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Gertraud warf noch einen letzten, sehnsüchtigen Blick die leere Straße hinunter und ließ sich schließlich, immer noch zögerlich, hinüber zu ihren bereitstehenden Pferden führen.

Schweigend ritten sie langsam mit ihrem Begleittrupp den Weg zurück, den sie vorhin gerade gekommen waren.
Vorhin. Als Hardrich noch bei ihr gewesen war. Und nun war er fort.

Und sie fürchtete, vollends den Verstand zu verlieren, wenn sie ihre Selbstbeherrschung jetzt nur ein klein wenig lockerte und diese Tatsache vollends in ihr Bewusstsein dringen ließ.
Also zwang sie sich, ihre Gedanken in eine andere Richtung wandern zu lassen.Noch war er ja nicht weit. Sie überlegte, dass sie ihr Pferd einfach wenden und hinter ihm her reiten könnte. Sie würde ihn leicht bis heute Abend einholen und sie könnten an von der Weiles Hof noch eine Nacht zusammen sein. Und könnten noch einmal reden. Über den Anhänger und von Walows Vision. Und diese vermaledeite Vormundschaft.
Ihr war klar, dass ihr Mann diese Entscheidung nicht leichtfertig getroffen hatte und sie erinnerte sich noch deutlich an ihr Gespräch darüber. Er hatte sie nach ihrer Meinung gefragt und sie hatte kategorisch abgelehnt, sich überhaupt mit diesem Gedanken zu befassen. Und daraufhin hatte er es alleine entschieden, obwohl ihm die Vorstellung, von Walow an seiner Stelle zu sehen, ganz sicher nicht behagte.
Wie nähme Hardrich es wohl auf, wenn sie ihm tatsächlich nachritt, überlegte sie weiter. Sie war sich ziemlich sicher, dass er sich nicht darüber freuen würde, wenn sie überraschend dort in der Herrenrunde auftauchte. Außerdem war ihr klar, dass ein solch langer Ritt ihr und dem Kind womöglich nicht gut bekäme und Hardrich äußerst ungehalten wäre, wenn sie dies Risiko einging. Vielleicht wäre er sogar so zornig, sie auf der Stelle wieder zurückschicken. Dann würden sie sich im Streit trennen.
Nein, sie musste sich den Gedanken aus dem Kopf schlagen. Es würde lediglich ihrer beider Abschiedsschmerz in die Länge ziehen. Sie seufzte.

