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Wichard war anfangs ein wenig ratlos, wie er das neue Mitglied der Hausgemeinschaft einordnen sollte, denn dass Gertraud diesen Rupert auch weiterhin um sich haben wollte, stand außer Frage.

Sie hatte den etwa fünfundvierzigjährigen Mann, der sich ihm als Rupert Uelzer vorstellte, als einen Freund ihres Ziehvaters beschrieben. Er sei wie ein Onkel für sie, hatte sie gesagt.

Aber soweit Wichard in Erinnerung hatte, war dieser Fremde ein Bediensteter. Ihm blieb das alles ein wenig schleierhaft, doch erstens hatte er den alten von Trettin immer geschätzt und fühlte sich seinem Andenken verpflichtet. Und zweitens würde er niemanden vor die Tür setzen, dessen Anwesenheit der Markgräfin so wichtig war.

Er fragte sich einzig, ob er ihn nun wie einen seiner Dienstboten ansprechen sollte oder aber als einen Verwandten, einen „Onkel", der Markgräfin?

Doch es dauerte nicht lange, bis sich die Dinge klärten und zusammenfügten.

Gertraud war dem Fremden vor Freude weinend um den Hals gefallen, als sie nach dem erfolgreichen Zusammentreffen am Josefstag zu dritt das Gut erreichten.

Sie erfuhren, dass er Rettow am Tag nach Weihnachten in großer Sorge und im allerersten Tageslicht verlassen hatte.

In der Stadt angekommen war er wie vor den Kopf geschlagen, als er von der feindlichen Machtübernahme erfuhr. Verstört und verloren war er einen Weile herumgeirrt, bis er schließlich glücklicherweise im Haus von Bertolf Gundermann, dem stummen Apotheker, Unterschlupf fand.

Die beiden kannten einander recht gut, weil Rupert dort häufig Salben und Arzneien für seinen Herrn gekauft hatte.

Eine Weile half er im Lager und im Haushalt Gundermanns, trauerte um von Trettin und war unschlüssig, wie es weiter gehen sollte. Er hatte bereits überlegt, nach Rettow zurückzukehren.

Doch dann sprach sich herum, dass der Markgräfin die Flucht gelungen war und er beschloss, zu bleiben und einen Weg zu finden, mit ihr Verbindung aufzunehmen.

„Jetzt muss ich doch auf Dich Acht geben. Reno erwartet nicht weniger von mir, da bin ich sicher", hatte er mit einem traurigen Lächeln zu Gertraud gesagt, „Wenn ich nur gewusst hätte, dass Lienhard zu Euch gehört! Dann wäre es ganz einfach gewesen. Ich habe den Jungen einige Male in der Apotheke gesehen, aber nicht gewagt, ihn anzusprechen. Ich war mir nicht sicher, wem zu trauen ist."

Als man an diesem ersten Abend zum Essen im Speiseraum zusammenkam, bestand die Markgräfin darauf, dass Rupert sich zu ihnen setzte, obwohl er das zunächst recht entschieden von sich wies.

Zwei Tage lang umkreisten sich der Hausherr und der Fremde sehr höflich, allerdings beide ratlos, was vom jeweils anderen zu halten war.

Dann eines Nachmittags saß Wichard missmutig über den eher nachlässigen Aufzeichnungen seines verstorbenen Bruders und bemühte sich, anhand der Zahlen, Listen und Notizen einen Überblick über seine anstehenden Aufgaben zu bekommen. Sein Vater wurde entgegen seiner Hoffnung tagtäglich hinfälliger und würde ihm keine Hilfe sein können.

Bohnenaussaat, Schweinezucht, Holzeinschlag...

Er wollte ganz andere Dinge angehen! Der Schnee war geschmolzen und es mehrten sich die Gerüchte, dass die Kumanen schon in den nächsten Tagen abziehen würden. Und er saß hier herum und musste sich wortwörtlich mit Mist befassen!

Fluchend schob Wichard die mit einer Schnur grob gebundenen Seiten von sich. Er hatte sich nie für diese Dinge interessiert und das würde sich auch schwerlich ändern.

Wenn nur die Verantwortung für das Wohlergehen so vieler Menschen nicht an ihm hinge! Seine Unkenntnis – und, ja, seine Unlust – würden diesen Karren an die Wand fahren, dachte er verdrießlich.

Die Tochter des BrauersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt