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Bis spät in die Nacht hinein besprachen sie sich. Hardrich wurde immer blasser und schüttelte wieder und wieder ungläubig den Kopf.
„Ich kann doch nicht die Weisung meines Königs missachten. Ich habe einen Eid geschworen! Wenn er das wirklich von mir erwartet, hätte er es mir selber so sagen müssen", murmelte er.
Gertraud seufzte.
„Wer ist denn dieser Gotthilf von Trebur eigentlich?", fragte sie.
Hardrich zuckte mit den Schultern.
„Der König und er sind befreundet, seit ich denken kann. Vater und sie beide waren ungefähr ein Jahrgang. Vater mochte ihn nicht, weil er diese Verbindung zum Königshaus ewig hat raushängen lassen. Mich hat er aber immer in Ruhe gelassen. Ich hatte nie wirklich mit ihm zu tun und im Felde habe ich ihn nie erlebt. Einmal hat er sich anerkennend über meine Schwertführung geäußert. Das weiß ich noch. Mehr kann ich Dir gar nicht sagen über ihn", antwortete ihr Mann.
„Aber die Frage ist doch: Kann er diesen Kreuzzug erfolgreich anführen?", beharrte sie weiter.
„Was weiß ich!", brauste der Ritter auf, „Großer Gott, Frau! Könnte ich es denn? Ich weiß, was meine eigenen Leute können und was nicht! Und ich versuche immer, irgendwie das Beste aus einer Lage für unsere Seite herauszuholen. Das hat auch bisher mit Gottes Hilfe meist gut geklappt. Aber eine solch gewaltige Streitmacht? Nicht Dutzende oder Hunderte, sondern Tausende? Darunter fremde, erfahrene Hauptmänner, die doppelt so alt sind wie ich! Die vielleicht schon im heiligen Land gewesen sind? Denen soll ich was befehlen? Dazu Hitze. Fremdartige Krankheiten. Hunger und Durst! Alles Dinge, mit denen ich hierzulande nie zu kämpfen hatte. Ich kann das nicht leisten. Und ich will es auch nicht! Und mir stellt sich nicht die Frage, ob Gotthilf es kann. Ich muss nur wissen, was genau mein König von mir verlangt", knurrte er.
„Und wenn Du ihn einfach morgen noch einmal daraufhin ansprichst?", schlug sie vor.
„Soll ich zu meinem König gehen und sagen: „Ihr habt mir zwar gesagt, was ich tun soll, aber könnte es nicht sein, dass Ihr etwas anderes gemeint habt?" Frau! Das kann ich nicht tun! Soll er an meiner Eignung als Lehnsmann zweifeln? Ich möchte nicht eines Tages aufwachen und nach von Walows Pfeife tanzen müssen", ächzte er, nahm seine Kappe ab und hielt sich den Kopf.
Gertraud wollte noch etwas fragen, aber Hardrich sah so elend aus, dass es ihr einen Stich versetzte. Die Last der großen Verantwortung, die er als Markgraf sowieso schon ständig schulterte, war heute Abend um ein vielfaches erhöht worden.
Er tat ihr furchtbar leid.
„Lass uns erst einmal darüber schlafen, mein Herz. Heute Nacht erwartet niemand noch irgendetwas von Dir. Selbst Deine lüsterne Frau wird sich zurücknehmen", sagte sie mit einem Schmunzeln.
Er lachte kurz auf. Wortlos lehnte er mit einem tiefen Seufzen seinen Kopf an ihre Schulter und sie spürte, dass er froh war, jetzt nicht alleine zu sein. Sie umarmte ihn und küsste zärtlich seinen kahlen Schädel. Dann zog sie ihn entschlossen auf die Füße und schob ihn Richtung Schlafgemach.

In dieser Nacht tobten Schmerzen in Hardrichs Kopf, wie er sie lange nicht mehr hatte ertragen müssen. Er musste sich mehrmals erbrechen und fiel erst im Morgengrauen vollkommen erschöpft in ihrem Arm in Schlaf.
