihren Leichnam in eben diesem Augenblick zu ihren Eltern, damit er dort aufgebahrt und christlich beigesetzt werden kann", sagte der Markgraf vorwurfsvoll und erhob sich.
Dann sah er streng auf seine Frau herab und fuhr in scharfem Ton fort:
„Ich verbiete Dir, gegenüber irgend jemandem noch einmal diese ungeheuerlichen Verdächtigungen zu äußern."
Als sie nicht sofort antwortete, sondern stumm zu Boden sah, herrschte er sie an:
„Ist das klar, Frau?"
Sie nickte.
Er ging zur Tür, drehte sich dort noch einmal um und fragte:
„Warst nicht sogar Du es, die mir damals nahe legte, meine Einwände gegen diese Verbindung zu überdenken, weil er sie liebte, so wie ich Dich liebe?"
Dann war er fort und Gertraud verbarg aufstöhnend ihr Gesicht in den Händen. Ihr wurde übel, wenn sie daran zurückdachte. Hardrich hatte ja Recht. Mit allem, was er sagte. Und doch... Da war eine dunkle Seite an diesem Nordländer. Sie hatte sie gesehen und bei dem Gedanken daran, lief ihr noch immer ein Schauer über den Rücken.

Die Tochter des BrauersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt