Es kam nicht selten vor, dass Neugeborene ihre ersten Tage und Woche auf dieser Welt nicht überlebten und daher war es allen Eltern ein dringendes Anliegen, dass bereits beim nächsten Kirchgang die Taufe des neuen Familienmitglieds stattfand. Selbst diese unbescholtenen Kinder waren mit der Last der Erbsünde geboren und ihnen drohte ungetauft bei einem frühen Tod die ewige Vorhölle.
Auch Ännlin sollte daher so schnell wie möglich getauft werden. Wichard blieb also vorerst auf dem Gut und kehrte nicht in die Stadt und zu seiner Grabung zurück. Und es war ihm ein willkommener Vorwand, denn er vermochte sich kaum von dem Kind zu trennen. Fast den ganzen Tag über saß er an der Wiege und betrachtete seine Tochter. Beim Schlafen und beim Wachen. Er trug sie herum oder sah zu, wie Melisande sie wusch und Windeln wechselte. Auch seine Frau stürzte sich mit Eifer in ihre neuen Aufgaben als Mutter und war froh, ihren Mann derart ans Haus gefesselt zu sehen. Nur manchmal beobachtete Gertraud, wie ein Schatten über Mellis Miene glitt, wenn Wichard das Kind im Arm hielt und voll ungläubigem Entzücken auf es herabsah.
Wurde Ännlin unruhig, brachte Melisande sie zum Stillen zu Gertraud. Meist blieb sie dann bei ihr, sodass die Markgräfin das Neugeborene kaum einmal allein zu Gesicht bekam. Und nur wenn das der Fall war, wagte sie es, das kleine Mädchen mit all der Liebe zu überschütten, von der ihr fast schmerzhaft das Herz überfloss. Ihr war, als habe sich all die Liebe und Zärtlichkeit, die ihrem Sohn gegolten hätte, in ihr aufgestaut und nur mit Mühe hielt sie ihr Innerstes in Schach. War Melli zugegen, bemühte sie sich, dies nicht allzu deutlich werden zu lassen, obwohl sie das Gefühl hatte, ihre Freundin wisse ganz genau, wie es in ihr aussah und wie sehr es sie jedes Mal zerriss, das Kind wieder ihr zu übergeben.
So rückte der Tauftag heran und vom Knecht bis hin den Eltern war jedermann auf dem Gut voller Vorfreude, denn es bedeutete einen arbeitsfreien Tag, gutes Essen und einen ordentlichen Schluck für alle. Während der Vorbereitungen hatten sie gemeinsam beschlossen, dass die Markgräfin sich nicht länger würde verschleiern müssen. Ihr letzter wirklich öffentlicher Auftritt lag nun fast ein Jahr zurück. Es würde genügen und viel weniger Aufmerksamkeit erregen, wenn sie in Gegenwart des Geistlichen die Haube tief ins Gesicht zog und sich im Hintergrund hielt.
Wären die Zeiten andere gewesen, hätte von Dühring für das Amt der Patenschaft unter einer großen Zahl adeliger Freunde, Bekannter und Verwandter wählen können. Doch heute war er auf die Hausgemeinschaft beschränkt. Er konnte und wollte niemanden von außerhalb dazu bitten und Beat war noch nicht alt genug. Der Gutsherr hatte lange überlegt und kam doch immer zum gleichen Schluss.
Morgens erschien der junge Pfarrer auf dem Gut und nach der ersten Begrüßung und einem Becher Bier fragte er launig:
„Und wen habt Ihr als Paten bestimmt, Herr von Dühring?"
„Meinen geschätzten Verwalter, Rupert Uelzer. Und Edeltraud von Klingen."
Der Geistliche stutzte, runzelte die Stirn und fragte entrüstet:
„Einen Bediensteten und die ledige Mutter? Das kann doch nicht Euer Ernst sein!"
Der Pfarrer bemühte sich nicht einmal die Stimme zu senken und Wichard war einigermaßen verärgert, denn Gertraud, die mit einer Handarbeit in der Küche saß, hörte mit Sicherheit jedes Wort.
„Das ist mein Ernst und es ist nicht an Euch, das in Frage zu stellen", erwiderte er scharf.
Der Pfarrer rümpfte pikiert die Nase und sagte gedehnt:
„Natürlich.... Aber, bei allen Heiligen, soll wirklich ein gefallenes Weib dieser reinen Seele als Vorbild dienen?"
Wichard funkelte ihn zornig an. Abermals hatte er das Gefühl, nicht annähernd genug Autorität zu besitzen und wünschte sich wenigstens einen Teil des bangen, uneingeschränkten Respekts für sich, der stets dem Markgrafen entgegengebracht wurde. Es lag ihm auf der Zunge den Mann vor sich barsch zurechtzustutzen, denn ganz sicher würde er sich ihm gegenüber nicht rechtfertigen.
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Die Tochter des Brauers
Tarihi Kurgu"Ihr glaubt wirklich, Eure Küche hätte Zugang zum Baum der Erkenntnis?" "Gut pariert, Frau!", lachte er. Sie bewarf ihn mit dem Apfel, er fing ihn auf, zögerte noch einen Moment und biss hinein. Ein mittelalterlicher Roman. Um? Nun ja. Die Tochte...