Nach dieser schlimmen Nacht war er erst gegen Mittag des nächsten Tages soweit, dass sie aufbrechen konnte. Er fühlte sich wie gerädert. Till und die Männer ihres Begleitschutzes warfen nur einem kurzen Blick auf ihren Herrn, zogen die Köpfe ein und waren den Rest des Tages sehr darauf bedacht, ihn nicht mit einem falschen Wort oder einem zu lauten Lachen gegen sich aufzubringen.
Gertraud stand unter einem Torbogen am Randes der Stallungen und wartete, dass Wagen und Pferde für die Abreise fertig bepackt waren. Sie sah Hardrich, blass und übernächtigt und immer noch mit einen Arm in der Schlinge, mühsam aufsitzen.
Es goss wie aus Kübeln.
Schließlich war es soweit. Till öffnete ihr den Wagenschlag und winkte sie mit einer Verbeugung heran. Gertraud raffte ihre Röcke, zog ihren Mantel eng um sich und beeilte sich mit ihrem Korb und der Schultertasche über das Pfützen übersäte Kopfsteinpflaster des Hofes in den bereitstehenden Wagen zu gelangen. Sie sprang hinein und zog das Türchen rasch hinter sich zu. Schon nach diesen wenigen Schritten hatte sich ihr kostbarer Mantel mit Wasser vollgesogen und ihre Schuhe waren klitschnass. Die Männer draußen mussten bereits jetzt bis auf die Haut durchnässt sein, dachte sie mitleidig.
Schon im nächsten Moment ruckte der Wagen heftig an und sie fasste rasch nach ihrem Korb, bevor sich dessen Inhalt im düsteren Innern des klobigen Gefährts verteilte.
So rumpelte der Wagen vom Hof und durch die kleinen Sehschlitze sah Gertraud das Tor und die letzten Gebäude der Anlage im Regenschleier hinter ihnen verschwinden. Den Korb im Arm saß sie dann dort auf die harte Sitzbank gekauert, immer in Erwartung der nächsten harten Erschütterung.
Ihre Gedanken wanderten zurück zu einer merkwürdigen Begebenheit heute Vormittag.
Das fremde Ehepaar, das seine Räume im Gästetrakt neben ihren gehabt hatte, hatte sich vorhin fast überschlagen, sie freundlich zu verabschieden. Und das nachdem sie sie während ihres gesamten vorherigen Aufenthaltes kaum eines Blickes gewürdigt hatten. Der Mann war ein gutes Stück älter als Hardrich und die Frau etwas jünger als sie selber, beide recht beleibt. Hardrich kannte den Mann nur vom Sehen. Er hatte irgendwas vom Bruder eines der Lehensmänner gemurmelt, aber ein Name war ihm nicht eingefallen.
Bei ihrem allerersten Aufeinandertreffen hatte Gertraud noch versucht, ein freundliches Gespräch mit der Dame zu führen, aber diese hatte sie abschätzig betrachtet und kalt auflaufen lassen. Danach hatten sie sich gegenseitig gemieden. Heute morgen aber war ihr Gebaren ein völlig anderes gewesen.
Es musste mit der Aufgabe zusammenhängen, die die Königin Hardrich zugedacht hatte, war sie inzwischen überzeugt. Vermutlich war auch diese Dame eingeweiht worden. Und wie hatte Maria gesagt? Der Stern ihres Gatten war am steigen? Wahrscheinlich hielten diese beiden es nun für ratsam und geboten, sich mit dem unheimlichen, jungen Mann, der zu so Großem berufen war, gut zu stellen. Und mit seiner Frau auch.
Hardrich persönlich hatten sie verpasst und Gertraud dachte, dass das wohl auch das Beste war in seinem gegenwärtigem Zustand. Ihr selber allerdings schienen sie aufgelauert zu haben, denn sie stürzten aus ihrem Zimmer, als Gertraud ihres gerade verließ. Die Frau hatte ihnen überschwänglich eine gute und sichere Heimreise gewünscht und der Mann hatte ihr lange die Hand geschüttelt und sich tief verbeugt. Dann hatte die Dame ihr Kleid bewundert. Und ihren Schmuck. Und Gertraud war dermaßen verdutzt gewesen, dass sie sich freundlich für die Komplimente bedankte und die guten Wünsche für die Heimreise erwiderte.
Jetzt im Nachhinein überlegte Gertraud, ob das wirklich richtig gewesen war, aber vorhin war sie viel zu überrascht gewesen, um ihrem Gegenüber eine arrogante Retoure zu verpassen. Aber wieso sollte sie auch, dachte sie dann. Es war nicht ihre Art, Menschen schlecht zu behandeln und sie würde jetzt nicht damit anfangen. Sie hatten ihr schließlich nicht wirklich etwas Böses getan.
Sie ließ das Ganze noch einmal vor ihrem inneren Auge vorbeiziehen und musste vergnügt kichern.
Die Männer draußen hatten derweil nichts zu lachen. Sie hörte, wie Hardrich den stillen Jörgen anbrüllte, weil der die Zugtiere nicht nach seinem Gutdünken antrieb und sie verstummte erschrocken.
Jörgen lenkte den Wagen und alle wussten genau, dass wenn jemand die Pferde sicher und zügig auf dem Weg halten konnte, es Jörgen war. Denn dieser hatte ein außergewöhnliches Händchen für alles was vier Beine hatte. Und Hardrich wusste das auch.
Wie oft hatte Jörgen Hardrichs eigenes Pferd von einer Kolik oder einem vertretenen Bein kuriert. Genau wegen dieser Fertigkeiten hatte der Ritter ihn immer gerne dabei, wenn sie unterwegs waren.
Sie seufzte und beobachtete ihren Mann durch die schmalen Sehschlitze in den Seitenwänden. Es ging ihm schlecht. Das sah sie deutlich. Er schien noch immer beträchtliche Schmerzen in der Schulter zu haben, besonders jetzt beim Reiten. Sie öffnete das winzige Fenster in der Wagentür und winkte ihn heran. Doch als sie vorsichtig vorschlug, er könne doch auch im Wagen mit ihr fahren mit seiner Verletzung, hatte er eine solchen Wutanfall bekommen, dass sie sich hilflos wieder ins Wageninnere zurückzog. Bevor sie das Fensterchen wieder schloss, fing sie einen kurzen dankbaren Blick von einem der anderen Männer auf.
Nach einem halben Reisetag war auch Gertraud jämmerlich elend zumute im Halbdunkel des geschlossenen Wagens. Die beiden groben Achsen unter ihr quietschen laut und unregelmäßig und das grässliche, immer und immer wiederkehrende Geräusch ließ ihren Kopf schier bersten. Von vier stämmigen Pferden vorwärts gezerrt holperte und rutschte das ungefederte Gefährt langsam und schwankend die aufgeweichten Wege entlang. Die armen Tiere hatten sichtlich Mühe, denn nachdem sie die Hauptstadt hinter sich gelassen hatten, waren die Straßen jetzt bestenfalls noch Pfade durch das hügelige Land. Die junge Frau wurde von den heftigen Erschütterungen von einer Ecke des harten Lederpolsters in die andere geworfen. An Ruhen oder gar Schlafen war überhaupt nicht zu denken.
Draußen war es kalt und windig und seit Stunden ging ein starker Landregen nieder, der die Gegend verdüsterte, die Gertraud auf der Hinreise so wunderschön erschienen war. Als sie mittags eine kurze Rast in einem Dorf einlegten und Gertraud den Abtritt in der winzigen Schenke aufsuchte, bemerkte sie Blut an ihren Oberschenkeln.
Wieder nicht.
Sie seufzte und versuchte, sich mit dem Gedanken zu trösten, dass diese Zeit der Umbrüche gewiss nicht der beste Zeitpunkt für eine Schwangerschaft war. Hardrich hatte ihr noch nie Vorhaltungen gemacht, aber sie war sich sicher, dass auch er enttäuscht sein würde. Irgendwie hatte sie mehr als sonst gehofft, dass ihr inniges Zusammensein auf der Hinreise zu einem Kind führen würde. Einfach führen musste. Ein Kind ihrer Liebe. Das wäre so gut und richtig gewesen. Und er hätte das genauso gesehen, dachte sie.
Niedergeschlagen kehrte sie zum Wagen zurück und zog bei nächster Gelegenheit einen dunklen Rock an, damit er möglichst keine Flecken sah und nicht gleich heute davon erfuhr. Wenn es wenigstens nicht regnen würde, dachte sie verzweifelt. Dann hätte sie eine Weile im Freien auf ihrer Stute reiten können, wie auf der Herreise. Aber die Eisheiligen hatten das Land fest im Griff und Hardrich bestand darauf, dass sie im geschützten Innern des Wagens reiste. Denn zumindest trocken war es dort. Gertraud spürte, auch ihr Mann war am Ende seiner Kraft, Geduld und Nerven und sie war unendlich froh, als sie endlich ihr Tagesziel erreichten.
Sie verbrachten die Nacht in einem Kloster, das günstig am Weg lag und auf ihre drängende Bitte hin, ließ ihr Mann trotz seiner bleierner Müdigkeit den Heiler des Konvents nach seiner Schulter sehen. Der Mönch fertigte sorgfältig einen Umschlag aus schmerzlindernden Heilpflanzen an und riet außerdem dringend dazu, den Arm für die Weiterreise morgen früh wieder direkt an den Körper zu bandagieren, um ihn ruhigzustellen und die Erschütterungen des Reitens abzufangen. Hardrich nickte stumm zu allem und fiel sofort ins Bett, kaum dass der Mönch sich verabschiedet und die Tür ihrer Kammer hinter sich zugezogen hatte. Er schlief schon, während Gertraud noch leise seine nassen Kleider vor den Kamin ausbreitete.
Es war fraglich, ob sie völlig trocknen würden, aber es hatte auch keinen Sinn frische Sachen aus ihrem Vorrat in den Kisten zu holen. Bei dem Wetter wären auch diese innerhalb kürzester Zeit durchnässt. Falls sie überhaupt trocken geblieben waren in den Transportkästen und Satteltaschen.
Seufzend betrachtete Gertraud ihren Mann. Er schlief wie ein Stein. Da fiel ihr Blick auf den Branntweinschlauch, den Hardrich vorhin bei ihrer Ankunft im Kloster gekauft und um die Stuhllehne gehängt hatte, als der Heiler klopfte. Eigentlich hatte er vorgehabt seinen Männern nach dem fürchterlichen Ritt heute einen Schluck von dem weithin bekannten Kräuterschnaps auszugeben, den das Kloster hier brannte. Doch nun hatten sie beide es vergessen und wecken wollte sie ihren Mann nicht mehr.
Sie überlegte kurz, griff sich dann den Schlauch und ihren Mantel und verließ leise die Kammer. Auf dem Gang fragte sie einen Mönch, wo ihre Männer untergebracht seien und der junge Mann stellte die Eimer, die er trug, ab, griff sich rasch eine Laterne und führte sie im Nieselregen über den Hof und einen kurzen Weg entlang zu den Schuppen und Stallungen. Aus einem der großen, steinernen Gebäude hörte sie leises Lautenspiel und Gelächter. Ein schwacher Lichtschimmer fiel durch einen Türspalt ins Freie. Der Mönch, der sie geführt hatte, wies schüchtern in diese Richtung, überließ ihr mit einer Verbeugung die Laterne und hastete im Dunkeln zurück an seine Arbeit.
Gertraud lugte durch den Spalt ins Innere. Ihr Begleittrupp hatte es sich im Stroh bei den Tieren so gemütlich wie möglich gemacht, wie es schien und sie war froh, die Männer bei einigermaßen guter Laune zu finden. Sie schob das Tor auf, schlüpfte hinein und schloss die Tür rasch wieder hinter sich. Hier unter einem Dach mit ihren Pferden und den Tieren des Klosters schien es sogar wärmer zu sein, als in ihrer Kammer im Haupthaus.
Alles sprang erstaunt auf die Füße, als die Markgräfin eintrat und der Hauptmann riss sich die Mütze vom Kopf.
„Guten Abend. Mein Mann sendet Euch einen guten Schluck, um auf eine sichere Heimreise anzustoßen und die kalten Glieder durchzuwärmen", sagte sie mit einem Lächeln und zeigte den gefüllten Schlauch vor.
Die Männer freuten sich lautstark und beeilten sich, ihre Becher aus den Packen zu suchen. Gertraud hatte Schwierigkeiten, den fest sitzenden Stopfen aus dem Halsstück des Schlauches zu ziehen und der Hauptmann beeilte sich, ihr seine Hilfe anzubieten.
Er zog den Stopfen heraus, räusperte sich und sagte mit einer Verbeugung:
„Frau von Aven, bitte erweist uns die Ehre und stoßt zusammen mit uns an."
Gertraud sah in strahlende Gesichter in der Runde und willigte mit einem Nicken ein.
„Gern", erwiderte sie freundlich.
Daraufhin reichte der Hauptmann ihr seinen eigenen hübschen Zinnbecher und schenkte ihr ein. Danach füllte er reihum die Becher und nahm sich selber einen kleinen Holzbecher, den Till rasch irgendwo aufgetrieben hatte.
Als alle etwas zu Trinken hatten, hob die Markgräfin ihren Becher und sagte schmunzelnd:
„Auf das es uns allen nie schlechter gehen möge als heute Abend!"
„Und auf das Haus von Aven!", fügte der Hauptmann höflich hinzu.
Sie tranken. Der Branntwein war hochprozentig, aber seine Schärfe war durch die Kräutermixtur und etwas Honig abgemildert. Es schmeckte vorzüglich. Die Männer nickten anerkennend und genossen die Wärme, die sich in ihnen ausbreitete.
Der Hauptmann sprach sie leise noch einmal an:
„Wie geht es Eurem Mann?"
Gertraud seufzte und antwortete:
„Ich hoffe und bete, dass eine Nacht guten Schlafes und das Mittel des hiesigen Heilers bis morgen ein kleines Wunder bewirken."
Der Mann nickte und reichte ihr den Lederschlauch zurück. Gertraud nahm ihn entgehen, goss den Männern noch eine zweite Runde ein und wünschte dann allen eine gute Nacht. Die Männer bedankten sich fröhlich und hoben die Becher mit einem Trinkspruch auf sie.
Mit einem Lächeln auf den Lippen verließ sie den Stall und eilte mit dem Rest des Branntweines fröstelnd den Weg zurück ins Haupthaus. Es nieselte noch immer. Als sie die Kammer betrat und nach Hardrich sah, schlief dieser tief und sein Atem ging ruhig. Sie zog rasch ihr Kleid und die Schuhe aus und löschte die Kerzen bis auf ein Nachtlicht. Dann versuchte sie, sich so behutsam wie möglich zu ihm zu legen. Doch das Bett war schmal und Hardrich lag weit ausgestreckt in der Mitte, sodass sie ihn doch leicht berührte und er erwachte.
„Shhh... schlaf weiter", flüsterte sie.
Er sog stirnrunzelnd die Luft durch die Nase.
„Hast du getrunken?", fragte er verschlafen und nicht ohne Vorwurf in der Stimme.
Sie nickte.
„Ich war eben bei den Männern und habe ihnen vom Branntwein gegeben. Wie Du es vorhattest. Und ich wurde höflich gebeten mit ihnen anzustoßen. Und das habe ich getan."
„Ach ja? Und habt Ihr mir wenigstens etwas übriggelassen?", brummte er.
Sie sprang in ihrem Unterkleid wieder aus dem Bett und holte den Lederschlauch und einen Becher vom Tisch. Er stützte sich auf seinen gesunden Ellenbogen und sie reichte ihm den halb gefüllten kleinen Becher. Er trank einen Schluck und sie erzählte ihm von ihrem Besuch bei den Männern.
„Das hast Du gut gemacht, Frau", lobte er sie.
Er reichte ihr den leeren Becher zurück und ließ sich wieder in die Kissen sinken. Sie schenkte sich selber auch noch einen kleinen Schluck ein und genoss ihn dort auf der Bettkante sitzend.
„Wirklich gut", stellte sie fest.
Er grinste und sie war sehr erleichtert ihn so gelöst und entspannt zu sehen.
„Da muss ich wohl morgen noch einen Schlauch besorgen."
„Die Männer würde das sicher freuen", meinte sie schmunzelnd.
„Dich nicht?"
„Doch. Mich auch", gab sie zu.
Sie stellte den Becher auf den Nachtschrank und legte sich zu ihm. Er rückte ein Stück, damit sie Platz hatte und sie lehnte sich für einen Kuss zu ihm herüber.
Er sah ihr in die Augen und sagte ernst:
„Meine Königin."
Sie lächelte.
„Deine Königin wünscht, dass Du jetzt schläfst", antwortete sie dann und drückte sanft ihre Lippen auf den Verband um seine Schulter, der einen angenehmen, herben Kräuterduft verströmte.
Er seufzte ergeben und schloss die Augen. Sie hätte sich gerne an ihn gekuschelt, aber sie wollte nicht versehentlich seine Schulter falsch belasten. Außerdem hatte der Geistliche, bei dem sie im Palast die Beichte abgelegt hatte, ihr als Buße für ihre Verfehlungen Enthaltsamkeit bis zur Rückkehr in die Ostmark, fünfundzwanzig Vaterunser und die Zahlung einer nicht unbeträchtlichen Summe in die Armenkasse der Kirche auferlegt.
Das Geld hatte Gertraud aus Hardrichs lederner Geldkatze genommen, als er schlief und es ihm erst ein paar Tage später gesagt. Sie hatte befürchtet, dass er böse werden würde, aber er hatte sie nur traurig angesehen und genickt.
Nie im Leben hätte sie es früher für möglich gehalten, dass die Enthaltsamkeit ihr so furchtbar schwer werden würde.
Sie wollte jetzt auf keine Fall die vorweggenommene Absolution des Priesters gefährden, aber schon bei dem harmlosen Kuss eben hatte sie sich zusammenreißen müssen. Seine Wärme und seine Nähe waren so verlockend und er roch so gut...
Er selber schien im Augenblick keinerlei körperliches Verlangen nach ihr zu verspüren, aber vielleicht, so dachte sie im Stillen, hatte er sich nach den Ausschweifungen des Turniertages selber auch eine Weile Mäßigung verordnet. So hoffte sie zumindest. Denn ihn so völlig ohne Begehren zu sehen, ließ sie doch leicht beunruhigt zurück.
Das Bild seines nackten Oberkörpers eben bei der Untersuchung durch den Heiler, stand ihr wieder vor Augen und sie seufzte tief. Nur mit Mühe konnte sie sich davon abhalten, noch näher an ihn heranzurücken und die Hand nach ihm auszustrecken.

Die Tochter des BrauersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt