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Das Hauptheer hatte Regensburg gleich zu Beginn des Novembers wieder verlassen, um in den Bergen möglichst noch nicht von allzuviel Schnee aufgehalten zu werden. Als Jost also am Zehnten des Monats mit den Nachzüglern aufbrach, ließ er die Männer kaum rasten und obwohl sie fast alle beritten waren und der Rest auf den nur leichten Wagen mitreiste, holten sie die Kreuzfahrer erst kurz vor der Landesgrenze zum Königreich Ungarn ein.
Und auch dann dauerte es noch einen halben Tag, bis sie den Verband der Ostmark in der riesigen Menschenmenge gefunden hatten. Als hätte er Ausschau nach ihnen gehalten, war es Georg von Meez, der ihnen mit großen Schritten als erster entgegenkam und Jost zog das Schreiben, dass ihm dessen Frau an ihn mitgeschickt hatte, aus seiner Tasche, als er ihn kommen sah.
Der Hauptmann wollte der Nachricht von der Niederkunft seiner Frau nicht vorgreifen, übergab diese aber mit einem Lächeln, das von Meez aufatmen ließ. Er nahm das Schreiben, drehte sich grußlos um und entfernte sich wieder.
Jost sah ihm kopfschüttelnd nach und machte sich als nächstes auf die Suche nach seinem Herrn. Er sei im Zelt der Heeresleitung hieß es und Till erbot sich, ihn zu führen.

Mit mürrischer Miene saß Hardrich am Tisch im Kreis der anderen Ritter und Herzöge und lauschte mit nur einem Ohr der Unterhaltung. Neben ihm am Boden hockte ein langbeiniger, grauer Wolfshund, die lange Schnauze zutraulich auf seinen Oberschenkel gelegt. Das große Tier schnaufte genüsslich und mit halbgeschlossenen Augen als der Ritter ihm geistesabwesend den Nacken kraulte, was Hardrichs Mundwinkel zu einem kurzen, kleinen Lächeln anhob.
Da trat leise ein Wachmann zu ihm und raunte ihm ins Ohr:
„Verzeiht, Herr. Draußen steht ein Hauptmann Caspar Jost und wünscht, Euch zu sprechen."
Freudig sprang der Ritter auf und unterbrach damit ungerührt Gotthilf von Trebur, der sich gerade in Betrachtungen der politischen Lage in Ungarn und Venedig erging.
„Entschuldigt mich", murmelte der Ritter und griff schon im Gehen rasch nach seinen Landkarten, die aufgerollt vor ihm auf dem Tisch lagen.
Stirnrunzelnd entließ der schwergewichtige Heerführer Hardrich mit einem Nicken, doch dieser war schon auf halbem Wege zum Zeltausgang und mit den Gedanken bereits ganz woanders.
Die unerwartete, eilige Bewegung hatte auch den Hund aufgeschreckt. Er begann zu winseln und machte Anstalten, Hardrich hinaus zu folgen.
Äußerst ungehalten rief von Trebur seinen Hund zurück:
„Rappo! Hierher! Platz jetzt hier bei mir!"
Jost grüßte höflich und die Miene des Markgrafen erhellte sich, als er das vertraute Gesicht seines Hauptmanns vor sich sah.
„Endlich", entfuhr es ihm erleichtert.
„Mit Verlaub, Herr. Ihr habt uns ein feines Rennen geliefert. Wir hatte wahrlich Mühe, aufzuschließen", bemerkte Jost mit einer Verbeugung.
Hardrich grinste und war wirklich froh, ihn zu sehen. Er drückte Till die Landkarten in den Arm und gemeinsam gingen sie zurück zum Lager der Ostmark.
„Und?", fragte der Ritter.
Jost erstattete ausführlich Bericht und zog dann drei versiegelte Umschläge hervor, die allesamt an den Markgrafen adressiert waren.
Ein dünner von von Walow, ein etwas dickerer von Gertrauds Ziehvater und das dicke Bündel, das die Markgräfin selber geschrieben hatte.
„Wie geht es meiner Frau?", fragte Hardrich.
„Gut, soweit ich weiß. Ich habe das Schreiben selber abgeholt und da war sie wohlauf. Ich habe ihr auch noch einmal persönlich meinen Dank ausgesprochen. Für ihre Hilfe neulich."
Die Männer sahen sich an und Hardrich nickte.
Dann entließ er Jost, damit der sich ausruhen und im Lager einrichten konnte. Morgen war der zweite Advent und das Heer würde einen Tag rasten.
Er selber ging in sein Zelt, froh der Zusammenkunft eben so glücklich entronnen zu sein und nahm die Briefe zur Hand. Als erstes brach er von Walows Siegel und überflog dessen Zeilen noch im Stehen.
Es war eine knapp gehaltene Auflistung seiner bisher erledigten Aufgaben. Strittige Fragen waren aufgeführt und die Art und Weise, wie er sie geregelt hatte. Er schrieb, er hoffe in allen Dingen in des Markgrafen Sinne entschieden zu haben und bemerkte wie beiläufig im allerletzten Satz, dass er in Erwägung zog, sich zu vermählen. Mit Hildegard von Bevern.Hardrich starrte mit offenem Mund eine Weile auf diese Worte. Ungläubig. Las erneut. Und konnte es doch nicht fassen.
„Was zum Teufel soll das denn plötzlich?", brummte er verwirrt.
Mit einem verächtlichen Schnauben warf er das Pergament auf den transportablen Reisetisch zu den anderen Schriftstücken und Karten, die dort lagen und öffnete das Schreiben seines Schwiegervaters.
Er machte es sich auf seinem lederbespannten Faltsessel bequem, legte die Füße hoch und las in Ruhe dessen wohl ausformulierten Bericht zu den Tagesgeschäften in der Burg. Dort stand offensichtlich alles zum Besten.
Es war ein Segen, dass er Reno von Trettin hatte, ging ihm durch den Kopf. Sicher hatte es auch Meinungsverschiedenheiten zwischen ihnen gegeben, aber er war stets ein verlässlicher Verbündeter gewesen. Eigentlich sogar ein väterlicher Freund inzwischen. Jemand, mit dem man sich auch über Privates, wie die Vormundschaft hatte beraten können. Und er war jetzt für Gertraud da. Ein Gefühl der tiefempfundenen Dankbarkeit überkam ihn mit einem Mal und er wünschte, es gäbe eine Möglichkeit dem Alten dies noch einmal ausdrücklich wissen zu lassen. Er seufzte.
Dann griff er zu Gertrauds Schreiben. Er drehte den kleinen Packen erst einige Male in Händen, las noch einmal seinen Namen in ihrer klaren, sorgfältigen Handschrift und fuhr mit dem Daumen über das rotglänzende Siegel, das sie mit ihrem Ring gezeichnet hatte.
Der Ring. Mit dem Wappen seiner Familie. Sie war vor ehrfürchtiger Freude fast zersprungen, als er ihr ihn überreicht hatte und er freute sich jedes Mal, wenn er sie damit sah. Noch einmal strich er darüber. Über das vertraute Bildnis. Bär und Lilie.
Dann brach er es auf, fühlte das Splittern des spröden Lackes und faltete das erste Blatt langsam auseinander.
„Mein geliebter Hardrich, mein Herz..."
Aufstöhnend hielt er inne, das Blatt an seine Brust gepresst und vermochte für den Moment nicht weiter zu lesen. Großer Gott! Er vermisste sie so sehr. dass es schmerzte.
Erst nachdem er ein paar Mal tief durchgeatmet hatte, hob er die Seite wieder vor Augen und las weiter. Lächelte versonnen. Lachte auf, als sie ihm von ihrem Wutanfall berichtete. Las bis zum Schluss und stand kurz auf, um sich einen Becher Wein einzugießen. Setzte sich wieder, trank und las noch einmal.
Sie hatte bis zum Schluss Wort gehalten und ihn ihre Tränen nicht sehen lassen. Erst als er fort war, hatte sie ihrem Kummer nachgegeben. Drei Tage lang. Aber sie hatte sich ihm nicht ergeben.
Sie und ihr Vater sorgten für Ordnung und Beständigkeit in Stadt und Burg. Dasselbe hatte auch von Trettin ihm geschrieben und er war ehrlich froh darüber.
Die Schwangerschaft schritt voran und sie spürte jetzt fast täglich, wie sich das Kind in ihrem Leib bewegte. Das war so wunderbar. Und von Meez war Vater geworden. Er mochte den Mann zwar nicht besonders, aber das waren gute Nachrichten und er würde ihm nachher gratulieren. Ärgern tat er sich über von Walow. Warum zum Teufel hatte der Narr Gertraud mit seinen Alpträumen ängstigen müssen? Das war nichts, womit man eine Schwangere unterhielt. Ihr Schreiben klang zwar nicht so, als wäre sie besorgt, aber wenn sie sich wegen irgendwelcher Hirngespinste schon derart vor Sören fürchtete, was würde sie jetzt durchmachen? Wehe, wenn er je zurückkam und den elenden Jammerlappen zu packen bekam! Hoffentlich war es nicht doch ein Fehler gewesen, ihm die Vormundschaft zu übertragen. Grübelnd legte er den Kopf in den Nacken und seufzte tief.
„Ach, Frau...", murmelte er und las den Brief noch einmal.

Die Tochter des BrauersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt