Doch die Lanze, die auf Wichards Brustbein gezielt war und der er auch nicht ausweichen konnte, da er im linken Steigbügel keinen Halt mehr fand, schwenkte im letzten Augenblick zur Seite und verfehlte ihn. Seine eigene Waffe dagegen, die mehr oder weniger ziellos hin und her tanzte, streifte von Echterns Schulter. Seitlich fiel dieser vom Pferd und rollte sich geschickt ab.
Wichard wendete ungläubig am Ende der Bahn. Er hatte ihn kaum berührt.
Sein Gegner war auch schon wieder auf den Füßen, öffnete den Helm und verneigte sich vor seinem herankommenden Herrn. Er lächelte ihn an und Wichard wurde klar, dass er sich absichtlich hatte fallen lassen, um dem Mann in der Rüstung des Markgrafen den letzten Kampf zu überlassen.
Wichard kehrte zum Zelt zurück und kam gerade noch heil vom Pferd herunter. Ohne den Halt im Bügel hätte er fast das Gleichgewicht verloren. Beschämt und noch ganz in Gedanken betrat er das Zelt und riss sich den Helm vom Kopf. Erstaunt blickte er sich um, als er Hardrich nirgends entdecken konnte. Im nächsten Augenblick fühlte er sich von hinten gepackt und eine Hand riss sein Kinn zur Seite.
"Her mit der Rüstung, sonst breche ich dir das Genick!", knurrte der Ritter ihm ins Ohr.
"Ja, Herr. Gerne", ächzte Wichard erleichtert.
Und während auf dem Platz ein Sänger noch einmal das Publikum unterhielt, legte Wichard rasch den schweren Panzer ab.
Er besah die Verletzung an seiner Hüfte, die blutunterlaufen war und Hardrich fragte:
"Simon?"
"Ja. Er ist gut, der Junge", antwortete Wichard und fügte hinzu: "Ich hatte übrigens den Eindruck, dass sein Vater uns den Sieg eben geschenkt hat. Ich habe ihn mit der Lanze kaum berührt."
"Ich hab's gesehen. Das war offensichtlich", brummte Hardrich ärgerlich und wies mit dem Kopf auf einen kleinen Spalt in einer der Zeltbahnen.
"Und da ist noch etwas, was Ihr wissen solltet, Herr...", begann Wichard.
"Na?", fragte Hardrich, der sich eilig rüstete.
"Vor dem ersten Kampf heute. Gegen von Treptow. Nun ja ... Eure Rüstung ist mir ein gut Stück zu groß und der Handschuh verrutschte... Und beim Gruß ist mir die Lanze aus der Hand gefallen", beichtete er verlegen.
Hardrich, der auf einem Schemel saß und das Fußzeug fest schnürte, stieß einen Seufzer aus, funkelte Wichard zornig an und knurrte:
"Vortrefflich! Ärger hätte ich mich wahrlich selber nicht blamieren können! Sonst noch was?"
"Nein, Herr. Ich denke nicht", sagte Wichard nachdenklich, während er seinen eigenen Lederharnisch anlegte.
"Das reicht auch", brummte der Ritter und machte ihm ein Zeichen, sich umzudrehen.
Dann wechselte er den Helm und stand auf. Sein Kopf schmerzte noch immer, aber sein Blick war wieder klar.
Wichard sah ihn fragend an. Hardrich reckte sich und legte den Kopf schief.
"Es muss gehen", murmelte er.
Wichard reichte ihm das Turnierschwert, doch der Ritter schüttelte den Kopf und hob seine eigene, scharfgeschliffene Waffe in die Höhe.
"Keine halben Sachen mehr. Diesmal werde ich ihm das Fell abziehen. Bleib Du noch eine Weile hier. Wenn der Kampf begonnen hat, gehst Du zurück zur Tribüne. Ach, und Wichard... Ich danke Dir", brummte der Markgraf, bevor er mit geschlossenem Visier das Zelt verließ, ohne eine Antwort seines Gefolgsmanns abzuwarten.
Dieser sank erschöpft auf einen Schemel nieder und ließ den Kopf hängen.Auf dem Platz zeigte gerade noch ein Trupp Artisten sein Können und Hardrich stellte sich, wie vorher Wichard, neben das Zelt und sah zu von Walow hinüber, der ebenfalls ruhig vor seinem Lager stand und das Spektakel betrachtete.
Verdutzt bemerkte Hardrich, dass Till plötzlich neben ihm auftauchte und sich lässig auf die Treppe lehnte.
Auch er sah zu von Walow hinüber und sagte:
"Der Bastard! Der Teufel soll ihn holen! Gebe Gott Euch genug Kraft, ihm die Hoffart auszutreiben!"
Hardrich traute seinen Ohren nicht. Er war so erstaunt, dass ihm erst langsam klar wurde, dass Till anscheinend annahm, Wichard vor sich zu haben. Seine erste Reaktion war Ärger darüber, dass der Junge überhaupt von dem Tausch wusste. Innerlich verfluchte er sich dafür, seine Zustimmung zu diesem Unterfangen gegeben zu haben.
Doch dann sah er zur Tribüne hinüber und sagte leise zu Till gewandt:
"Und? Glaubst du, dass ich ihn schlagen kann?"
"Na ja, wenn ich ehrlich bin, Herr... Es wird schwer werden. Der Hundesohn ist ganz versessen auf den Sieg. Und er ist verdammt schnell. Vielleicht, wenn Ihr ihn am Schildarm treffen könntet, dort wo von Meez' Lanze ihn vorhin getroffen hat. Wenn nur der Ritter wohlauf wäre! Der würde ihn schon das Fürchten lehren, verdammt!", erwiderte Till hitzig und ballte die Fäuste.
Amüsiert über diese offenen Worte, musste Hardrich unter seinem Helm schmunzeln.
"Zieh die Schulterriemen noch einmal nach", befahl er.
"Ja, Herr."
Der Junge sprang sofort heran und machte sich an der Rüstung zu schaffen.
Lachend meinte er:
"Sieht aus, als seid Ihr in den Harnisch hineingewachsen. Er scheint ja mit einem Mal wie angegossen zu pass... "
Er verstummte und das Lachen erstarb ihm auf den Lippen. Langsam drehte sich Hardrich um und stellte das Visier auf. Mit ungerührtem Blick starrte er den entsetzten Jungen an, der vor Schreck wie versteinert vor ihm stand.
"Na, was ist? Hast du geträumt, Bursche?", fragte der Ritter schließlich und vermochte sich ein leichtes Grinsen nicht zu verbeißen.
"Herr ... . Ja, Herr!", beeilte sich Till mit hochrotem Kopf zu versichern.
Und als er den Markgrafen weiter ohne Groll sah, wagte er ein scheues Lächeln und bat:
"Gebt ihm von mir noch einen mit!"
Hardrich nickte und schlug ihm krachend auf die Schulter.
Die Artisten beendeten ihre Vorstellung, verbeugten sich und verließen den Platz. Gespannte Ruhe kehrte ein. Nur der Wind war zu hören, der dünne Wolkenfetzen über den tiefblauen Himmel hetzte.
Hardrich trat einen Schritt vor, wandte sich seinem Widersacher zu und stieß sein Schwert, das Schwert seiner Väter, in die Luft. Ein erschrockenes Raunen lief durch die Menge. Gertraud war blass geworden.
Sie umklammerte die Lehnen ihres Stuhls und fragte von Trettin:
"Was hat das zu bedeuten?"
"Mit dieser Geste", antwortete von Trettin gedehnt, "fordert er von Walow zu einem Kampf auf Leben und Tod heraus. Er muss nicht annehmen, aber ich vermute, er ist närrisch genug, es zu tun."
Alles wartete gebannt, wie der Herausgeforderte reagieren würde. Dieser zögerte einen kurzen Moment, reichte dann das stumpfe Turnierschwert, das er bereits in der Hand gehalten hatte, seinem Knappen. Der Bedienstete lief und brachte die verzierte Klinge, die von Walow in der Schlacht zu führen pflegte. Dieser stieß auch sein Schwert gen Himmel und nahm so die Herausforderung an.
Die beiden Männer machten sich zum Kampfplatz auf, während Gertraud sich wortlos erhob und an die Brüstung der Tribüne vorging. Ihr war übel vor Anspannung.
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Die Tochter des Brauers
Fiction Historique"Ihr glaubt wirklich, Eure Küche hätte Zugang zum Baum der Erkenntnis?" "Gut pariert, Frau!", lachte er. Sie bewarf ihn mit dem Apfel, er fing ihn auf, zögerte noch einen Moment und biss hinein. Ein mittelalterlicher Roman. Um? Nun ja. Die Tochte...