Die Straßen waren jetzt fast leer, denn das meiste Volk hatte sich inzwischen verlaufen und die Schaulustigen waren längst in ihre Stuben zurückgekehrt. An der letzten Biegung vor der Burg standen allerdings noch einige Leute und als sie sich näherten, erkannte Gertraud, dass es Hauptmann Jost, seine Frau und seine drei Kinder waren.
Jost machte den Männern ihres Begleitschutzes, die ihn ja kannten, ein Zeichen und trat auf die Markgräfin zu. Gertraud zügelte ihre Stute und wartete, dass er herankam.
Von Walow machte Anstalten, dazwischenzugehen, aber sie winkte stirnrunzelnd ab und sagte ungehalten:
„Hauptmann Jost genießt mein volles Vertrauen, Herr von Walow."
„Nun gut", erwiderte dieser, kam aber nichtsdestotrotz näher heran und hielt sich neben der Markgräfin, die Hand an seiner Waffe.
Kati Jost und die beiden Mädchen hielten sich im Hintergrund und knicksten artig. Der Hauptmann kam mit seinem kleinen Sohn an der Hand zu ihr und beide verbeugten sich tief.
Caspar Jost grüßte die Markgräfin höflich und diese sagte lächelnd:
„Es freut mich sehr, Euch wieder wohlauf zu sehen, Hauptmann."
„Ich habe Euch für so vieles zu danken, Frau von Aven. Das wollten meine Familie und ich Euch noch einmal von Angesicht zu Angesicht sagen. Danke. Ich stünde heute nicht hier, ohne Euch."
Gertraud warf Kati Jost einen kurzen Blick zu und die Frau errötete heftig und sah beschämt zu Boden.
Der Hauptmann fuhr fort:
„Ihr wisst vielleicht, dass ich den Nachtrupp in drei Wochen anführe und ich wollte Euch anbieten, eine Nachricht von Euch dem Herrn von Aven persönlich zu überbringen, solltet Ihr das wünschen."
„Oh, das wäre wunderbar! Das Angebot nehme ich gerne an, Hauptmann. Kommt bitte am Vorabend Eurer Abreise zu mir. Dann übergebe ich Euch ein Schreiben an meinen Mann", antwortete Gertraud erfreut.
Die Aussicht, Hardrich doch noch einige ihrer Gedanken wissen zu lassen, munterte sie ein wenig auf. An diese Möglichkeit hatte sie gar nicht gedacht.
Sie bedankte sich bei Jost und sie setzten ihren Weg nach Hause fort. Familie von Echtern und die junge Frau von Meez hatte ihren Heimweg bereits angetreten, als sie ankamen. Und auch Ludiwika wartete mit bepackten Pferden und der kleinen Begleitmannschaft im Hof auf ihren Bruder.
So verabschiedete sich Rudolf von Walow, bevor man noch abgesessen war. Sein temperamentvolles Pferd tänzelte unruhig, während er sich galant im Sattel verbeugte. Gertraud konnte nicht umhin, zuzugeben, dass der Mann immer noch ganz genau wusste, sich vorteilhaft in Szene zu setzen.
„Ich wünsche ein gute Heimreise und mögen Euch die furchtbaren Träume fürderhin erspart bleiben", sagte die Markgräfin zum Abschied.
Der Edelmann grinste, ritt dicht an sie heran und raunte mit einem tiefen Blick in ihre Augen:
„Vielleicht solltet Ihr das lieber nicht wünschen. Wer weiß, ob ich nicht in alte Gewohnheiten zurückfalle, wenn die Träume ausbleiben."
Gertraud, nun doch leicht erbost über seine aufkeimende Dreistigkeit, erwiderte mit recht deutlicher Schärfe:
„Wisst Ihr, was Euch fehlt? Eine Ehefrau. Eine, die Euch Eure Grenzen aufzeigt! Ich würde Euch ja die liebe Hildegard ans Herz legen, aber ich bin mir nicht sicher, ob sie in ihrem jugendlichen Alter bereits resolut genug ist, Euch in Eure Schranken zu weisen."
Von Walow lachte.
Ein unwiderstehlich anziehendes Lachen, dem Gertraud sich nur schwer zu entziehen vermochte. Der Mann war attraktiv. Und er wusste es.
„Hildegard von Bevern meint Ihr? Mmh. Hübsches Kind...", erwiderte er leichthin.
Er sah sie herausfordernd an und fragte:
„Ihr wollt also, dass ich mich verheirate? Und Euch damit der entfernten Möglichkeit beraube, eines Tage selber diejenige zu sein, die ich zum Altar führe?"
„Genau das will ich."
„Das bricht mir das Herz, hohe Frau."
„Das wird es nicht."
„Wie könnt Ihr da so sicher sein?"
„Nur wer wirklich liebt, dem kann das Herz brechen."
„Und Ihr glaubt, ich liebe nicht?"
„So ist es. Und das tut mir ehrlich leid für Euch. Denn ich wünsche jedem, auch Euch, dass er für sich die wahre Liebe finden möge. So wie ich sie in meinem Gemahl gefunden habe."
Rudolf von Walow war für den Moment um eine Antwort verlegen.
Doch dann warf er ihr ein ungemein gewinnendes Lächeln zu und sagte mit einer Verbeugung:
„Ich werde Euren Wunsch erwägen, Frau von Aven. Allein ich glaube, ich habe gerade begonnen zu begreifen, was die Dichter in ihren Minneliedern beschwören."
Damit riss er sein Pferd herum, bevor sie noch etwas erwidern konnte und ritt rasch in Richtung Tor, wo seine Schwester mit seinen Männern wartete. Ludiwika hob noch einmal die Hand zu Gruß und die kleine Reisegesellschaft brach endgültig auf.
Die Markgräfin und ihr Ziehvater sahen die Geschwister davonreiten und von Trettin meinte kopfschüttelnd:
„Na, hoffentlich haben wir nicht doch den Bock zum Gärtner gemacht."
Sie gingen hinein. Rupert erwartete sie bereits und bat zu Tisch. Gertraud hätte sich einerseits am liebsten sofort zurückgezogen, andererseits fürchtete sie sich davor, plötzlich ohne Ablenkung irgendwo alleine dazustehen.
So willigte sie trotz ihrer Zerschlagenheit ein, etwas zu essen, obwohl sie keinerlei Appetit verspürte. Im kleinen Speisesaal war für sie und von Trettin gedeckt und Rupert bediente sie beide. Von Trettin erzählte Rupert vom Verlauf des Vormittags und die beiden waren bald in ein Gespräch über von Walow vertieft.
„Und dabei ist er so ein Hübscher...", sagte Rupert gerade und grinste breit, als von Trettin ihm daraufhin einen vorwurfsvollen Blick zuwarf.
Doch Gertraud konnte ihren Worten kaum folgen. Sie starrte auf Hardrichs leeren Stuhl am Kopfende des Tisches und plötzlich brach die gesamte, aufgestaute Verzweiflung aus ihr heraus und über ihr zusammen.
Heiße Tränen liefen ihr die Wangen hinab und sie schluchzte so heftig, dass sie kaum zu Atem kam. Die beiden Männer erschraken und versuchten, sie nach besten Kräften zu trösten und wieder aufzurichten.

Die Tochter des BrauersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt