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Die Nacht auf den schwankenden Brettern des Floßes wurde kalt.

Hardrich lag auf dem rasch auskühlenden Holz, zusammengekrümmt wie ein Kind im Mutterleib. Der Mond war längst untergegangen und die Dunkelheit schien auf ihm zu lasten, wie ein vor Nässe schwerer Mantel.

Die einzige Hitze, die er fühlte, entströmte seiner verletzten Schulter. Wundbrand wummerte darin. Das war zu erwarten gewesen.

Er hätte die Pfeile herausreißen können, wenn er bei Kräften gewesen wäre. Aber wozu sich auch das noch antun, dachte er resigniert. Morgen schon würde das Fieber ihn verzehren und ihm den letzten Rest Verstand rauben. Und dann wäre es vorüber.

Das Trinken hatte ihm gut getan und sein Kopf war jetzt klarer, aber er lag hier verwundet, nackt und völlig auf sich gestellt auf feindlichem Gebiet. Nicht einmal ein Messer oder sein Feuerschläger waren ihm geblieben.

Er fühlte sich so entsetzlich wehrlos und verwundbar, wie noch nie zuvor in seinem Leben.

Merkwürdigerweise war es der fehlende Helm, der ihn besonders umtrieb. Immer wieder fasste er nach der alten Verletzung, manchmal ohne es bewusst zu wollen, und verbarg sie mit Händen. Und wenn er einen Fetzen Tuch gehabt hätte, wäre es sein Kopf gewesen, den er bedeckt hätte.

Und nicht seine Scham.

Am Ufer irgendwo bellte ein Hund ganz in der Ferne.

Lichter sah er nicht.

Er musste weit vom der nächsten Siedlung entfernt sein.

Mitten auf dem nächtlichen See.

Er war allein. Vollkommen allein.

Und er würde hier einsam sterben, ohne dass Gertraud jemals erfuhr, was aus ihm geworden war.

Hardrich schlang seine Arme fester um sich und spürte, wie ihm mit einem Mal die Augen überliefen. Und bevor er noch recht wusste, wie ihm geschah, weinte er bitterlich.

„Frau... Frau! Oh, Gott, ich will... zurück zu Dir...", raunte er und schämte sich im nächsten Augenblick für seine Schwäche, obwohl ihn hier draußen – im Dunkeln noch dazu – niemand sah und es auch niemanden gab, für den er noch stark zu sein hatte. Doch er war sich zu lange selber der strengste Richter gewesen und zwang die Tränen verbissen zurück.

Irgendwann musste er trotz allem eingeschlafen sein, denn als er das nächste Mal die Augen öffnete, lag er im blendend-hellem Licht des neuen Tages.

So sehr er des Nachts gefroren hatte, so sehr verging er bald vor Hitze und seine Haut litt unter der gnadenlosen Glut der südlichen Sonne. Besonders die Stellen, die sonst so gut wie nie entblößt da lagen.

Das kühle Wasser half ein wenig.

Seinen unverletzten Arm und einen Unterschenkel ließ er bisweilen in den See hängen und an Trinkwasser mangelte es nicht.

Doch sonst konnte er nichts tun, als sich, so gut es ging zusammenzurollen und auf das Ende zu warten.

Nicht nur einmal hatte er erwogen, sich einfach ins Wasser fallen zu lassen. Untertauchen.

Zur Gänze.

Hinabsinken in die wunderbare Kühle. Ganz hinab, wo es immer kälter und dunkler wurde und er der Sonnenglut entkam.

Doch ihm war auch klar, er würde es nicht wieder zurück auf das Floß schaffen. Und auch zum Schwimmen war er längst nicht mehr in der Lage. Er würde also ertrinken, sobald er den Halt am Floß verlöre. Und obwohl der Ritter im Grunde mit seinem Leben abgeschlossen hatte, zögerte er, diesen letzten Schritt zu tun.

Die Tochter des BrauersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt