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Selbst Hardrich, der sich wahrlich schwer damit tat, zu erkennen, was hinter der Stirn anderer Menschen vor sich ging, konnte sehen, wie sehr, die Erwähnung der Kumanen dem Bader zusetzte. Lange hatte auch der unter deren Joch gelitten und düsteren Erinnerungen drängten auf ihn ein. Hassan schluckte und rieb sich fahrig das Kinn.

Jemand rief ihm vom Badehaus aus etwas zu.

„Die ersten Gäste... Ich muss los. Aber ich hör mich um", versprach er und erhob sich schwerfällig.

Damit ging er an seine tägliche Arbeit und der Herr der Ostmark blieb im Schatten sitzend zurück.

Er hatte es bequem, er war einigermaßen satt und sogar ärztlich versorgt und doch war es ihm fast unerträglich, hier hilflos und zum Stillsitzen verdammt, auszuharren, derweil seine Gedanken wieder und immer wieder um die gleichen quälenden Fragen kreisten.

Was war mit Gertraud geschehen?

Lebte sie? Wo war sie nur? Und wo war sein Kind? Ging es ihnen gut? Oder hatte man sie gefangen genommen? Womöglich als Geisel im Verlies seines eigenen Zuhauses, der Burg seiner Familie?

Die Vorstellung, was ihr als Frau geschehen sein konnte, brachte sein Blut zum Kochen und in seinem Kopf, irgendwo hinter seinem Auge, begann es schmerzhaft zu stechen. Sein verdammter Schädel!

Zu einem weiteren Hirnschlag durfte er es jetzt auf keinen Fall kommen lassen und er zwang seine Gedanken verbissen in eine andere Richtung.

Stattdessen grübelte er, was er täte, wenn er den Schuldigen, dieses verräterische Schwein, in die Finger bekam. War es überhaupt möglich, dass er auf Gottes weiter Erde eine Strafe fand, die ihm Rache genug war?

Abwechselnd verging er so vor zermürbender Sorge und brennendem Zorn.

Er musste zurück. Und das dringend. Nie war seine Gegenwart dort wichtiger gewesen.

Und gerade jetzt weigerte sich sein Körper, ihm zu gehorchen. Sein eigener Leib! Seine Muskeln und Knochen, sein Fleisch und Blut. Sie verweigerten ihm den Dienst. Und diese verstörende Tatsache brachte ein lange überwunden geglaubtes Gefühl aus Kindertagen zurück. Ein Gefühl der Ohnmacht und des Ausgeliefertseins. Schmerzliche Empfindungen, die er nie wieder hatte fühlen wollen und die ihn zutiefst trafen.

Seit er denken konnte, hatte er sich auf seine Körperkraft verlassen können. Stets war er der größte, der stärkste und, mit nur wenigen Ausnahmen, der mächtigste Mann im Umkreis gewesen. Nur vor Königen, Kaisern und vor seinem Gott hatte er das Knie gebeugt. Und jetzt vermochte er nicht einmal einen Löffel zum Mund zu führen. Er konnte weder gehen, noch stehen. Ganz zu schweigen davon, mit gewohnter Härte und Präzision ein Schwert zu führen. Und das ihm! Dem geachteten und gefürchteten Krieger.

So viele schwere Wunden und Verletzungen hatte dieser Körper überstanden, so viel Schmerzen erduldet. Aber wenn er hiervon nicht gesundete, war es besser, er starb, dachte er verzweifelnd. Unmöglich würde er ertragen, hilflos mitanzusehen, wie all das litt und zugrunde ging, was er liebte und wertschätzte. Seine Heimat. Das Erbe seiner Väter.

Vor allem aber seine Frau. Dieser eine Mensch, der ihm das Wichtigste im Leben war.

Würde er je wieder genesen und sein, wer er vormals war? Wieso dauerte es Wochen, bis sich herausstellte, was mit ihm geschah? Was genau mochte der Arzt gesagt haben?

All dies schwappte hin und her in seinem Kopf. Vor und zurück. Wieder und wieder.

Entsetzlich viele qualvolle, drängende Fragen. Und keine Antworten. Stöhnend legte er den Kopf an die Wand in seinem Rücken. Äußerlich unbewegt, doch innerlich schreiend.

Die Tochter des BrauersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt