Wichard vollzog die Ehe in dieser ersten Nacht und schob entschlossen alle Zweifel beiseite. Er hatte sich für sie und das Leben hier entschieden und würde alles daran setzen, sie glücklich zu machen und auch seinen Platz hier zu finden.
Ob seine Frau in dieser allerersten Nacht wirklich Gefallen daran fand, bei ihm zu liegen, bezweifelte er ein wenig, obwohl sie immer wieder beteuerte, wie schön es für sie gewesen sei. Wichard war achtsam und liebevoll gewesen, wie er es versprochen hatte und hoffte einfach, dass, nachdem der Weg nun bereitet war, ihr Beisammensein in Zukunft auch für sie befriedigend sein würde.So begann sein Leben als verheirateter Mann und Schwiegersohn des Grafen in der Burg und auf den Gütern der Familie von Klingen.
Es war ein alteingesessenes, reiches und bodenständiges Landadelsgeschlecht, dem ausgedehnte Ländereien in dieser fruchtbaren Gegend am südlichen Ufer des Bodensees gehörten. Es gab weitläufige Obstbaumpflanzungen, Weinstöcke an den Südhängen und eine große Imkerei. Gerste wurde angebaut und Milchvieh gehalten. Hier lebte ein anpackender, erdverbundener Menschenschlag und die Gespräche unter den Besitzern der Nachbargüter beim Frühschoppen nach der Kirche drehten sich um die Kornpreise, das Wetter und die Bienenzucht. Nicht um Grenzbefestigungen, Waffen und den neuesten Klatsch aus den Kasernen.
Wichard saß ein ums andere Mal dabei und versuchte, wenigstens den Gesprächen zu folgen, wenn er schon nichts dazu beizutragen hatte. Er bemühte sich nach Kräften, doch ohne Melli, die ihm noch immer Hilfe bei der Verständigung leistete, war es ermüdend. Um nicht zu sagen, entmutigend. In seinem ersten Winter war er Gast gewesen und man hatte ihn überall höflich willkommen geheißen.
Doch das war inzwischen anders. Er war ein angeheirateter Fremder. Ein in Ungnade gefallener Söldner offenbar, der es nötig gehabt hatte, die sieche Jungfer von Klingen zu freien.
Am schlimmsten war es, dass die Fronarbeiter und Tagelöhner, die ihm unterstellt waren, ihm nur widerstrebend gehorchten. Jahrelang war man in der Ostmark eilends und ohne wenn und aber seinen Anweisungen nachgekommen. Denn hinter seinem Wort stand der Markgraf mit all seiner Macht und Strenge. Aber hier war er ein Niemand. Einer, der nichts vom Obstbaumschnitt und von der Viehzucht verstand. Und das tagtäglich zu spüren zu bekommen, setzte ihm zu und er litt mehr darunter, als er sich eingestand.
Wenn er abends heimkam, war er bemüht, sich nichts anmerken zu lassen. Melli aber spürte, dass er unglücklich war und sie sah es mit Sorge. Sie tat alles, damit er sich zuhause fühlte, war aufmerksam und zärtlich, aber Wichard wurde ihre Zuwendung manchmal schon fast schwer erträglich. Außerdem schlief er kaum noch eine Nacht wirklich durch, denn immer wieder schreckte er durch ihr Husten auf. Getrennte Schlafzimmer wären die naheliegende, einfache Lösung gewesen. Doch er brachte es einfach nicht übers Herz, offen mit ihr darüber zu reden.Als Wichard nach ihrer Heirat die zwei kleinen Zimmer, die sie bewohnte, mit bezog, fiel ihm sofort eine alte, eiserne Doppelhalterung an der Wand auf. Melli hatte an einem der Haken einen Beutel hängen, in welchem sie Bürsten, Haarnetze und Bänder verwahrte. Er aber sah die verzierte Schmiedearbeit, nahm den Beutel ab und reichte ihn ihr mit leuchtenden Augen.
„Ich fürchte, dafür müssen wir einen neuen Platz finden, Liebes. Das ist für etwas anderes gedacht."
Und damit nahm er sein Schwert, zog es aus der Scheide und legte beides ordentlich in den Halterungen zurecht.
„Oh! Dafür war das bestimmt? Das wusste ich gar nicht. Und wie schön das aussieht", meinte Melli beeindruckt.
Er nickte und verweilte einen Moment lang in der Betrachtung der wertvollen Waffe. Sie war ein Geschenk des Markgrafen an ihn gewesen. Aus der allerersten Zeit, in der er ihm gedient hatte. Und es war das einzig Persönliche, das ihm aus seinem vorherigen Leben geblieben war. Er hatte es versteckt auf den Rücken gebunden unter seiner Pilgerkluft getragen und so war es den vermummten Kerlen entgangen, die ihn, halb im Fieberwahn liegend, ausgeraubt hatten.
„Hast Du jemals jemanden...", begann sie im Plauderton, besann sich dann aber und verstummte erschrocken.
Er sah sie an und nickte ernst.
„Ja. Getötet habe ich damit auch", sagte er und räusperte sich.
„Verzeih!", hauchte sie kleinmütig und wünschte, sie hätte nicht davon angefangen.
„Nein, es ist schon gut. Ich bin Soldat. Oder... ich war es. Ich habe gekämpft und getötet. Nicht gerne. Und nicht oft. Aber... ja. Es sind Männer gestorben durch dieses Schwert."
Der ehrfürchtige Blick, den sie ihm daraufhin zuwarf, hatte ihm geschmeichelt. Seitdem aber hing sein Schwert dort an der Wand, wie ein Gemälde. Wie ein Andenken an eine ferne Vergangenheit.
Manchmal nahm er es herunter, wog es in der Hand, schärfe und polierte die Klinge und legte es seufzend wieder zurück.
Wichard bemühte sich wirklich, Fuß zu fassen, aber Anfang Septembers war er manchmal so niedergeschlagen, dass es seine Frau schmerzte, es mit anzusehen. Dann mochte er nicht einmal mit ihren zahlreichen Neffen und Nichten herumalbern. Besonders Beat, Udalrichs zweitältester Sohn, ein stämmiger, sommersprossiger Zehnjähriger mit rundlichem, weichem Gesicht und rötlichem Haar, liebte ihn besonders und hing gewöhnlich wie eine Klette an ihm.
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Die Tochter des Brauers
Romance"Ihr glaubt wirklich, Eure Küche hätte Zugang zum Baum der Erkenntnis?" "Gut pariert, Frau!", lachte er. Sie bewarf ihn mit dem Apfel, er fing ihn auf, zögerte noch einen Moment und biss hinein. Ein mittelalterlicher Roman. Um? Nun ja. Die Tochte...