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(Eines meiner Lieblingskapitel... Viel Vergnügen!)


In dem niedrigen, langgestreckten Gewölbe im Keller der Burg, der dem Gesinde und den Wachmannschaften als Speisesaal diente, war gerade die Abendmahlzeit ausgeteilt worden. Über die gedämpften Gespräche und das Klappern des Geschirres hinweg, lauschte Lienhard angestrengt den Worten am Nebentisch.
Dort saßen zwei der Soldaten, die, wie er wusste, vorhin mit bei der Beratung mit den Dänen im großen Saal gewesen waren. Man hatte die dänischen Verbündeten über den Tod den kumanischen Herrschers unterrichtet und de Allinge war daraufhin umgehend mit seinen Leuten in der Burg erschienen. Lange hatten die drei Heerführer mit den Nordländern beraten und Lienhard war, genau wie alle anderen, höchst gespannt darauf, zu erfahren, wie es nun weitergehen sollte.
Mit gespitzten Ohren saß er da und bemühte sich, so unauffällig und so viel wie möglich von der Unterhaltung neben sich aufzuschnappen. Seine linke Hand lag dick verbunden in seinem Schoß und schmerzte stechend, aber im Moment war der Junge derart in sein Lauschen vertieft, dass er es kaum wahrnahm.
Er bemerkte auch nicht, dass er über den weiten Raum hinweg selber ausgespäht wurde. Onjuks tiefschwarze Augen waren auf ihn geheftet. Dieser saß allein am Tisch.
Seit der Mordnacht mieden ihn seine ehemaligen Kameraden. Ganz so, als übertrüge sich das Unheil, das ihn getroffen hatte, auch auf andere.
Äußerlich völlig ruhig, verrieten nur seine rastlosen Finger, die unaufhörlich den Tonbecher in seinen Händen drehten, den nagenden Ärger, der in ihm brodelte.
Es war derart offensichtlich, dass der Junge spionierte und niemandem fiel es auf! Niemanden schien es zu kümmern! Der Pferdeknecht saß doch nicht zufällig genau dort, dachte der ehemalige Offizier zähneknirschend und stellte den Becher heftig zurück auf den Tisch.
Hochkonzentriert horchend ließ Lienhard den Blick durch den Saal schweifen und Onjuk senkte rasch den Kopf.
Dann steckte er seinen Löffel ein, stand auf und trug Schüssel und Becher hinüber zum Geschirrkorb, ohne noch einmal in Lienhards Richtung zu schauen. Er hatte genug gesehen. Er wusste, irgendwann in nächster Zeit würde der Junge die Burg verlassen müssen, um dem Frettchen Bericht zu erstatten. Und der Wolf würde bereit sein.

Vom Kloster aus, wo Lienhards Hand versorgt worden war, hatte sich die Kunde von der Flucht der Markgräfin in Windeseile in der ganzen Stadt verbreitet. Die Nachricht flog von Mund zu Mund und von Tür zu Tür.
Josef, der von Wichard zum Apotheker geschickt worden war, hatte heute kaum die Stadtgrenze überschritten, als ihn ein befreundeter Handwerker heranwinkte und ihm die unglaublichen Neuigkeiten zuraunte.
Von Dührings Knecht gab sich geflissentlich überrascht und fragte nach. Zwei Passanten kamen noch dazu und Josef erfuhr brühwarm das Neueste, das man vom Hörensagen wusste.
Schließlich verabschiedete er sich, beeilte sich mit seiner Besorgung und ritt im scharfen Trab zurück zum Gut. Dort stieg er rasch ab. Während er mit der Rechten die Stute hielt, schob er mit der Linken die Stalltür auf, griff sich die Hacke, die über einem dicken Haken an der Wand hing und klemmte diese unter den offenen Türflügel. Eigentlich hatte das Gartengerät hier am Pferdestall nichts zu suchen. Aber Josef hatte sich diesen Kniff erdacht, damit er die Pferde hinein und hinausführen konnte, ohne dass ihm die ständig zufallende Tür in die Quere kam. Jedes Mal wieder war er froh, diesen Einfall gehabt zu haben. So konnte er das Pferd sicher mit einer Hand halten und musste sich nicht einmal bücken, um die Tür festzukeilen. Er sattelte in aller Eile ab und machte sich auf den Weg zum Gutshaus.
Kaum hatte er den Stall verlassen, als sich schon die Haustür öffnete und ihm von Dühring mit ernster Miene entgegen kam.
„Und?", fragte dieser knapp.
„Er ist schon rum, Herr! Ich war noch nicht mal bis Ullmanns, da hält Bertolt mich an und erzählt's mir. Die Markgräfin ist geflohen und den Ketzer ihr'n Fürst hat's erwischt. So geht's in der Stadt rauf und runter", berichtete Josef mit einem durchaus zufriedenen Grinsen.
Die Männer gingen hinein und von Dühring ließ sich noch einmal in Ruhe und in allen Einzelheiten erzählen, was er gehört hatte.
„Die Hand? Sie haben dem Jungen die Hand abgehakt?", fragte der Hauptmann entsetzt und seine Gedanken begannen zu rasen.
„So haben sie gesagt. Ein Junge ist mit verstümmelter Hand ins Kloster gekommen. Albertinus selbst hat ihm die Wunde versorgt. Und der Junge hat's als erster 'rum erzählt. Inzwischen hab'n's aber noch zwei Mägde gesagt. Und die Dänen sind gestern wie die Teufel durch die Stadt und hinauf zur Burg geritten. Alle sind sich sicher, dass was dran ist an den Gerüchten", wiederholte Josef das Gehörte.
Wichard ächzte laut und warf mit geballten Fäusten einen kurzen Blick aus dem Fenster. Fast erwartete er, in der Ferne Truppen aufziehen zu sehen. Doch draußen erstreckten sich die öden, schneebedeckten Felder menschenleer soweit das Auge reichte und er zwang sich zur Ruhe.
Hätte man Lienhard tatsächlich gefoltert und dieser daraufhin ihr Versteck preisgegeben, wären gestern schon Soldaten hier gewesen. Außerdem wäre der Junge wohl kaum einfach zum Kloster spaziert, um sich dort behandeln zu lassen. Es musste irgendeine andere Bewandtnis mit dieser Verstümmelung haben. Wenn es sich bei dem Verletzten überhaupt um Lienhard handelte.
Trotzdem war Wichard zutiefst beunruhigt und bereute einmal mehr, Lienhard nicht gezwungen zu haben, mit ihnen zu fliehen. Wenn sie wenigstens ein Treffen fernab des Gutes ausgemacht hätten! Doch auch daran hatten sie nicht gedacht, als sie sich trennten.
Jetzt blieb nur banges Warten. Wie auf heißen Kohlen würde er ausharren müssen, bis der Junge, wie abgesprochen, kommen und berichten wollte. Wenn er denn überhaupt kommen konnte.

Die Tochter des BrauersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt